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Worin liegt die Aktualität des Denkens und der Meditationslehre von Georg Kühlewind?

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By NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

NNA-Gespräch mit Wolfgang Tomaschitz, Initiator der Stuttgarter Tagung zum Werk von Georg Kühlewind (siehe Bericht „Durch Schulung der Aufmerksamkeit sich und die Welt verändern“), über Bedeutung dieses Impulses in der Gegenwart.

Die Stuttgarter Tagung zum Werk von Georg Kühlewind war die dritte Veranstaltung dieser Art nach zwei Vorläufern in Budapest und Wien. NNA hat mit Wolfgang Tomaschitz, dem Generalsekretär der Anthroposophischen Gesellschaft in Österreich und einem der Initiatoren der Tagung, über die Bedeutung dieses Impulses in der Gegenwart gesprochen.

Stuttgart/Wien (NNA) – NNA: Worin besteht genau die Aktualität vom Denken Kühlewinds, was war der Impuls, diese Tagungen nach dem Tod von Kühlewind zu veranstalten?

Tomaschitz: Da war einmal das große Netzwerk von Anhängern, das Kühlewind hinterlassen hatte – es reicht ja von New York über Deutschland, die Schweiz und Österreich bis nach Ungarn. Wir haben schnell gemerkt, dass dieses internationale Netzwerk gepflegt werden will und es Gelegenheiten geben muss, bei denen sich die Anhänger Kühlewinds versammeln und austauschen können. Außerdem ist der Impuls, den Kühlewind mit seinem Denken und seiner Meditationslehre gegeben hat, äußerst zeitgemäß – sowohl innerhalb als auch außerhalb der anthroposophischen Bewegung.

Kühlewind war ja ein Pionier innerhalb der anthroposophischen Bewegung, seine Meditationslehre umfasste die Übungen, die in Gruppen in direkter Präsenz getestet worden sind. Er hatte damit einen nüchtern Stil des Übens entwickelt, das schon sehr abgewichen ist von dem üblichen Stil in anthroposophischen Kreisen, wo nur das Werk Steiners immer wieder paraphrasiert worden ist. Seit zehn Jahren etwa wird jetzt generell die anthroposophische Meditation thematisiert in Kongressen und auch mit Übgruppen, da hat sich einiges verändert – in diese Tendenz passt Kühlewind gut hinein.

Außerdem ist er ein sehr interessanter Interpret des Werks von Rudolf Steiner mit seinen Meditationen über die Wahrnehmung und über das Denken, man kann sagen, er hat die Sicht auf bestimmte Punkte im Werk Steiners geschärft.

NNA: Und wie sieht es außerhalb der anthroposophischen Bewegung aus?

Tomaschitz: In die mentale Landschaft der Gegenwart lässt sich Kühlewind ebenfalls sehr gut integrieren, Achtsamkeit ist ja in aller Munde, es gibt eine etablierte Übpraxis dazu.

Im 21. Jahrhundert braucht man offensichtlich mentale Techniken und wenn man sie nicht zur Verfügung hat, kann es sein, dass man am Ende als eine Art mentaler Analphabet gilt. Da hat die anthroposophische Meditation schon ein Wort mitzureden.

NNA: Ist aber das Thema Meditation genau wie Yoga derzeit nicht eher im medizinischen Bereich etabliert und die Sicht darauf von daher mehr wie auf ein Wellnessangbot?

Tomaschitz: Das ist richtig, da geht es vor allem darum, zu einer Beruhigung oder zu neuen Kräften zu kommen im Alltag. Kühlewinds Ansatz ist demgegenüber eher kognitiv, er kam ja auch von den Naturwissenschaft her, dieses kognitive Element, das einen Schwerpunkt beim Erkennen setzt und von daher die seelische Landschaft verwandelt, spielt derzeit noch keine so große Rolle in der Diskussion über Meditation.

NNA: Bei der Stuttgarter Tagung wurde herausgearbeitet, dass das genau der große Vorteil von Kühlewind ist, dass er sich an den Paradigmen der Naturwissenschaften orientiert.

Tomaschitz: Diese Anschlussfähigkeit von Kühlewinds Denkens war auch genau das, was mich persönlich angesprochen hat, als ich es in jungen Jahren kennengelernt habe, also in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zum einen war da nicht dieses Weihevolle, dieser Mystizismus, der mich eher abgeschreckt hat, es ging unhierarchisch zu in den Übgruppen und man konnte voraussetzungslos teilnehmen. Außerdem konnte man seine Intellektualität behalten, man musste sein normales Verstehen nicht aufgeben, man konnte Kühlewind-Schüler und Wissenschaftler gleichzeitig sein.

