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„Mit Feindbildern blüht das Geschäft der Rüstungsindustrie wieder“: Konfliktforscher Friedrich Glasl im Gespräch

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By NNA Mitarbeiter

Friedensfähigkeit war ein großes Thema bei der Tagung bzw. Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft Ende Juni in Kassel. Referiert dazu wurde u.a. vom bekannten Konfliktforscher und Organisationsberater Prof. Friedrich Glasl aus Salzburg. NNA hat seinen Vortrag zum Anlass für ein Interview genommen.

KASSEL/SALZBURG (NNA) –NNA |Herr Prof. Glasl, Sie sprachen in Kassel vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft zum Thema Friedensfähigkeit – hatte das einen bestimmten Grund?

Glasl | Ich war sehr froh, dass die Gesellschaft mich zu diesem Thema eingeladen hat – es ist mein Lebensthema – und gegenwärtig stellt sich ja vielen Menschen angesichts der zunehmenden bedrohlichen Konflikte weltweit die Frage: Was lässt sich tun?

NNA | Und was ist dazu Ihre wichtigste These?

Glasl | Man kann bei allen Konflikten der Gegenwart eine grundsätzliche Beobachtung machen: Sie haben die Tendenz, Dinge, die eigentlich zusammengehören, aufzuspalten und zu polarisieren. So entsteht der Eindruck, dass sich unversöhnliche Gegensätze gegenüberstehen. Durch die Medien bekommen wir ja auch schon die polaren Bilder geliefert.

Ein Beispiel, das ich auch in Kassel ausgeführt habe, ist die NATO-Übung in Osteuropa. Die russische Seite nimmt das sofort als Provokation in der Nähe ihrer Grenze wahr, die NATO-Seite argumentiert mit einer Bedrohung der östlichen EU-Länder durch Russland. Jeder reagiert nur, der Auslöser ist immer der andre. Man schiebt sich gegenseitig die Verantwortung für den Konflikt zu. Es ist die Frage, ob man diese Art der Betrachtung so hinnehmen will.

NNA | Wie würde eine andere Wahrnehmung aussehen?

Glasl | Diese andere Wahrnehmung kommt dadurch zustande, dass man sich bewusst macht: alle Konflikte sind Interaktionen beider Seiten. Es gibt auch in der Geschichte fast keinen Konflikt, der nur von einer Seite hervorgebracht worden ist.

Durch die gegenwärtige polarisierende Wahrnehmung ergibt sich z.B. der Eindruck, es verläuft ein Graben zwischen Mittel-, West- und Osteuropa. Das stimmt aber so nicht. Die europäische Kultur gehört zusammen, ihren Wert erkennt man nur, wenn man das fruchtbare Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Teilen akzeptiert. Es ist ein Rückfall in alte Muster, wenn man davon ausgeht, wir hier im Westen vertreten die demokratischen Werte und im Osten herrscht Neostalinismus. „Mit dem ist nicht zu reden“ ist dann das Ergebnis einer solchen Sichtweise, Putin wird als krankhaft und machtbesessen dargestellt; dann veranstaltet man einen G8-Gipfel statt G9, die westlichen Politiker fahren nicht zur Olympiade nach Sotschi usw. Zum Glück gab es Ausnahmen, dass z.B. die deutsche Bundeskanzlerin zu den Feierlichkeiten zum Ende des 2. Weltkriegs nach Russland gefahren ist. Es war ja schließlich die Rote Armee, die Deutschland zu einem großen Teil vom NS-Regime befreit hat.

NNA | Worin liegen die Gefahren dieser Polarisierung?

Glasl | Die Gefahr liegt im Abbruch des Dialogs. Denn wir leben heute in einer Zeit, in der mehr und vor allem professionell begleitete Gespräche notwendig sind.

NNA | Wir sprechen heute direkt nach dem Referendum in Griechenland - deshalb erlauben Sie die Zwischenfrage: Gilt, das was Sie eben gesagt haben, auch für die Gespräche zwischen der EU und der griechischen Regierung?

