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Wenn die Menschheit innerlich den Atem anhält

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By NNA Mitarbeiter

Religiöses Leben in Zeiten der Corona-Virus-Krise: Eine Pfarrerin der Christengemeinschaft erzählt im NNA-Gespräch, wie sie es erlebt.

Eine bisher nicht erlebte Erfahrung brachte die Corona-Virus-Krise für Geistliche aller Religionen mit sich: ohne ihre Gläubigen mussten oder müssen sie noch vor leeren Gotteshäusern, Moscheen und Synagogen zelebrieren. Für die Christen betraf es an Ostern einen ihrer höchsten Feiertage. Wie hat eine Pfarrerin dies erlebt? NNA hat in Bad Liebenzell bei der Pfarrerin der Christengemeinschaft Ursula Hausen nachgefragt.

BAD LIEBENZELL/UNTERLENGENHARDT (NNA) – NNA: Das Osterfest mit seinen zahlreichen Weihehandlungen vor leeren Reihen in Ihrer Kapelle – wie war das für Sie?

Hausen: Es lassen sich zwei Ebenen unterscheiden: Einerseits war es schon eine erschütternde Tatsache, dass weltweit in allen christlichen Kirchen das Osterfest nicht gemeinsam gefeiert werden konnte, die geistigen Quellen nicht einbezogen werden konnten. Andererseits habe ich bei der Weihehandlung eine geistige Dichte erlebt, wie sie sonst nicht zu empfinden ist – ich führe das darauf zurück, dass so vieles Störende derzeit nicht stattfindet, die Flugzeuge fliegen nicht, es gibt keine Großveranstaltungen. In dieser Atmosphäre entsteht eine geistige Offenheit, das konnte ich vor allem am Karfreitag und Ostersonntag spüren. Auch in der Woche nach Ostern war es noch ähnlich.

Unsere Aufgabe als Bewegung für religiöse Erneuerung wird dadurch auch deutlicher, dass wir konsequent am Geistigen ansetzen müssen, es wirklich ernstnehmen, dass unsere Menschenweihehandlung mit den geistigen Kräften rechnet.

NNA: Ist das nicht generell der Fall in religiösen Handlungen?

Hausen: In den früheren Kirchen war davon noch ein Bewusstsein, heute ist eher ein Abgrund zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen, Gott ist jenseits der menschlichen Erfahrung. Auch aufgrund unseres modernen Menschenbildes stehen sich Geist und Materie unversöhnlich gegenüber. Über diese Dualität wollte Rudolf Steiner mit der Anthroposophie eine Brücke schlagen: Unser Denken ist geistiger Natur und kann von daher auch den Geist erfassen, der vorher nur im Glauben zugänglich war.

Die Geisteswissenschaft macht es möglich, im Denken den Heiligen Geist zu erfassen, das heißt, zusätzlich zu den sichtbaren Tatsachen auch die geistigen Hintergründe mit zu verstehen. Davon gehen wir bei der Christengemeinschaft aus – vor diesem Hintergrund lässt sich z.B. auch die Apokalypse begreifen mit ihren auf den ersten Blick unverständlichen Bildern.

Verschiedene Qualitäten

NNA: Die großen Kirchen haben auf die Anforderung des Social Distancing der Politik so reagiert, dass Gottesdienste im Fernsehen übertragen oder auch live im Internet gestreamt worden sind. Warum war das für die Christengemeinschaft keine Alternative? Es besteht ja so auch die Hoffnung, dass man mehr jüngere Menschen erreicht.

Hausen: Diese technischen Geräte haben eine andere Qualität, im Gottesdienst wollen wir uns ja den aufbauenden, lebensspendenden Wesen zuwenden. Man kann sicher die Informationen gut rüberbringen, wenn man einen Gottesdienst überträgt oder streamt, aber die Herzenskräfte, die damit verbunden sind und die entstehen, wenn der Priester sich dem Geistigen zuwendet, lassen sich weder über Mikrofon noch über eine Kamera weitergeben an die Gemeinde. Wir bräuchten dazu eine Technik, die mit den ätherischen Kräften rechnet, also den Lebenskräften, die anderen Gesetzmäßigkeiten folgt, Rudolf Steiner hat dazu Hinweise gegeben.

Aus meiner Erfahrung wirkt die rein physikalische Ton- und Lichtübertragung als Hindernis, sie lähmt eher die Wahrnehmung für das Geistige. Diese Zusammenhänge bemerke ich z.B. auch, wenn ich länger am Computer sitze und dann an einem Predigttext schreiben will, das ist viel schwieriger. Das heißt aber nicht, dass man nicht mit diesen Techniken umgehen soll, sie gehören zu unserer Zeit.

NNA: Um nochmal auf die Corona-Virus-Krise generell zurückzukommen – wenn dadurch auch ein Leerraum wahrnehmbar wird, entsteht dann nicht auch generell ein Freiraum für Besinnung und neue Entwicklungen?

Hausen: Man kann sicherlich sagen, die Menschheit hat innerlich den Atem angehalten jetzt, aber die Frage ist, welche Kräfte rufen wir herein in dieser Situation? Diese Kräfte finden sicherlich gerade einen freieren Raum – es gibt eine Vielzahl von Ideen dazu, wie es weiter geht. Ostern mit diesem Durchgang durch Tod und Auferstehung ist sicherlich ein gutes Bild, dass da ein Endpunkt gegeben ist im Tod, an dem die geistigen Kräfte dann ansetzen können, es ist ein intensiver Verwandlungsvorgang. Uns ist ja normalerweise gar nicht bewusst, dass unser Denken tot ist, das kann man z.B. in der Meditation wahrnehmen, wenn man lebendiges Denken in sich ausbilden möchte, wie anstrengend das ist.

