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Organisationen der Zivilgesellschaft distanzieren sich von Corona-Protesten
Organisation der Zivilgesellschaft fürchten eine Vereinnahmung der Corona-Proteste durch die rechte Szene und kritisieren verbreitet Verschwörungsmythen und Verharmlosung der Pandemie. Es müsse Urteilsdisziplin geübt werden.
FRANKFURT/BERLIN/STUTTGART (NNA) – Organisationen der Zivilgesellschaft distanzieren sich gegenwärtig von den Demonstrationen in Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen. Sie befürchten eine Vereinnahmung der Proteste durch die rechte Szene und kritisieren verbreitete Verschwörungsmythen.
Es sei wichtig, „dem Staat auf die Finger zu schauen“, wenn es um die Einschränkung der Versammlungsfreiheit gehe, schreibt z.B. die globalisierungskritische Organisation attac auf ihrer Homepage. „Wenn Proteste und Gruppierungen aber in Form von Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien daherkommen, lehnen wir sie aufs Schärfste ab und distanzieren uns von diesen“, betont die Organisation.
Die Gruppierungen, die zu den Demonstrationen aufrufen, reichen aus der Sicht von attac „personell von Reichsbürger*innen über Verschwörungstheoretiker*innen, Mitgliedern der Montagsmahnwachen für den Frieden bis hin zu offen Rechtsextremen“. Auch bei der neu gegründeten Partei „Widerstand2020“, die sich vorwiegend aus Impfkritikern rekrutiere, fielen „teils rechtsextreme sowie antisemitische Inhalte auf“.
Durch Austausch und Organisierung in Gruppen wie den deutschlandweit lose vernetzten Telegram- und Facebook-Gruppen "Corona-Rebellen" entstehe Kontakt zur rechtsextremen Szene, welche zunehmend versuche, das Thema Corona für sich zu vereinnahmen. Wie bereits bei den Montagsmahnwachen drohe auch hier eine Unterwanderung durch die rechtsextreme Szene.
Scheinerklärungen
„Die aktuelle Lage und die verschiedenen Einschränkungsmaßnahmen infolge der Corona-Pandemie stellen uns alle vor eine schwierige Situation“, schreibt attac. Nach sechs Wochen eingeschränkter sozialer Kontakte sei “es menschlich, dass es zu Frustrationen und dem Gefühl der Ausweglosigkeit kommt“. Aber noch stehe die Erforschung des Corona-Viurs am Anfang und viele Fragen zum Krankheitsverlauf, zur Eindämmung und vor allem zur Heilung seien offen.
Verschwörungstheoretiker nutzten dies, „um mit Scheinerklärungen für ihre Welterklärung zu werben“. Diese beinhalteten sowohl Untertreibungen, dass Corona der Grippe sehr ähnlich sei, als auch Übertreibungen wie die angeblich bevorstehende Zwangsimpfung durch Bill Gates oder die Behauptung, die Pandemie stünde in Zusammenhang mit dem Mobilfunkstandard 5G.
„Tatsächlich setzt das Gesundheitsverständnis der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung komplett auf Prävention durch Impfungen und blendet damit alle sozialen Komponenten für Gesundheit (wie Wohnbedingungen, Armut, Krieg, usw.) aus“, schreibt attac. Dies schade einer umfassenden und emanzipatorischen Gesundheitspolitik, gleichzeitig verdienten Pharmafirmen sehr viel an einer solchen Strategie. Die Gates-Stiftung betreibe damit aber „nicht per se eine verbrecherische Politik, sondern folgt einem falschen, zu kritisierenden Ansatz“.
Warnung
Auch der Gründer der Kampagnenplatform campact, der Politikwissenschaftler Felix Kolb hat die rund zwei Millionen Unterstützer der Platform dazu aufgerufen, sich nicht an den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu beteiligen. Seit 25 Jahren organisiere er selbst Proteste, habe dabei mehrfach unliebsame Begegnungen mit der Staatsmacht gehabt und es sei ungewohnt für ihn, vor Protesten zu warnen.