Glasl | Das gilt auch für diese Gespräche. Ich kann die griechische Bevölkerung sehr gut verstehen mit ihren 60% Nein-Stimmen. Die Zustände in Griechenland sind katastrophal. Und auch führende Nationalökonomen weisen darauf hin, dass man nur mit Sparen ein Land umbringen kann. Die Problematik besteht ja nicht nur in Griechenland, sondern auch in Italien, Spanien und Portugal.

NNA | Was meinen Sie, wie das jetzt weitergeht?

Glasl | Die Politik hat da einen alten Trick – sie tauscht die Spieler aus. Der griechische Finanzminister Varoufakis, auf den sich alle als Buhmann eingeschossen haben, ist jetzt zurückgetreten. Die Spannung wird sozusagen personalisiert. Durch den Austausch der Spieler werden dann neue Gespräche möglich. Bei einem Ehekonflikt geht das nicht so leicht...

NNA | Wenn wir jetzt auf die Notwendigkeit der professionell begleiteten Gespräche zurückkommen – was heißt das genau?

Glasl | Wenn wie im Ukrainekonflikt die EU-Regierungen und die russische Regierung sich unter Nutzung der jeweiligen Medien in eine derartige Eskalation hineingesteigert haben, sind sie darauf angewiesen, dass Dritte ihre „Guten Dienste“ als Hilfe anbieten, wie z.B. die Schweiz, die UNO oder die OSZE. Das ist ein Weg, der seit Jahrhunderten beschritten wird. Der 30jährige Krieg wurde z.B. auch so beendet, da betrieb ein venezianischer Diplomat und der päpstliche Nuntius fünf Jahre lang Pendeldiplomatie zwischen den Konfliktparteien, so kam es dann zum Westfälischen Frieden.

Ich weiß aus erster Hand, dass der schweizerische Bundespräsident Burkhalter als Vorsitzender der OSZE im Ukrainekonflikt hinter den Kulissen sehr aktiv war und viel Schlimmes verhütet hat. In der EU sollte man froh sein, wenn einzelne solche Initiativen ergreifen, dass es wieder zu Gesprächen kommt. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hat das mehrfach getan, aber auch die deutsche Bundeskanzlerin. Diese Vorgehensweise hat sich viele Male bewährt – bei einer Blockbildung in der EU, durch die kein Land ausscheren kann, geht sie verloren.

NNA | Das ist alles sehr plausibel und jeder müsste es einsehen, aber warum kommt es dann doch immer wieder zu diesen Polarsierungen und damit zu Eskalationen?

Glasl | Die Frage ist, wem die Eskalation der Konflikte eigentlich nutzt. Das ist jetzt keine billige Polemik, sondern lässt sich auch durch viele Quellen belegen: die NATO hatte mit der Auflösung der Sowjetunion und dem Prozess der gegenseitigen Annäherung danach eigentlich ihre Daseinsberechtigung verloren. Das war sehr schlecht für die Rüstungsindustrie. Sobald neue Feindbilder entstehen, blüht das Geschäft wieder... Die NATO ist ja nicht nur eine politische Institution, dahinter stehen eben auch die Interessen der Rüstungsindustrie. Es wurde auch von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen, z.B. von dem Schweizer Historiker Daniele Ganser und mit Quellen belegt, wie von US-amerikanischer Seite im Ukrainekonflikt bewusst Hetze betrieben worden ist (siehe Interview mit Ganser in der Zeitschrift „Das  Goetheanum“ vom 1. Mai 2015, S. 6–9).

NNA | Es ist schon auffallend, wie sehr die Debatte um Sturmgewehre, Drohnen und Panzer in der letzten Zeit ganz selbstverständlich in den öffentlichen Diskurs in Deutschland einzogen ist.

