Nachrichtenbeitrag

Flucht übers Mittelmeer: Höchste Opferzahlen seit sechs Jahren

 | 
Von NNA-Mitarbeiter

Die Internationale Organisation für Migration rügt mangelnde Koordination der EU. Auch Sea-Watch zeigt sich fassungslos angesichts der „systematischen unterlassenen Hilfeleistung der italienischen und maltesischen Rettungsleitstellen“.  

BERLIN (NNA) – Im ersten Quartal 2023 sind bei der Flucht über das Mittelmeer 441 Menschen ums Leben gekommen – die höchste Zahl seit 2017. Die Internationale Organisation für Migration IOM macht verzögerte oder unterlassene staatliche Rettungsaktionen dafür verantwortlich. Die „menschliche Katastrophe, die sich im Mittelmeer ereignet, ist nicht hinnehmbar“, so der Direktor der IOM, Antonio Vitorino.

Seit 2014 sind im Mittelmeer mehr als 20.000 Geflüchtete ertrunken – die Dunkelziffer ist vermutlich viel höher, weil viele Leichen nicht geborgen werden. Die Fahrt über das Mittelmeer gilt nach wie vor als die gefährlichste Fluchtroute der Welt.

„Selbst uns, die seit fast acht Jahren zivile Seenotrettung im Mittelmeer betreiben, lassen die letzten Wochen fassungslos zurück“, schreibt die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch e.V. in ihrem neuesten Newsletter zu der Entwicklung im ersten Quartal 2023:. „Mindestens 127 Personen starben allein, weil staatlich geleitete Rettungsaktionen verzögert wurden. Über 73 Menschen ertranken, weil die zuständigen Rettungsleitstellen überhaupt nicht auf die Seenotfälle reagierten“, so Sea-Watch.

Unermüdlich fliege die Crew der Sea-Watch-Luftaufklärungsmission Airborne aktuell mit ihren Flugzeugen Einsätze über dem zentralen Mittelmeer. Tagtäglich finde sie überfüllte, seeuntaugliche Boote in Not. „Die Reaktion der zuständigen Rettungsleitstellen auf die Notrufe der Crew? Rauschen im Funkgerät. Die IOM hat recht: Schuld an den Toten im Mittelmeer ist das Totalversagen der EU in Sachen Seenotrettung. Schuld ist die systematische unterlassene Hilfeleistung der italienischen und maltesischen Rettungsleitstellen“.

Auch IOM-Direktor Vitorino fordert „eine proaktive Koordination der EU-Staaten“ bei der Suche und Rettung von in Seenot geratenen Migranten. Solche Einsätze hätten die EU-Staaten in den vergangenen Monaten stark zurückgefahren.

Härtere Gangart gegenüber Geflüchteten

Allein in Italien wurden seit Beginn des Jahres 31.000 Geflüchtete registriert, das waren viermal so viele wie im selben Zeitraum des Vorjahres. In Italien ist seit Oktober 2022 eine Rechtskoalition unter Georgia Meloni an der Macht, die eine härtere Gangart in Sachen Migration angekündigt hat. Aufgrund der gestiegenen Zahlen der Geflüchteten 2023 hat die Regierung jetzt einen sechsmonatigen Notstand erklärt. Dadurch kann die Regierung Maßnahmen per Verordnung erlassen ohne Zustimmung des Parlaments.

Während die meisten Flüchtenden weiterhin in Italien anlanden, flüchten seit Beginn des Jahres auch immer mehr Menschen über Tunesien. In einer gemeinsamen Erklärung weisen die zivilen Seenotrettungsorganisationen und Solidaritätsnetzwerke von Geflüchteten auf die „anhaltenden autoritären Transformation des tunesischen Staates hin, es komme zu „extremer Gewalt und Verfolgung der schwarzen Bevölkerung Tunesiens sowie von Menschen auf der Flucht, politischen Gegner:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen“, heißt es in der Erklärung. Tunesien sei deswegen weder ein sicheres Herkunftsland, noch ein sicherer Drittstaat und könne auch nicht als sicherer Ort für aus Seenot gerettete Personen gelten. Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten auf, ihre Abkommen zur Migrationskontrolle mit den tunesischen Behörden zu beenden. Zunehmend werden Geflüchtete z.B. aus Italien nach Tunesien abgeschoben.

Sea-Watch hat außerdem an seine Unterstützer appelliert, auch weiterhin für die Seenotrettung zu spenden. Die Organisation gerate zunehmend unter Kostendruck durch die Preissteigerung durch den Ukrainekrieg und die Inflation: „Jede Spende hilft uns, weiterhin vor Ort sein zu können, um Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren.“

END/nna/nh

Bericht-Nr.: 230514-05DE Datum: 14. Mai 2023

© 2023 Nexus News Agency. Alle Rechte vorbehalten.

Zurück
Geflüchtete im Mittelmeer. Die Fluchtroute gilt als die gefährlichste in der Welt. (Foto: Sea-Watch)