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Mehr politisches Engagement der Zivilgesellschaft gefordert

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By NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz

BERLIN (NNA) – Die Zivilgesellschaft engagiert sich zu wenig und gefährdet dadurch die Zukunft späterer Generationen. Aber auch jeder einzelne könne für sich entscheiden, ob er Teil einer Entwicklung oder Teil eines Problems ist. Diese aufrüttelnden Thesen vertrat der Stifter des alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, auf einer Tagung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland in Berlin zum Thema „Wie wird der Geist wirksam?“

Von Uexküll sprach als Vorstandsvorsitzender des Weltzukunftrats (WFC), der sich als „Stimme zukünftiger Generationen“ versteht. Er berichtete den rund 600 Zuhörern von seinen Erfahrungen, dem Wissen um die heutigen Missstände und der mangelnden Zusammenarbeit der Entscheidungsträger. „Und das alles geschieht in unserem Namen“, machte er deutlich und forderte die Bürger auf, den Staat als ihren Staat zu sehen und nicht als denjenigen einer Minderheit.

Bei diesem Thema sei auch die Zivilgesellschaft angesprochen. In ihr sei zwar die Vielfalt zu sehen, doch mangele es am Pioniergeist, sie verstehe sich noch zu antipolitisch. Seine Aufforderung ging daher dahin, die Zivilgesellschaft zu repolitisieren. „Wir müssen bereit sein mit menschlichen Antlitz ein politisches Gegenüber zu haben“ und: „Wir müssen aktiver sein. Wir haben keine Wahl und haben nur diese eine Erde“, betonte er. Die Zivilgesellschaft laufe derzeit der Entwicklung hinterher, aber Handeln und Nichthandeln hätten tiefgreifende Wirkung.

Uexküll stellte die Fragen: Welche sind die Veränderungen, die wir jetzt brauchen, welche Regeln und Rahmenbedingungen müssen entstehen? Dabei betonte er, dass die Welt durchaus veränderbar sei. An vorderster Stelle steht für ihn das Finanzwesen: Da wir gegenwärtig vom Geld beherrscht werden, müssten wir uns zuallererst damit beschäftigen. Mehr Aktivitäten in der Zivilgesellschaft sollten hier zur Aufklärung beitragen, es gehe z.B. darum zu analysieren, wie Geld entsteht. Der Bürger müsse der Politik nahe genug sein, um sie zu verstehen. An die Politiker richtete er den Appell, dass ohne ein ökologisches Grundverständnis politisches Handeln heute nicht möglich ist.

Beim anschließenden Podiumsgespräch stellte Moderator Michael Schmock Vera Lengsfeld vor. Sie war in der Opposition der DDR aktiv und musste Haft und Abschiebung erleben. Ihre Ratschläge aus dieser Zeit waren: Die Politik von unten aufweichen z.B. durch Eingaben und dadurch politischen Druck erzeugen. Jede einzelne Aktivität sei auf die Dauer zu sehen, mit Verbündeten zusammen sei es auch damals gelungen, die Verhältnisse zu verändern. Sie stellte reflektierend die Frage, welche Fähigkeit man stärken müsse und meinte dazu: Jeder, der zur besseren Einsicht gekommen sei, sollte ermutigt werden, diesen Weg zu gehen.

Wolfgang Gutberlet, der das Lebensmittelgeschäft seines Vaters übernommen und es zur heutigen Firma tegut entwickelt hat, schilderte einzelne Schritte dieses Weges. Tegut ist ein Handelsunternehmen, das den Menschen gute Lebensmittel anbieten möchte, es ist inzwischen auf 280 Märkte angewachsen. Widerstände und Leiden seien notwendige Bedingungen von Entwicklung, so Gutberlet, daraus entstünden die Ideen, die neue Wirkungen hervorbrächten. „Man neigt dazu, zu sehen, was man tun könnte, wenn man an der Stelle des anderen stehen würde. Dadurch übersieht man, was man selbst tun kann“. Wichtig sei, den Menschen mitwirken zu lassen und selbst als Mensch mitzuwirken, Schritt um Schritt. Dabei solle aber die Freiheit erhalten bleiben. Es ginge auch nicht darum, weitreichende Ideale zu verwirklichen. Es sei immer an der Stelle anzusetzen, die gerade anstehe für eine weitere Entwicklung.

Gerald Häfner, Mitbegründer der Partei „Die Grünen/Bündnis 90“ war zwölf Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags und ist seit 2007 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Er führte aus, dass Europa seine Aufgabe noch gar nicht recht ergriffen hat. In Zusammenwirken zwischen Staat und Privatleuten wäre vieles möglich, Fortschritte seien zu bemerken. Die Menschen seien heute weiter, hätten die Fähigkeit, Gefühl dafür zu entwickeln, was richtig sei. Er bekräftigte diese Behauptung: Würde man Jugendliche befragen nach ihren Berufswünschen, so sei die Antwort: „Es soll etwas Sinnvolles sein“.

