Single News
Langer Stasi-Schatten wirkt auch auf die Wirtschaftskraft
Eine Untersuchung über die Gründe für Krise und Wahlverhalten in Ostdeutschland hat gefunden, dass Digitalisierung, Globalisierung und die Stasi-Vergangenheit mit als Ursachen angesehen werden können.
WITTEN-HERDECKE (NNA) – Die Gründe für die ungleiche Verteilung der Wirtschaftskraft zwischen Ost- und Westdeutschland hat Prof. Marcel Tyrell von der Universität Witten/Herdecke (UWH) untersucht. Dabei kommt der Experte für Banking und Finance zum Ergebnis, dass Digitalisierung, Globalisierung und die Stasi-Vergangenheit im Osten als Ursachen angesehen werden können. Auch das Wählerverhalten im Osten lasse sich vor diesem Hintergrund erklären.
„Es gibt so etwas wie den langen Schatten des Stasi-Überwachungssystems“, erklärt Tyrell seinen Ansatz, den er schon in einer ersten Studie 2007 veröffentlicht hatte. Inzwischen gibt es aber auch weitere Studien, die seine Annahmen bestätigen: „Die jahrelange Unterwanderung hat aus verständlichen Gründen das Misstrauen vieler Ostdeutscher so massiv gestärkt, dass es sich bis heute ganz handfest auf Wirtschaft und Wahlverhalten auswirkt“, heißt es in einer Pressemitteilung der UWH dazu.
Tyrell kann seine Hypothese mit Zahlen belegen: Wo die Überwachung am dichtesten war, ist bis heute die Arbeitslosigkeit am höchsten und damit die Wirtschaftskraft am geringsten. „Außerdem finden wir dort massive Störungen von etwas, das wir Sozialkapital genannt haben“. Festmachen könne man das an der Wahlbeteiligung, der Mitgliedschaft in Sportvereinen und der Bereitschaft zur Blutspende.
Sie seien dort wesentlich geringer ausgeprägt wo die Bespitzelung gemessen an der Anzahl der Inoffiziellen Mitarbeiter am höchsten war. „Wir sehen diese Merkmale als Messgrößen für die lange Wirkung der Bespitzelung“, bewertet Tyrell seine früheren Ergebnisse, die aktuell von anderen Forschern (Lichter/Löffler/Siegloch, 2016) bestätigt werden.
Auch diese Forschungen kommen zu dem Schluss, dass die Stasi-Aktivität zu geringem Vertrauen und sinkender gesellschaftlicher Aktivität geführt haben, die dann in Abwanderung und steigender Arbeitslosigkeit gemündet habe „Wirtschaft setzt Vertrauen voraus, oft geht es um Geschäfte mit mündlichen Absprachen, das geht eben ohne ein Grundvertrauen nicht und das hat der Überwachungsapparat vernichtet Die ältere Generation habe diesen Vertrauensverlust oft auch an die Kinder weitergegeben, um diese zu schützen, so die These von Tyrell.
Ungleichverteilung
Der Ökonom hat außerdem weitere Untersuchungen zusammengefasst, die das Thema der Ungleichverteilung noch aus anderem Blickwinkel betrachten.
Wenn man z.B. auf einer Deutschlandkarte einzeichne, wo die meisten Roboter in der Produktion eingesetzt sind, erkenne man deutlich die ehemalige Trennlinie zwischen BRD und DDR wieder. Ganz viele stehen im Westen, ganz wenige im Osten: „Die Roboter haben in Deutschland aber keine Arbeitsplätze vernichtet, wie die Studie von Dauth/Findeisen/Südekum/Wössner (2017) eindeutig zeigt. Vielmehr bringen sie Einkommenszuwächse bei hochqualifizierten Beschäftigten und nur leichte Rückgänge bei ganz einfachen Arbeiten, während mittelqualifizierte Arbeitnehmer die höchsten Einkommensverluste zu verzeichnen hatten“, schildert Tyrell die Auswirkung.
Trage man Ab- und Zuwanderung in die Deutschlandkarte ein, erkenne man wiederum die Grenzen der beiden ehemaligen Teilstaaten sehr deutlich mit Ausnahme des Raums Berlin. Neun Prozent Abwanderung in den Jahren 2000 bis 2014 im Osten, Zuwanderung in Süddeutschland, am Rhein und im Norden.
Eine weitere Studie hat die Auswirkung von Globalisierung und Digitalisierung auf das Wahlverhalten untersucht. Trage man ein, wo die örtliche Wirtschaft durch zunehmende Exporten aus China und Osteuropa in Mitleidenschaft gezogen worden ist, sei ebenfalls der ehemalige Grenzverlauf gut zu erkennen, einige andere grenznahe Gebiete im Westen sind ebenfalls betroffen.
Vertrauensverlust
Tyrell sieht hier einen Hintergrund für das Wahlverhalten der Ostdeutschen. Mithilfe der Studien könne man zeigen, dass die Wähler in den betroffenen Gebieten das Vertrauen in die etablierten Parteien verlieren und eindeutig Rechtsextrem wählen: „Das ist der Effekt, den wir auch bei der Wahl von Präsident Donald Trump in den USA beobachten konnten. Interessanterweise profitierten aber in Ostdeutschland nur rechte Parteien, die Linke werde eher nicht mehr gewählt, interpretiert Tyrell die Studie von Dippel/Gold/Helblich/Pinto (2018).
Die Untersuchungen von Prof. Tyrell liefern aber auch Ansatzpunkte für Gegenstrategien: ein gutes Miteinander der Menschen sowie eine langfristige Verbesserung der Wirtschaftsstruktur führe dazu, dass krisenhafte Einflüsse besser bewältigt werden können.
END/nna/jh
Bericht-Nr.: 181209-03DE Datum: 9. Dezember 2018
© 2018 Nexus News Agency. Alle Rechte vorbehalten.