Glasl | Das finde ich auch ganz alarmierend, wie stark sich überall zumindest in der Rhetorik die Bereitschaft zum Krieg artikuliert. Da wurde von den westlichen Mächten argumentiert, man müsse aus sog. humanitären Gründen intervenieren – z.B. in Libyen, in Afghanistan oder im Irak, dabei war das nur ein Vorwand, um territorriale Grenzen zu verletzen. Wenn man heute auf das Ergebnis schaut, ist durch diese Interventionen überall nur Chaos entstanden und die militanten Bewegungen wurden enorm gestärkt.

NNA | Was dann wiederum die Anschaffung neuer Bewaffnung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erforderlich macht oder den Abbau verschiedener demokratischer Recht unter dem Vorwand der Sicherheit... Gegenstimmen finden sich kaum – wobei man nicht vergessen sollte, dass auch in der EU die Mehrheit der Regierungen derzeit eine neoliberale Ausrichtung hat – d.h. die Menschen wählen auch die Vertreter dieser Richtung in Krisenzeiten. Wie sehen Sie diese Tendenz?

Glasl | Man kann sagen, dass gegenwärtig ein besonders starkes Spannungsverhältnis herrscht zwischen den progressiven und regressiven Tendenzen, das sind im Westen die Rechtspopulisten und in Russland der Altstalinismus, der gerade dort Urstände feiert. Hier wie dort werden Rezepte aus der Vergangenheit hervorgeholt, die ihre Unzulänglichkeit hinreichend bewiesen haben.

NNA | Am Anfang unseres Gesprächs standen die konkreten Möglichkeiten: Was kann der einzelne jetzt aus Ihrer Sicht tun?

Glasl | Wir dürfen als Zivilgesellschaft diesen Kräften nicht das Feld überlassen.

Zum Glück hat ja z.B. die deutsche Bevölkerung mehrheitlich in einer Umfrage betont, Deutschland dürfe sich nicht in militärische Konflikte der NATO hineinziehen lassen. Die Zivilgesellschaft muss sich mehr zu Wort melden! Den Nutzen konnte man ja sehen z.B. bei den Protesten gegen TTIP oder auch bei Stuttgart 21. Das ist ein Plädoyer an jeden einzelnen im Sinn von Stéphane Hessels Aufruf „Empört euch!“. Er hat klar formuliert als ehemaliger Widerstandskämpfer, dass das nicht das Europa ist, für das er sich im Kampf gegen das NS-Regime eingesetzt hat – das sollte ein Europa des Friedens, der Demokratie, der Freiheit und der Gleichheit sein.

NNA | Wenn jetzt Militärausgaben wieder eine so große Rolle spielen, führt das dann nicht auch dazu, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft? Weil die Rüstungsgelder eben z.B. nicht für Bildung investiert werden können? Angesichts der Tatsache, dass die soziale Ungleichheit in fast allen westlichen Ländern ständig zunimmt, wäre das doch eine weitere verheerende Folge der Konflikte...

Glasl | Zu Zeiten des kalten Krieges hatten wir immerhin noch die soziale Marktwirtschaft, die auf einen gewissen Ausgleich der sozialen Unterschiede bedacht war. Jetzt herrschen die neoliberalen Konzepte überall vor und werden von der Politik akzeptiert. Das sind ja nicht nur einfach politische Konzepte, dahinter steht eben genau dieser militärisch-industrielle Komplex, von dem vorhin schon die Rede war. Das lässt sich auch gut belegen, z.B. die Arbeiten der kanadischen Journalistin Naomi Klein sind hier zu nennen: „Die Schock-Strategie“. Wenn die Zivilgesellschaft in Europa dieser Entwicklung etwas entgegensetzen will, darf sie nicht untätig bleiben, sie muss die Dinge selbst in die Hand nehmen und sich engagieren.

NNA | Herr Prof. Glasl – vielen Dank für das informative Gespräch.

END/nna/ung

(Das Interview führte NNA-Chefreporterin Cornelie Unger-Leistner via Skype)

Bericht-Nr.: 150716-04DE Datum: 16. Juli 2015

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Foto: Thomas Trueten, www.trueten.de