Single News

Zehn Krisen, die die Welt 2022 vergessen hat

 | 
By NNA-Mitarbeiter

Der Report „Breaking the Silence“ der Organisation CARE will mehr Aufmerksamkeit für Menschen in Not weltweit wecken. CARE rechnet damit, dass 2023 in vergessenen Krisen mit rund 339 Millionen Menschen eine Rekordzahl auf humanitäre Hilfe angewiesen sein wird.

BONN (NNA) – „Breaking the Silence – Das Schweigen brechen“ ist der Titel des alljährlichen Reports der Hilfsorganisation CARE, mit dem die Organisation auf die vergessenen Krisen der Welt aufmerksam machen will. Er erschien jetzt zum siebten Mal und informiert über „Zehn humanitäre Krisen, die 2022 keine Schlagzeilen machten.“ Mit rund 339 Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe weltweit angewiesen sind, rechnet CARE für 2023 – der Bedarf steige damit auf Rekordhöhe.

Bedingt durch die Unterbrechung der Lieferketten aufgrund der Covid-19-Pandemie, die Auswirkungen des Klimawandels sowie die Preissteigerungen aufgrund des Ukrainekrieges ist die Zahl der hungernden Menschen weltweit 2022 von 811 auf 828 Millionen gestiegen, schreibt CARE im Report. „… fehlende Weizen- und Düngemittelieferungen bedeuten für Millionen Menschen noch mehr Hunger und Armut. Oft ist es ein Kampf ums Überleben“. Wie bei der Klimakrise treffe es jene Regionen und Menschen hart, die „ohnehin zu den verletzlichsten und gefährdetsten gehören.“

Der Report „Breaking the Silence“ zeigt anhand von Analysen der Onlinemedien und Daten zur Notwendigkeit humanitärer Hilfe und ihrer Betroffenen die zehn am wenigsten beachteten Krisen der Welt auf. Der Report solle einen Beitrag zu der Frage leisten, wie die Wahrnehmung von Menschen in Not weltweit geschärft werden könne, heißt es im Vorwort.

Wie stark sich die Dynamik der Berichterstattung der internationalen Medienwelt verändert – es wurden Artikel in Arabisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch ausgewertet – und schließlich dazu führt, dass Krisengebiete entweder völlig in den Fokus der Berichterstattung geraten oder eben von der Bildfläche verschwinden, zeigt auch das Beispiel der Ukraine. Während das Land vor dem Krieg im Jahr 2021 noch Platz 2 der vergessenen humanitären Krisen belegt habe, über die kaum berichtet worden sei, sei nach dem russischen Angriff 2022 dann über keine andere humanitäre Krise mehr berichtet worden als über die Ukraine mit mehr als zwei Millionen Artikeln online. Damit habe sich auch eine alte Regel bewahrheitet, betont Prof. Dr. Claudia Warning von CARE Deutschland: „Je weniger räumliche Distanz zwischen uns und einer Krise ist und je besser wir uns mit den betroffenen Menschen identifizieren können, desto mehr Aufmerksamkeit widmen wir den Ereignissen.“ Die Distanz könne man dadurch überwinden, indem man betroffene Menschen selbst zu Wort kommen lasse. Im Bericht von 2022 finden sie sich in zehn Ländern Afrikas.

Klimakrise

Angola gehört dazu, ein Land, das eigentlich reich an Rohstoffen ist, das die Klimakrise jedoch mit voller Härte trifft. Im Süden des Landes herrsche die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. 3,8 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen, 114.000 Kinder seien unterernährt. Angola sei eines der Länder mit den höchsten Preissteigerungen bei Nahrungsmittel wie Getreide und Speiseöl, bedingt durch den Ukrainekrieg. Auch Malawi gehört zu den Ländern, die von der Klimakrise am schlimmsten betroffen sind durch Extremwetterlagen wie Trockenheit und Wirbelstürme. Hier haben 5,4 Millionen Menschen nicht genügend zu essen, 37% der Kinder sind mangelernährt. Hinzu komme eine Choleraepidemie mit einer Sterblichkeitsrate, die mit drei Prozent weit über dem von der WHO festgelegten Schwellenwert von einem Prozent liege. Die hohe Zahl der Todesfälle zeige den Ernst der Lage, schreibt CARE. Malawi ist eines der am dichtesten besiedelten Länder Afrikas, Schätzungen zufolge sind zehn Prozent der Bewohner mit HIV infiziert.