Es gibt sicherlich derzeit eine Entwicklungsfähigkeit für Ätherisches, dafür, Wachstumskräfte für Seele und Geist wahrzunehmen. Die Menschheit ist mündig, sie kann entscheiden, ob sie weiterhin nur mit der Materie arbeiten will oder ihr Denken so entwickeln, dass es den – Heiligen – Geist aufnehmen kann. Christus will die Freiheit, wir sollen keine Marionetten sein. Er fragt uns immer: „Was willst du?“ Das war auch so bei der Stillung des Sturms, er schlief und die Jünger mussten ihn erst bitten einzugreifen.

Globale Kraft

NNA: Der weltweite Charakter ist ja auch etwas Neues an der Pandemie....

Hausen: Dieses menschheitliche Element, die Globalisierung haben wir bisher nur im Bereich der Wirtschaft. Die Pandemie betrifft die ganze Menschheit, aber haben wir auch eine gute Kraft, die die Menschheit vereint? Das Christentum wirkt noch nicht als weltweite Kraft, da gibt es Jerusalem, die armenische, die ägyptische, die römisch-katholische Kirche... Auch in unserer Christengemeinschaft ist es noch viel zu wenig verankert, dass es im Grunde um eine menschheitliche Aufgabe geht, dass wir eine globale Kraft entwickeln müssen.

Ein Anfang davon kann sein, wenn die Weihehandlung überall gefeiert wird und so rund um die Welt wandert. Deshalb spricht die Weihehandlung vom Wesen der Menschheit im Übersinnlichen, das alle einzelnen Menschen, Lebende und Verstorbene umfasst als das Ebenbild Gottes. Dieses Wesen haben wir in Jesus konkret vor Augen. Jesus war bereit, den Christus bei der Jordantaufe in sich aufzunehmen, so dass der unsichtbare Gottessohn durch den Menschen Jesus den anderen begegnen konnte. Wenn der Segen in der Weihehandlung gesprochen wird, dass „Christus in uns“ wirkt, lernen wir, dies in uns immer mehr zu erleben, dass wir Jesus nachfolgen können.

Eine globale christliche Kirche müsste alles Frühere in sich aufnehmen, die zentralen Aufgaben von Einheit und Frieden, die wir von Christus erhalten haben, realisieren.

Dabei kommt es aber darauf an, dass wir uns selbst und das Andersartige, das Verschiedene besser verstehen und es nicht verurteilen. Wir müssen uns gegenseitig helfen und voneinander lernen.

Das heißt aber auch den Verzicht darauf, das eigene Selbstbewusstsein auf Kosten anderer zu entwickeln, auf den Hochmut, zu wissen was das Gute ist. Und es heißt, dem andren eher zu helfen als ihn zu verurteilen, wenn er Fehler macht.

Zukünftiges

NNA: Ist das nicht sehr zukünftig? Die Wirklichkeit der verschiedenen Kirchen sieht ja derzeit anders aus...

Hausen: Menschen in diesem Sinn müssen wir erst werden. Menschen, die in der Lage sind, aus diesen Kräften heraus zu handeln. Deswegen heißt unser Kultus auch „Menschenweihehandlung“: Weihe bedeutet Öffnung nach oben, zum Geistigen und Handlung führt zu der Absicht, die Welt aus diesen göttlichen Kräften zu gestalten. So finden wir einen Weg, der in Einklang mit den Schöpferkräften der Natur und des Menschen Neues schaffen kann.

Deswegen reicht es auch nicht, bei Fridays for Future die Verminderung der CO2-Werte zu fordern – wir Menschen müssen unser eigenes Wesen so verändern, dass wir in Einklang mit der Natur leben können. Bisher haben wir die Natur ausgebeutet, nun müssen wir soviel innere Lebenskräfte erzeugen, dass wir sie wieder heilen können. Unsere Weihehandlung spielt hier eine wichtige Rolle. Sie soll ja die Lebenskräfte der Welt mit Christuskraft durchdringen und heilen, wo Menschen die Natur und die geistigen Wesen in ihr belasten oder gar zerstören. Sie wirkt in diesem Sinn auch ganz konkret als Stärkung des Immunsystems. Und sie kann uns darüber hinaus Orientierung geben, was „menschengemäß“ ist für die weitere Entwicklung.

NNA: Dann sind Sie sicherlich jetzt sehr froh, dass Sie die Weihehandlung jetzt wieder mit Ihrer Gemeinde feiern dürfen! Vielen Dank für das interessante Gespräch!

END/nna/ung

Das Gespräch führte Cornelie Unger-Leistner

Bericht-Nr.: 200509-02DE Datum: 9. Mai 2020

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Ursula Hausen<br>Foto: Ursula Hausen
In einigen Bundesländern dürfen Glaubensgemeinschaften seit dem 1.Mai wieder Gottesdienste abhalten – allerdings unter Auflagen. In Hessen z.B. muss der Mindestabstand zwischen den Besuchern 1,5 Meter betragen, es muss Desinfektionsmittel bereitgestellt werden und Gegenstände dürfen nicht zwischen Personen weitergereicht werden. Menschen, die in einem Haushalt wohnen, dürfen zusammensitzen und auch Trauerfeiern können wieder stattfinden. Eine Maskenpflicht besteht nicht. Das Foto zeigt den Raum für die Menschenweihehandlung der Christengemeinschaft in Wiesbaden, den Pfarrerin Sabine Layer nach diesen Regeln umgestaltet hat – mit dem Zollstock in der Hand. Hier können jetzt die Gemeindemitglieder auf drei Tage verteilt an der Menschenweihehandlung teilnehmen, jeder an einem anderen Tag, dazu wurde eine Liste verschickt. <br>Foto: Christengemeinschaft Wiesbaden