Notwendig sei ein geistiges neues Weltbild, stellte Häfner in den Raum. Die Umwelt sei zu schützen, das sei bekannt und verschiedene Netzwerke hätten das aufgegriffen. Anthroposophie, betonte Häfner gehöre allen, Anthroposophie als Haltung müsse aber Ausdruck lebendigen Handelns sein.

Hinsichtlich der Geldwirtschaft waren sich Uexküll und Häfner in der Sache einig:

Was fehle, sind gültige Gesetze. Überschuss könne entweder in Unsinn oder in Mäzenatentum fließen. Geld solle wieder ein Verkehrsmittel werden. Auch Häfner betonte, dass die Gesellschaft die Herrschaft über das Finanzwesen wieder erlangen muss: „Wir sollten das Geld bestimmen, nicht das Geld uns“, betonte er. Derzeit sei Europa weit davon entfernt, die finanziellen Probleme der Krisenjahre 2007 und 2008 gelöst zu haben. Es sei nur Zeit gekauft worden, die Probleme seien in die Zukunft verschoben.

Häfner vertrat auch die Auffassung, dass Versicherungen Scheinsicherheiten seien, die möglicherweise nichts wert wären und forderte ein Nachdenken über andere Lösungen. Entscheidend sei, ob es Menschen gäbe, die helfen und gegenseitig füreinander sorgten. Denke man Arbeit und Einkommen getrennt, wie Rudolf Steiner es angab, so arbeiteten wir nicht für uns, sondern immer für andere. Daraus könne auch eine andere Handhabung der Altersvorsorge entstehen.

In jedem Menschen solle das Recht neu entstehen, man denke zu sehr bei Recht an Gesetze der Politiker. Das Grundprinzip des Rechts solle so werden, dass jeder Einzelne dazu beitragen könne. Es solle sich wandeln in Vereinbarungen.

Wenn man das Recht im Menschen selbst suche, entdecke man die Herzgegend. Dort könne man empfinden, was angemessen sei. So achte man auch darauf, wie man sich dem anderen gegenüber verhalte. Sehe man sich als Gestalter, so könne man an der sozialen Kunst teilhaben. Man gestalte immer mit, auch im Unterlassen, also seien wir alle verantwortlich, unterstützte er die Ausführungen von Uexkuell.

Jakob von Uexküll hat den Weltzukunftsrat 2007 gegründet. Die Anwesenden der Berliner Tagung erfuhren Einzelheiten zu vielen Themen, die vom WFC gegenwärtig erarbeitet werden. Das Thema Klima und Energie führte z.B. zu Leitlinien für eine konsequente Energiewende. Aus der Arbeit zu Frieden und Abrüstung entstand ein einmaliges Handbuch für Parlamentarier. Ebenso gehören Ernährungssicherheit, nachhaltiges Wirtschaften und die Einführung von Ombudspersonen zu den Arbeitsfeldern des WFC. Zu nachhaltiger Wirtschaft entstand eine Studie über „Die monitären Kosten der Nichtnutzug erneuerbaren Energien.“ In ihr werden die Verluste berechnet, die für zukünftige Generationen dadurch entstehen, dass fossile Rohstoffe immer noch zur Energiegewinnung genutzt werden. Jährlich vergibt der Council den Future Policy Award, den „Oskar“ für gute Gesetze Der WFC arbeitet dann daran, diese besten Gesetze international bekannter zu machen und auf ihre breite Einführung zu dringen. Zum Beispiel hat der Menschenrechtskommissar des Europarats dazu aufgerufen, zwei vom WFC empfohlene Gesetze aus Schweden und Britisch Columbia gegen die Diskriminierung behinderter Menschen weltweit einzuführen.

In einem Interview mit „mittendrin“, dem Informationsblatt des anthroposophischen Arbeitszentrums Berlin, hatte von Uexküll auch über sein Verhältnis zu Anthroposophie und Spiritualität gesprochen. Dabei würdigte er die „wichtigen Impulse“, die von der Anthroposophie heute ausgehen, z.B. im Umgang mit dem Finanzwesen oder auch der Landwirtschaft. Den „dogmatischen Materialismus“, der gegenwärtig das Denken in den westlichen Ländern beherrsche, stellte er ein „lebendiges Denken in Zusammenhängen“ entgegen. Die gegenwärtigen Dogmen der Wissenschaft, in denen der Mensch als eine Art Maschine angesehen werde, stellten eine „unglaubliche Verarmung des Lebens, der Forschung und des Menschen“ dar. Es sei erschreckend, dass dieses Denken nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Sozialwissenschaften gepflegt werde. Die moderne Physik weise beispielsweise in eine ganz andere Richtung.

Das Manifest des Weltzukunftsrats bezeichnete Uexküll als „neue Marke“ zur Rettung der Zivilisation. Notwendig sei eine globale Informations- und Erziehungskampagne zu ihrer Verwirklichung. Best practice-Beispiele seien zwar sehr wichtig, aber reichten nicht aus. „Die Krisen hängen zusammen und deswegen müssen auch die Lösungen zusammenhängend sein“, betonte Uexküll. Weltweit seien veränderte politische Rahmenbedingungen nötig.

END/nna/wil

Bericht-Nr.: 130714-03DE Datum: 14. Juli 2013

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