Das dritte Land auf der Liste ist die Zentralafrikanische Republik, dort leben 71% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Jeder zweite Mensch leide in diesem fruchtbaren Land unter Hunger, weil die Klimakrise seit Jahren vernichte, was auf den Böden gedeihe. Riesige Überschwemmungen zerstörten im Juni 2022 mehr als 2.600 Häuser und 18.500 Hektar Anbaufläche. In Sambia muss die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als 1,90 EUR pro Tag auskommen, mit einem Altersdurchschnitt von 16,9 Jahren gehört sie zu einer der jüngsten Bevölkerungen der Welt. Wie in vielen Staaten der Subsahara zeige sich die Klimakrise hier besonders deutlich mit langen Trockenperioden und extrem hohen Temperaturen. Gewalt gegen Mädchen und Frauen sei weit verbreitet.

Auch der Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt. Vier Millionen Menschen dort sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 1,7 Millionen Kinder, die von akuter Unterernährung betroffen sind. Dies gehe mit einer hohen Kindersterblichkeit einher: jedes 10 Kind erlebt sein 5. Lebensjahr nicht. Das Land leidet seit Jahren unter bewaffneten Konflikten. Mit 575.000 Menschen beherbergt das arme Land die größte Gruppe von Geflüchteten in der Sahelzone – mehr als zwei Drittel stammten aus dem Sudan.

Und in Burundi, dem „Herz Afrikas“ in Ostafrika – der Name kommt von der besonderen Form des Landes – leben rund 70% der Menschen unter der Armutsgrenze und sind mehr als die Hälfte der Kinder chronisch unterernährt, ländliche Gemeinden sind am stärksten betroffen. Politische Unruhen, Covid19 und ein schnelles Bevölkerungswachstum hätten die Lage noch verschlimmert, schreibt CARE. Langanhaltende Dürre führe zu Wassermangel und Ernteausfällen. In Burundi arbeiten mehr Frauen als Männer – zumeist in der Landwirtschaft, Haupteinnahmequelle für 90% der Bevölkerung. In Burundi benötigen 1,8 Millionen Menschen humanitäre Hilfe.

Extreme Armut

Dürreperioden, massive Regenfälle und Überschwemmungen wechseln sich auch in Simbabwe ab. Etwa die Hälfte der rund 15,6 Millionen Einwohner lebt in extremer Armut, wegen Mangelernährung zeigten fast 27% der Kinder Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen. Im südlichen Afrika sei es die Wanderheuschrecke, die die Ernten bedroht und deren Schwärme Felder in kürzester Zeit kahlfressen. Die Covid-19-Pandemie habe zu einer Verringerungen der Einkommens- und Nahrungsquellen beigetragen. Das Gesundheitssystem sei schon vor der Pandemie durch die Versorgung von 1,3 Millionen Menschen belastet gewesen, die mit HIV leben. Hinzu komme der Mangel an sauberem Wasser, so CARE.

Auch in Kamerun haben 1,8 Millionen Menschen keinen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu Sanitäranlagen. 3,9 Millionen Menschen waren 2022 auf humanitäre Hilfe angewiesen – 14% der Bevölkerung. Der Norden ist außerdem durch Übergriffe bewaffneter Gruppen destabilisiert, immer wieder kommt es zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung und zu Plünderungen. Kamerun hat außerdem mehr als 300.000 Geflüchtete aus der Zentralafrikanischen Republik aufgenommen, ihre Zahl wuchs seit 2014 ständig. Durch überfüllte Unterkünfte ohne sauberes Wasser und angemessene Abfallentsorgung sind die Menschen Krankheiten wie Cholera und Malaria ausgesetzt.

Niger ist das letzte Land auf der Liste der vergessenen Krisen von CARE – ein Binnenstaat in der Sahelzone auf einer wichtigen Transitstrecke für Migranten, die Europa erreichen wollen.

Es ist eines der wärmsten Länder und hat das höchste Bevölkerungswachstum weltweit. Mehr als 4,4 Millionen Menschen sind hier von Ernährungsunsicherheit betroffen, 17% der Bevölkerung. 6,8 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen, fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren sind chronisch unterernährt. Auch der Krisenstaat Niger beherbergt 360.000 Menschen, die vor bewaffneten Konflikten aus den Nachbarstaaten geflüchtet sind.

