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Waldorfkindergärten warnen vor einseitiger Frühpädagogik

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By NNA Mitarbeiter

Waldorfpädagogen haben auf die Notwendigkeit von unverschulten Lebensräumen für die Frühpädagogik hingewiesen. Frühe Intellektualisierung und digitale Medien behinderten ein gesundes Aufwachsen von Kindern.

HANNOVER (NNA) – Mit einem Symposion unter dem Titel „Recht auf Kindheit – die Verantwortung liegt bei uns“ haben die Waldorfkindergärten am Wochenende in Hannover auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die den Kindern durch einseitige intellektuelle Bildung in der Frühpädagogik drohen.

Die Waldorfpädagogen Dr. Michaela Glöckler und Dr. Wolfgang Saßmannshausen warnten eindringlich vor der Nutzung digitaler Medien in den ersten zwölf Lebensjahren. Sie fordern geschützte, unverschulte Lebensräume für die Frühpädagogik.

Eine frühkindliche Bildung, die Kinder als kleine Erwachsene wahrnimmt und sie bereits in der Kita in einen eng getakteten Tagesablauf mit starrem Anforderungs- und Bewertungskorsett zwingt, werde den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht, so der Tenor der Experten.

Rund 1000 Besucher waren in das Congress Centrum in Hannover gekommen. Das Symposion stand auch im Zeichen des Gedenkens an Dr. Helmut von Kügelgen, Mitbegründer der Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V., der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Darüber hinaus standen die aktuellen Chancen, Perspektiven und Herausforderungen der Waldorfpädagogik in den ersten Lebensjahren im Zentrum des Kongresses.

Gesunde Kindheit

„Vor der Bildung kommt die Begegnung, vor der Erziehung die Beziehung“, betonte Michael Wetenkamp, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Waldorfkindergärten. Dieser seit fast 100 Jahren bewährte Ansatz der Waldorfpädagogik werde von aktuellen neurologischen Studien bestätigt. Nur eine sichere Bindung des Kindes und ein Entfaltungsraum, der die Autonomie des Kindes zulässt, sei geeigent, dessen individuelle Entwicklung entscheidend zu fördern.

Aus Sicht der Kinder- und Schulärztin Dr. Michaela Glöckler, eine von fünf Töchtern von Kügelgen, ist die Grundlage für eine individuelle und gesunde Entwicklung von Kindern, dass diese dabei unterstützt werden, ihre körperlichen und seelischen Bedürfnissen selbst wahrzunehmen. „Was ist für Kinder gewonnen, wenn sie sich in der digitalen Welt bewegen können und ihre Eltern sie mit immer neuen Spielsachen überraschen, anstatt Zeit zu investieren?“, fragte Glöckler in ihrem Vortrag über Bedingungen für eine gesunde Kindheit.

Glöckler leitete von 1988 bis 2016 die Medizinische Sektion am Goethenaum (Freie Hochschule für Geisteswissenschaften in Dornach/Schweiz). Zum „Mensch werden“ brauche es phantasievolles freies Spiel, das nicht durch technische Vorgaben gelenkt sei. Statt großer Spielzeugangebote sollten Erwachsene Respekt vor der Autonomie und Entdeckerfreude des Kindes haben, mit liebevoller Wahrnehmung die kleinen täglichen Fortschritte begleiten, also nach dem Grundsatz „Ich möchte, dass Du du selber wirst“ handeln.

Nutzen und Risiken

Einer der Referenten auf dem Symposion war der bekannte Psychiater und Bestseller-Autor Prof. Manfred Spitzer. Seine Kernthese geht dahin, dass digitale Medien die körperliche, geistige, seelische und auch die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen behindern. Der Gebrauch von Computern im Unterricht an Schulen oder während Vorlesungen und Seminaren an den Hochschulen vermindert den Lernerfolg, betonte der Ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und Gründer des dortigen Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL).

Multitasking sei keine lernbare Fähigkeit, sondern eine ineffektive Arbeitsorganisation, die zu längerfristig gestörter Aufmerksamkeit führe. Hinzu komme, dass digitale Medien ein Suchtpotential besitzen und längerfristig zu Ängsten, Unzufriedenheit und Depression führen. Aus diesen Gründen müssten Kinder geschützt werden. Bei Jugendlichen sei grundsätzlich immer zwischen dem Nutzen und den Risiken abzuwägen.

Auf allen Kontinenten in vielen Ländern dieser Erde gibt es mittlerweile Waldorfkindergärten. Waren es 1969 zur Gründerzeit von Kügelgens 24 Kindergärten in Deutschland und ungefähr 50 in der ganzen Welt, so gitbt es inzwischen in Deutschland rund 600, in der ganzen Welt rund 2000 Waldorfkindergärten.

In Ostasien ist ein regelrechter Gründungsboom zu verzeichnen, besonders in China. „Auch hier ist das treibende Motiv die Sorge um eine menschenwürdige Kindheit ohne den Menschen verachtende Leistungsforderung bereits in den ersten Jahren“, betonte Dr. Wolfgang Saßmanshausen, langjähriger Leiter des Rudolf Steiner Berufskollegs in Dortmund. Der Lehrer, Erziehungswissenschaftler und Fachbuchautor ist weltweit in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pädagogen tätig.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 161124-03DE Datum: 24. November 2016

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Kinder sollten nicht als kleine Erwachsene wahrgenommen und behandelt werden, warnen die Waldorfpädagogen Dr. Michaela Glöckler und Dr. Wolfgang Saßmannshausen.<br>Foto: Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V.