Nachrichtenbeitrag
„Nicht nur den Menschen, sondern auch die Erde heilen“
Im 3. Teil unserer Serie zur integrativen Medizin in der Pandemie fragt der AIHM-Kongress nach Lernprozessen durch die Pandemie, u.a. auch mit berührenden Berichten von besonders betroffenen indigenen Communites.
BRÜSSEL/LA JOLLA, KALFORNIEN (NNA) – „Lessons to be learned“ – die Frage danach, was alle Beteiligten in den letzten zwölf Monaten aus der Pandemie gelernt haben oder lernen konnten, zog sich wie ein roter Faden durch viele Beiträge des viertägigen Kongresses der Academy of Integrative Health & Medicin (AIHM) mit dem Titel „Hope, Resilience and Healing in the Covid-19-Era“. Er wurde von La Jolla/Kalifornien online aus in 76 Länder der Welt übertragen.
„Wenn wir Covid-19 als unseren Lehrer begreifen, waren die Opfer nicht umsonst“, betonte Dr. Mimi Guarneri, die Präsidentin der Academy in einem Beitrag. Sie sprach sich für eine Philosophie des Heilens aus, die die Weisheit aller globalen Traditionen nutze. Die Pandemie habe gezeigt, dass „wir alle ökologisch verbunden sind und alles, was wir tun, tun wir für den Planeten und für uns selbst“.
Nachdem am ersten Kongresstag Vertreter der Anthroposophische Medizin von ihren Erfahrungen mit Covid-19 berichtet hatten, ging es an den anderen Kongresstagen u.a. um die Sichtweise der Ayurvedischen und der Funktionalen Medizin, um Vorbeugung, Resilienz, Langzeitfolgen und auch um die Frage, wie benachteiligte Gruppen besser von der Integrativen Medizin erreicht werden können.
Wie kann eine ganzheitliche Wissenschaft Lernprozesse initiieren, die unsere Resilienz stärken? Diese Fragestellung stand im Zentrum des zweiten Kongresstages, an dem integrativ arbeitende klinische Psychologen und Experten für Psychoimmunologie das Wort hatten.
So zeigte beispielsweise Dr. Cassandra Vieten vom A.C. Clarke Center for Human Imagination der University of California auf, wie umfassend die Faktoren sind, die die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten bedingen: „Das Gehirn, aber auch der ganze Körper beeinflussen die mentale und emotionale Gesundheit, angefangen von dem, was man isst, wie man sich bewegt, die Hormone, der Darm – alles spielt eine Rolle bei der mentalen Gesundheit,“ betonte sie.
Aber auch Beziehungen und die Umwelt wirkten mit und alles zusammen bestimme den individuellen Stresslevel, die Resilienz eines Menschen und seine geistige Verfassung. Durch zahlreiche Studien werde gezeigt, wie physische Übungen und Meditation die Möglichkeit böten, das Immunsystem zu stärken und Risiko, Dauer und auch die Schwere von Erkrankungen zu vermindern.
Gerade bei diesem Thema wurde einmal mehr die Zwiespältigkeit der politischen Maßnahmen gegen die Pandemie deutlich, wie sie weltweit ergriffen worden sind: einerseits werden dadurch vulnerable Gruppen geschützt, andererseits untergraben viele Einschränkungen wie z.B. Quarantäne, reduzierte soziale Kontakte, Ausgangssperren und die Schließung von Sportstätten wichtigen Quellen der Resilienz aller.
Was können wir aus Covid-19 lernen
„Was ist die Message, die uns Covid-19 bringt?“, fragte Dr. Deepak Chopra, Internist und Endokrinologe und einer der führenden Vertreter der Ayurvedischen Medizin in den USA. Das Leid, das die Pandemie mit sich bringe, sowie die Erfahrungen des Verlusts dessen, was man für gesichert gehalten habe, sei bei vielen Menschen in der Pandemie zu beobachten, auch bei sehr schwer Erkrankten. Ein anderer Umgang sei möglich, die Akzeptanz, sie führe zu Frieden und auch zu Sinn. Damit beinhalte die Pandemie auch die Chance, Sinn zu finden: „Die Bedeutung, wer wir sind, was unser Körper ist und auch unser Geist“. In der Ayurvedischen Medizin liege der Schlüssel in der Einsicht, dass „unsere wahre Natur darin liegt, spirituelle Wesen zu sein“, betonte Chopra.
Weder das Social Distancing noch die Impfung stellten eine Lösung auf lange Sicht dar. Es sei eine Illusion, man könne zu einem Leben wie vor der Pandemie zurückkehren nur durch die Impfung. Covid-19 sei als „Weckruf zur Veränderung “ zu verstehen. Auch der Ayurvedischen Medizin geht es um „Wellbeing“ für alle, eine Demokratisierung guter Lebensbedingungen.
Auf der Agenda stehen von daher: eine maximale Diversität der Gesellschaft, Visionen, an der alle teilhaben können, Wärme und gute Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern sowie eine regelmäßige spirituelle Praxis. Chopra wies außerdem darauf hin, dass der Klimawandel zu Veränderungen in der genetischen Matrix der Lebewesen führe.
Vorgestellt wurde auf der Konferenz auch die Sichtweise der Funktionalen Medizin auf Covid-19. Sie bietet einen individuellen, am Patienten orientierten Ansatz, der von den Ursachen ausgeht, die den Erkrankungen zugrunde liegen. Die genetischen, biochemischen Faktoren des Patienten werden analysiert, ebenso sein Lebensstil und aus diesen Befunden eine individuelle Behandlung entwickelt.