NNA: Dieses nüchterne, intellektuelle Üben bei Kühlewind könnte aber auch ein Hindernis sein für die Verbreitung, da ist ja der Wellness-Faktor nicht so hoch.

Tomaschitz: Vermutlich ist das aber ein gutes Hindernis, das Thema Meditation bedingt ja schon eine sehr ernste Weise der Annäherung. Es geht nicht ohne Anstrengung. Unser Alltagsbewusstsein ist schon eine ziemlich prekäre Angelegenheit, da wird man von vielen Dingen gejagt und getrieben. Durch das Üben kommt man zu einer Stärkung der anderen Art, da entsteht mehr Selbstgewissheit, ein bewusstes Fühlen und man lernt, seine Gefühle zu sortieren.

An diese autonome Aufmerksamkeit, diese Denkbewegungen muss man sich schon gewöhnen, sich damit anfreunden, aber die Ich-Instanz, die so am Ende entsteht, ist schon stabiler als das Alltags-Ich.

NNA: Gerade in der gegenwärtigen Krisenzeit zeigt sich, wie wichtig eine solche Stabilität angesichts der zunehmenden Komplexität des modernen Lebens ist. Bei der Tagung wurde noch ein anderer Aspekt angesprochen, Referenten Salvatore Lavecchia und Rudi Ballreich, haben den Ansatz von Kühlewind noch auch in Richtung der Gemeinschaftsbildung erweitert. Heißt das, der nach der Meditationslehre von Kühlewind übende Mensch wird durch diese Praxis auch fähiger zur Gemeinschaft, d.h. seine soziale Kompetenz verbessert sich?

Tomaschitz: Es gibt sicherlich keine Rezepte in dieser Hinsicht. Aber es war schon eine tolle Wendung im Werk von Kühlewind, die dialogische Logoslehre schon sehr früh mit hineinzunehmen. Durch die Logoslehre kommt eine humane Ebene in sein Werk. Das gesprochene Wort, die Hinwendung zum Du waren ja von Anfang an einbezogen, insofern wirken die Übungen schon stark ins Soziale hinein. Es ist schon so, dass die Übpraxis nach Kühlewind dazu führt, dass man sozial kompatibler wird, es gibt ja viele spirituelle Übungswege, von denen man das nicht sagen kann.

Man sollte vielleicht auch noch hinzufügen, dass es Kühlewind immer wichtig war, die Übpraxis auf überschaubare, bescheidene Inhalte zu beschränken, überschaubar, aber offen nach oben hin zu komplexeren Inhalten. Er hat immer darauf geachtet, das Üben nicht zu überfrachten, das passiert ja auch oft. Bei Kühlewind wird stets an fundamentalen, einfachen Tatsachen geübt.

NNA: Und wie geht es jetzt weiter mit dem Erbe Kühlewinds, werden Sie die Tagungen jetzt regelmäßig veranstalten?

Tomaschitz: Wir hoffen, dass wir das nächste Mal ohne die Einschränkungen durch Corona tagen können. Diesmal waren in Stuttgart ja vorwiegend Teilnehmer aus Deutschland anwesend, aber es gibt ja noch viele Anhänger Kühlewinds im Ausland, die auch gern gekommen wären. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Tagung, die vom 22.- 25. April in Dornach geplant ist, da geht es um einen Erfahrungsaustausch der verschiedenen Ansätze anthroposophischer Meditation. Living connections ist der Titel.

NNA: Zum Schluss noch eine Frage nach einem Anliegen, das Sie auf der Stuttgarter Tagung sehr hervorgehoben haben: die Anschlussfähigkeit von Kühlewinds Denken auch an die Diskussion in der akademischen Bewusstseinsforschung, der „philosophy of mind“. Wie kann die „Kühlewind-Schule“ da ansetzen, was ist da geplant?

Tomaschitz: Das ist ja eine eher spezifische Fragestellung. Dazu wird es nächstes Jahr ein Forschungskolloquium im Rahmen der Akanthus-Akademie in Stuttgart geben. Zunächst einmal mit Gesprächspartnern, die sich innerhalb der Anthroposophie um Ansätze aus der Gegenwartsphilosophie und der akademischen Bewusstseinsforschung kümmern.

NNA: Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Bei NNA haben wir dieses Thema aufgegriffen in der Hoffnung, dass Menschen sich jetzt doch auch stärker für „Reisen nach innen“ interessieren durch die ganzen Beschränkungen des äußeren Lebens – mit dem Bücherlesen gibt es ja schon so eine Tendenz.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 201020-02DE Datum: 20. Oktober 2020

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