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Prophetische Vorwegnahme der Hitlerdiktatur. Viktor Ullmanns Oper „Sturz des Antichrist“ erstmals in der Schweiz aufgeführt

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By NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele

DORNACH (NNA) – Wenige Tage nach der Eröffnung der umgebauten Goetheanumbühne fand am 25. Oktober im Großen Saal die Schweizer Erstaufführung von Viktor Ullmanns dreiaktiger Oper „Der Sturz des Antichrist“ (nach der „Dramatischen Skizze“ von Albert Steffen) statt. Es handelte sich um ein Gastspiel des tschechischen „Moravian Theatre Olmouce / Mährisches Theater Olmütz“ unter der musikalischen Leitung von Miloslav Oswald, Regie führte Jan Antonin Pitínsky.

Vorausgegangen war ein einführender Vortrag des Musikologen und Ullmann-Spezialisten Marcus Gerhardts. Durch den neugeschaffenen Orchestergraben sind jetzt auch Opern aufführbar, wenn auch dem Goetheanum (ähnlich wie dem Festspielhaus Bayreuth) kein hauseigenes Opernensemble zur Verfügung steht.

Die tschechischen Gäste kamen aus einer Stadt mit reicher Musiktradition: Der achtjährige Mozart schrieb in Olmütz eine Symphonie, Beethoven komponierte seine Missa Solemnis zur Inthronisation eines Erzbischofs in der Olmützer Kathedrale, und nicht zuletzt war es Gustav Mahler, der dort in jungen Jahren als Kapellmeister wirkte.

Verfolgung

Der kurzzeitige Schönberg-Schüler Viktor Ullmann (1898-1944), lange vergessen und erst ab 1995 allmählich wiederentdeckt, war unter dem Hitlerregime gleich dreifach verfolgt: als Jude, als Anthroposoph und als Komponist „entarteter Musik“. Sein Leben endete 1944 im Vernichtungslager Auschwitz, nachdem er im Lager Theresienstadt noch eine Reihe bedeutender Werke schaffen konnte, darunter die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ nach eigenem Text. Ullmann blieb lebenslang ein weltanschaulich und religiös Suchender. Auf dieses Weise führte ihn sein Weg durch Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Freimaurerei (auch sein Lehrer Alexander Zemlinsky war Freimaurer) und Anthroposophie.

Ullmann sah das Goetheanum erstmals 1929, wurde zwei Jahre später Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft und trat 1938 hier auf Einladung Albert Steffens als Interpret eigener Kompositionen auf. Das war seine letzte Auslandsreise. Alle Emigrationspläne zerschlugen sich; auch bereits ausgewanderte Freunde konnten Ullmann nicht mehr helfen, ehe er von Prag aus deportiert wurde, zuerst nach Theresienstadt, später ins Vernichtungslager Auschwitz.

Das Thema „Antichrist“ wurde vielfach künstlerisch-literarisch aufgegriffen. Am bekanntesten wurde Solowjeffs „Kurze Erzählung vom Antichrist“, die besonders im anthroposophischen Milieu rezipiert wurde.

Entstehung

Die Ullmann als Libretto dienende, schon 1928 veröffentlichte und im April 1933 unter der Leitung von Marie Steiner uraufgeführte dramatische Skizze von Albert Steffen nimmt prophetisch die Hitlerdiktatur voraus, lässt sich aber auch auf andere totalitäre Regime beziehen. Ein Priester, ein Techniker und ein Künstler sind dem Diktat des Tyrannen ausgesetzt, der ihre Talente für sich ausbeuten möchte; nur der Künstler bleibt standhaft und führt so dessen Sturz herbei.

Ullmann hatte den Text in Stuttgart kennengelernt, wo er vorübergehend und mit wenig Glück in der „Goetheanum-Bücherstube“ arbeitete. Die Partitur wurde Ende 1935 beendet, wenige Tage vor dem Tod seines verehrten Vorbildes Alban Berg, mit dem er korrespondierte und dem er im „Goetheanum“ einen Nachruf widmete. 1936 errang seine Oper den renommierten Emil-Hertzka-Preis.

In der Jury saßen Zemlinsky, Krenek und Wellesz, allesamt selbst erfolgreiche Opernkomponisten. 1937 hoffte Ullmann vergeblich auf eine Uraufführung in Wien unter Felix Weingartner. Doch regten sich in Österreich bereits politische Widerstände, in Prag selbst war die Benachteiligung jüdischer Künstler noch schlimmer. Bis zur Uraufführung sollte es noch 60 Jahre dauern.

Farbige Tonalität

Musikalisch ist die Oper ein Erzeugnis der Schönberg-Schule, jedoch nicht in dogmatischem Sinne zwölftontechnisch, sondern in eigenständiger, farbiger Tonalität. Wie Alban Berg bezieht auch Ullmann Formen der absoluten Musik, etwa die Fuge in das operndramatische Geschehen ein. Auch stilistische Einflüsse Alexander Zemlinskys, unter dem Ullmann am Prager Theater als Kapellmeister wirkte, sind unverkennbar.

Einen solchen vollen Orchesterklang hatte man im Goetheanum bisher selten erlebt. Die Stimmen der ausschließlich männlichen Sänger waren volltönend und wurden nur selten von der Lautstärke der Instrumentalisten überdeckt.

Es wäre zu wünschen, dass Ullmanns geniale Musik mehr Beachtung fände, denn sie kann klanglich und strukturell durchaus mithalten mit der Musik anderer musikalischer „Größen“ des 20. Jahrhunderts.

Dem Stück angemessen war auch die (behutsame) Einbeziehung der Eurythmie – immerhin ist Eurythmie in der Oper noch relativ selten zu sehen. Mit dieser Oper werden – falls sie sich auch auf anderen Bühnen als reines Kunstwerk behauptet – auch wesentliche Gedanken anthroposophischer Weltsicht im Stil eines Mysteriendramas transportiert.

Herausragendes Ereignis

Freilich bleibt die Barriere des Verständnisses hoch, so dass Einführungsvorträge hier wahrscheinlich unverzichtbar bleiben werden. Durch sie könnte auch die für Steffen charakteristische manichäische Komponente herausgearbeitet werden: Erlösung des Bösen durch das Gute.

Das Premierenpublikum, offensichtlich größtenteils von weit hergereist, spendete herzlichen, lang anhaltenden Beifall. Diese Oper war Innerhalb der künstlerischen Veranstaltungen am Goetheanum ein herausragendes Ereignis.

END/nna/wgv

Vorausgegangene Aufführungen:

1995 Uraufführung in Bielefeld (CD-Aufnahme), 2007 Theater Hof (Bayern), 2009 Konzertante Aufführung im Rahmen des Festes Verbotener Musik in Theresienstadt, am 18. Oktober 2014 am Theater Olmütz. Inzwischen haben in Olmütz am 31. Oktober, 1. und 7. November 2014 weitere Aufführungen stattgefunden.

Literaturhinweise zu Viktor Ullmann

Verena Naegele: Viktor Ullmann. Komponieren in verlorener Zeit. Köln 2002. 496 Seiten.

Ingo Schultz: Viktor Ullmann – Leben und Werk. Kassel, Stuttgart und Weimar 2008. 279 Seiten.

Bericht-Nr.: 141116-05DE Datum: 16. November 2014

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Foto: Mährisches Theater Olomouc