Der Report von CARE zeigt anhand jedes Landes auf, welche Hilfsmaßnahmen CARE dort betreut, sie reichen von CARE-Paketen mit Nahrungsmittel für die am stärksten gefährdeten Menschen, der Verteilung von Aufbaunahrung für unterernährte Kinder über Kleinkredite und die Förderung von Spargruppen zur Anschaffung von Tieren und anderen existenzsichernden Maßnahmen. Besonders im Fokus von CARE stehen Frauen und Mädchen, die von den geschilderten Notständen oft am meisten betroffen sind z.B. durch häusliche Gewalt und auch durch Kinderehen.

So wird anschaulich, dass es die Länder des Globalen Südens mit ihren Menschen sind, die bereits jetzt die Hauptlast des Klimawandels tragen, für den sie am wenigsten verantwortlich sind.

„Wir haben daher die Verantwortung, diese „vergessenen Krisen“ ins Rampenlicht zu rücken, betont Mónica Silvana Gonzalez, Ständige Berichterstatterin für Humanitäre Hilfe im Europäischen Parlament, im Report.

Aufmerksamkeit schaffen

CARE unterstützt auch Reporter und Reporterinnen und Medienschaffende, die über humanitäre Krisen in entlegenen Gebieten berichten. Mediale Berichterstattung schaffe Aumerksamkeit, erzeuge aber auch politischen Druck, betont die CARE-Präsidentin Prof. Warning. Das genau sei das Anliegen von CARE, denn „menschengemachte humanitäre Krisen weden durch politische Lösungen beendet.“

Dr. Martin Scott, Dr. Kate Wright und Prof. Mel Bunce von der Schule für Internationale Entwicklung der Universität von East Anglia, UK, fordern in einem Beitrag im Report auch ein Umdenken der Medien selbst.

„Nachrichtenwert“ sei gesellschaftlich konstruiert und könne verändert, angepasst und in Frage gestellt werden, betonen sie und fordern bessere Bedingungen für einen Journalismus, der mit der humanitären Frage Ernst mache. Humanitäre Journalisten und Journalistinnen benötigten transparentere, verlässlichere und vielfältigere Finanzierungsquellen, mit sie weiterhin die öffentliche und politische Aufmerksamkeit auf die „vergessenen Krisen“ lenken können, betonen die drei Wissenschaftler. Da der Bedarf an humanitärer Hilfe weltweit rapide ansteige und die internationale finanzielle Unterstützung übersteige, sei diese Berichterstattung wichtiger denn ja.

CARE wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um Armut und Hunger in Europa zu bekämpfen. Allein in Deutschland wurden damals rund zehn Millionen der bekannten CARE-Pakete verteilt. Heute setzt sich CARE in 111 Ländern mit überwiegend einheimischen Kräften für die Überwindung von Armut, Not und Ausgrenzung ein. Ein zentrales Anliegen der Organisation ist die Gleichstellung von Frauen. CARE hat Beraterstatus bei den Vereinten Nationen, ist Mitglied im Deutschen Spenderrat und wurde 2018 mit einem Zertifikat für Transparenz ausgezeichnet. CARE hat im vergangenen Jahr weltweit über 170 Millionen Menschen unterstützt.

END/ung/nna

Der Report „Breaking the Silence“ kann hier heruntergeladen werden:

Bericht-Nr.: 230202-05DE Datum: 2. Februar 2023

© 2023 Nexus News Agency. Alle Rechte vorbehalten.

Back
Die zahlreichen Fotos im Report bieten Einblicke in das Leben der Menschen in den Krisenländern – so lernen in Sambia Frauen, wie sie aus Ernteresten Tierfutter herstellen können, durch die Spargruppen erworbene Ziegen werden präsentiert,
Geflüchtete errichten gemeinsam eine Unterkunft
oder berichten davon, wie sie ihre Kinder mit gesammelten wilden Früchten aus dem Busch über die Runden bringen.
Von der Dürre betroffene Felder sind zu sehen mit winzig kleinen Pflanzen und immer wieder die Menschen, um die es geht. (Alle Fotos: www.care.de)