Im Fall der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen halte er es jedoch für notwendig, weil viele der Proteste von einer „beunruhigenden Mischung aus Reichsbürger*innen, Rechtsextremen und einschlägigen Verschwörungsideolog*innen“ organisiert würden. Wer an ihren Demonstrationen teilnehme, mache sich „mit diesen Menschen gemein.“ Erschreckend sei auch das Gewaltpotenzial in den Reihen der Protestierenden. Polizei oder Journalisten würden aus den Demonstrationen heraus angegriffen und in Großbritannien seien Dutzende Mobilfunkmasten in Brand gesetzt worden.
Kolb wirft den Demonstranten außerdem eine Verharmlosung der Corona-Pandemie vor: „ Die Gefahr läuft auf diesen Protesten mit“. Viele verweigerten Masken und missachteten Abstandsregelungen. „Die Demonstrant*innen gefährden damit völlig unnötig sich selbst – aber auch ihre Familien, Polizeibeamt*innen, Ärzt*innen, Pfleger*innen und letztlich uns alle“. Durch die Proteste würde die öffentliche Unterstützung für die Schutzmaßnahmen unterlaufen.
Gefährliche Proteste
Einer lauten Minderheit gelinge es sogar, das Handeln von Landesregierungen zu beeinflussen, befürchtet Kolb. „Wenn nicht mehr Vorsicht und Wissenschaft die Corona-Politik bestimmen – sondern Ideologien und Emotionen – , schweben bald viele Menschen in Lebensgefahr“. Lasse die Vorsicht nach und gingen die Lockerungen zu weit, sei eine zweite Infektionswelle unausweichlich, die wahrscheinlich schlimmer würde als die erste. Deswegen seien die Proteste, die in einigen Städten entstehen, so gefährlich.
Es sei jedoch keine Frage, dass alle Maßnahmen kritisiert werden würden, betont Kolb. Manche seien „eindeutig überzogen“ gewesen wie die anfänglichen Verbote, auf einer Parkbank frische Luft zu tanken. Auch mangelnde Hilfen in der Krise seien ein wichtiger Teil des Diskurses, ebenso die fehlende Schutzausrüstung und die schlechte Bezahlung von Pflegepersonal in Krankenhäusern und Altenwohnheimen. Campact habe sich hier bereits eingemischt. „Bei aller Kritik dürfen wir aber nicht vergessen, mit welcher Wucht die Pandemie uns überrannt hat. Und wie schnell die Regierungen weltweit Entscheidungen treffen mussten – ohne viel über das Virus zu wissen.“
Im Vergleich zu anderen Ländern sei Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen. Im Detail hätten die Verantwortlichen sicher Fehler gemacht – auch in Deutschland. „Aber: Im Kern waren die Maßnahmen zum Infektionsschutz richtig und angemessen. Die Alternative wären mit hoher Sicherheit Tausende, wenn nicht Zehntausende zusätzliche Tote gewesen – bevor die Bundesregierung dann doch die Notbremse gezogen hätte. Denn dem Coronavirus einfach freien Lauf zu lassen, bedeutet den Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Das kann niemand wollen, der bei Verstand ist“, schreibt Kolb.
Urteilsdisziplin üben
Auch der Bund der Freien Waldorfschulen (BdfWS) nutzte eine Stellungnahme zur Wiedereröffnung der Schulen in Deutschland für mahnende Worte an Eltern und Lehrer der Waldorfschulen, „Urteilsdisziplin“ zu üben, die „über polarisierende Vereinfachungen“ hinausführe. „Wir brauchen einen offenen, auch kontroversen, Diskurs, aber keine Verschwörungsmythen – die bewirken das genaue Gegenteil. Deswegen habe der BdFWS in seiner Stellungnahme sachliche Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt.
Die Stellungnahme, die an die Waldorfschulen verschickt und auf der Homepage veröffentlicht wurde, enthält auch eine Einschätzung der medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, dem Goetheanum zur Corona-Pandemie und Empfehlungen zur Wiedereröffnung von Schulen und Kitas. Die Waldorforganisation appelliert an ihre Mitgliedsschulen, die Corona-Krise „im Sinn von gegenseitiger Stärkung und Wertschätzung zu meistern“.
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 200524-03DE Datum: 24. Mai 2020
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