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Waldorfeinrichtung Schlössli Ins nimmt ein tragisches Ende

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By NNA Mitarbeiter

BERN (NNA) – Die Schweizer Jugendhilfeeinrichtung Schlössli Ins, die auf der Basis der Waldorfpädagogik gearbeitet hat, ist in der ersten Juliwoche aufgrund einer Anordnung des zuständigen kantonalen Jugendamts (KJA) in Bern geschlossen worden.

Über die Grenzen der Schweiz hinaus war das Schlössli, an dem auch Erzieher ausgebildet worden sind, bekannt für seine Fähigkeiten im Umgang mit Kindern, mit denen anderen Einrichtungen nicht mehr zurechtkamen. In den idyllischen alten Häusern des Schlössli in der Nähe von Bern fanden sie seit mehr als 60 Jahren eine neue Heimat. Rund 40 Kinder und Jugendliche sind von der Schließung der Einrichtung betroffen.

Interner Konflikt

Ursache der Schließung ist ein lang anhaltender interner Konflikt über den Kurs der Einrichtung. 2013 war die Jugendhilfe in der Schweiz auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt worden, die auch erhöhte fachliche Anforderungen mit sich gebracht hat. Seit 2007 seien diese Änderungen vorhersehbar gewesen, Einrichtungen hätten Zeit gehabt, sich darauf einzustellen, erläuterte ein Schweizer Jugendhilfeexperte gegenüber NNA. Auf diese „Zeiterfordernisse“ habe man auch im Schlössli reagieren müssen. Dabei sei man sich offensichtlich nicht einig geworden aufgrund der inneren Differenzen.

Bei dem eskalierenden Konflikt standen sich Vorstand und Heimleitung auf der einen und die Vertreter der Seiler-Stiftung auf der anderen Seite gegenüber, der die Gebäude des Schlössli gehören und die die Gründerfamilie repräsentiert. Ruth und Robert Seiler hatten das Schlössli 1953 als Heimschule gegründet. Ihre Söhne Michel und Ueli sind heute Geschäftsführer und Präsident der Seiler-Stiftung. Bis 2006 hat Ueli Seiler das Schlössli selbst 30 Jahre lang geleitet.

Im Gespräch mit NNA bedauerte auch die Leiterin des Kantonalen Jugendamts (KJA), Andrea Weik, die Schließung des Schlössli: „Da kam so viel zusammen, Neuausrichtung gegen Tradition, aber vor allem ist das eine menschliche Geschichte gewesen“. Um beide Seiten, sowohl um die Heimleitung als auch um die Vertreter der Seiler-Stiftung hätten sich Mitarbeiter geschart. Alle Maßnahmen, die das Jugendamt zur Beilegung des Konflikts ergriffen habe, hätten nichts gefruchtet. Unter anderem hatte es ein Mediationsverfahren gegeben.

Diese angespannte Situation habe man den sowieso schon belasteten Kindern der Einrichtung nicht länger zumuten wollen. Ein Urteil über die Konzepte beider Seiten sei mit der Entscheidung nicht verbunden, betont Andrea Weik. Sie kann sich durchaus auch eine Wiederöffnung des Schlössli vorstellen: „Wenn uns ein gutes Konzept vorgelegt wird, ist das denkbar. Das ist ein sehr geeigneter Platz für eine Jugendhilfeeinrichtung.“

Stiftungs-Präsident Ueli Seiler sieht die Ursache des Konflikts vor allem in der mangelnden Abstimmung zwischen der neuen Führung und den Mitarbeitern, wie er gegenüber NNA betonte. Außerdem wirft er der letzten Schlössli-Leitung schlechtes Management vor, durch das die Einrichtung auch rote Zahlen geschrieben habe in den letzten Jahren. Seiler unterstreicht, dass es bei dem Konflikt nie um die Qualität der Einrichtung gegangen sei. „Die Versorger, also Fürsorgeämter, Sozialversicherungen und die Justiz, die dem Schlössli die Kinder anvertraut hatten, waren zufrieden“. Er habe interveniert, meint Seiler, weil er den Stiftungszweck und damit die Impulse der Gründer gefährdet gesehen habe.

Im Interview mit dem Schweizer Internetfernsehen Time-To-Do zeigte sich der 72jährige untröstlich: „Das Schlössli ist mein Leben, jetzt blicke ich auf einen Scherbenhaufen. Es ist, wie wenn ein Tsunami darüber hinweggefegt wäre.“

Katastrophe

Michel Seiler, der stellvertretende Präsident der Stiftung, wird in den Presseberichten mit dem Vorwurf an das kantonale Jugendamt (KJA) zitiert, das Amt habe sich einseitig verhalten und mit dem Vorstand und der Heimleitung immer nur eine der Konfliktparteien angehört. Die mit der Führung unzufriedenen Mitarbeiter seien nicht in eine Lösungsfindung einbezogen worden. Seiler bezeichnete die Schließung als unverhältnismäßig und eine Katastrophe. Kinder, die oft schon traumatisiert seien, seien die Leidtragenden bei der Schließung des Heims.

Schüler, die ihre Familie verlassen mussten oder nie eine hatten, sollten nach dem Willen der Gründer im Schlössli sowohl eine Bildungsstätte als auch ein Zuhause finden. Das tragende Element für die Pädagogik des Schlössli war ein Menschenbild, das „den Menschen in seiner leiblichen, seelischen und geistigen Dimension erfasst“, hieß es auf der Homepage. Neben der Waldorfpädagogik sollten auch die Gedanken von Johann-Heinrich Pestalozzi, Erich Fromm und des Philosophen Jean Gebser entscheidende Anregungen geben.

Schlössli Ins bot Jugendlichen auch berufliche Ausbildungen an, u.a. im Bereich Handel, Schreinerei, Land- und Hauswirtschaft. Durch eine Vorlehre wurden dabei Voraussetzungen für eine berufliche Ausbildung geschaffen. Außerdem konnten Jugendliche internen zusätzlichen Berufsschulunterricht erhalten, der ihren individuellen Ressourcen entsprach.

Nicht betroffen von der Schließung ist die vor zwei Jahren gegründete Anker-Schule, eine Waldorfschule mit Kindergarten, die in Gebäuden der Einrichtung untergebracht ist. Stiftungspräsident Seiler sucht jetzt Initiativen, die die rund 20 leerstehenden Gebäude des Schlössli mit neuem Leben erfüllen.

END/nna/vog/ung

Bericht-Nr.: 140716-01DE Datum: 16. Juli 2014

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Schlössli Ins, das Anfang Juli geschlossen wurde. Seit mehr als 60 Jahren bot es Kindern und Jugendlichen eine neue Heimat.<br>Foto: Berner Zeitung