Das Model der funktionalen Medizin liefere Einsichten in Voraussetzungen, und Wirkfaktoren des Risikos von schweren Verläufen bei Covid-19 und Ziel sei es, dieses Risiko abzumildern, erläuterte Dr. Patrick Hanaway, Mitglied der Covid-19 Task Force beim Institute for Functional Medicine, Washington. Chronische Entzündungen z.B. vermindern die Virusabwehr und erhöhten das Risiko für schwere Verläufe von Covid-19. „Nicht die Krankheit, sondern den Patienten behandeln“, so der Leitsatz dieser Fachrichtung.
Ernährung und Lebensweise waren ein immer wiederkehrendes Thema auf der Konferenz – sowohl bei Prävention als auch bei den Verläufen von Covid-19. Dr. Alan R. Gaby, Autor eines Standardwerks zum Thema Ernährungsmedizin, das seine 30jährige Forschungsarbeit zum Thema widerspiegelt, berichtete über den Einsatz der Vitamine D und C, Zink und des pflanzlichen Heilmittels Sambucus nigra – sowohl vorbeugend als auch in der Behandlung von Covid-19. Seine abschließende Empfehlung zur Prävention ging dahin, den Zuckerkonsum zu vermindern, allergieauslösende Nahrungsmittel zu meiden und vorhandenes Übergewicht abzubauen.
Emotionale Auswirkung
Angesprochen wurden von verschiedenen Referenten auch immer wieder die Auswirkungen der Pandemie auf die emotionale Verfassung der Menschen, z.B. von der Psychiaterin und Autorin Dr. Lise van Susteren, Washington. Eine erhebliche Zunahme der Angststörungen und der Depressionen sowie eine Steigerung der Posttraumatischen Belastungsstörungen seien durch die Pandemie zu verzeichnen, besonders betroffen seien marginalisierte, benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Auch van Susteren sieht die Kultur der Gegenwart in den westlichen Industrienationen „an einem Scheideweg“. In den USA habe schon vor der Pandemie eine nationale Gesundheitskrise bestanden mit steigender Drogensucht und Selbstmordraten, die sich in den letzten 20 Jahren in den USA um 57% erhöht hätten.
Auch im Vortrag von Dr. Scarlet Soriano, Vorstandsmitglied der Academy, ging es um die Zukunft, ihr Thema war „Eine neue Ära und neues Bewusstsein für den Planeten“. Diese könne schon jetzt beginnen in jedem Einzelnen, führte sie aus, wenn die Menschen sich darum bemühten, wach zu bleiben und die Entwicklung ihres Bewusstseins in die Hand zunehmen. Eine lange Reihe von wissenschaftlichen Studien belegten, wie Mitgefühl, positives Denken oder auch Meditation die Herztätigkeit beeinflussten.
Die Balance, die jeder so in sich selber herstelle, wirke auch nach außen. „Wir können Räume zuerst in uns selbst schaffen, dann in unserem Heim, in der Klinik, in der Umwelt, in unserem Land und auf der Welt“, betonte sie. Auch Dr. Soriano ging vom ganzheitlichen Gesundheitsbegriff der Ayurvedischen Medizin aus.
Benachteiligte Bevölkerungsgruppen
Präsent war bei dem US-Kongress durchgehend die Einsicht, dass benachteiligte, arme Bevölkerungsgruppen am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Besonders ergreifend für die Zuschauer aus aller Welt war das Referat von Vertreterinnen verschiedener indigener Communities, u.a. aus dem Lakota Reservats in South Dakota, die davon berichteten, wie die Communities mit der Pandemie umgegangen sind. Im Mittelpunkt standen der Einsatz traditioneller Heilmittel durch die Heilkundigen der Communities sowie die Sorge für besonders gefährdete Personengruppen.
Anne White-Hat, Linda Black Elk und Zowie Benteah-Yuselew schilderten anschaulich, wieviel Angst und Schrecken die Pandemie in den Reservaten ausgelöst hat – gehört die indigene Bevölkerung wie auch die anderen People of Colour in den USA zu den Gruppen mit den höchsten Infektions- und Todesraten bei Covid-19. Doppelt so hoch wie bei den Weißen ist die Todesrate bei der indigenen Bevölkerung, war zu erfahren.
„Unsere alten Leute haben sich nicht mehr in die Lebensmittelläden gewagt, deswegen haben wir dann Essenspakete für sie organisiert“, berichtet Linda Black Elk. Und da die arme Bevölkerung sich besonders schlecht ernährt, ging das Konzept dahin, jetzt richtig gute, traditionelle indianische Nahrungsmittel für die Ältesten zu beschaffen – Fundraising dafür eingeschlossen. „Wir wollten, dass unsere Ältesten wenigstens jetzt ihr Immunsystem mit dieser guten Nahrung stärken können – wilder Reis, Ahornsirup, selbst geerntete und gejagte Lebensmittel z.B.“.
Bei allen drei Erzählerinnen verwandelte sich die eigene Wohnung für Monate in ein Lebensmittellager – Lehrerin Zowie Benteah-Yuselew aus einer Community von Pueblo Indianern kümmerte sich auch um die Versorgung ihrer Schüler.
Anne White-Hat berichtete, dass auch Rezepte mitgeliefert werden mussten, zu viele hätten vergessen, wie es geht, zu Hause zu kochen. „Wir haben zusammengehalten jetzt in der Pandemie, aber das war nur ein Anfang – wir müssen auf jeden Fall weiterkämpfen für die Gesundheit unserer Community – körperlich, mental und spirituell – das ist bestimmt nicht das letzte Virus, mit dem wir es zu tun bekommen!“
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 210504-01DE Datum: 4. Mai 2021
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