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„Jede Krankheit bedeutet, dass der Mensch reift!“
DORTMUND (NNA) - Mehr als 700 Besucher nutzten Ende September in Dortmund die Möglichkeit des Dachverbands Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD) sich auf dem Gesundheitskongress 2012 über alternative Therapiemöglichkeiten zu informieren. DAMiD sieht es als eines seiner Hauptanliegen, die Entwicklung, Förderung und Erhaltung von Pluralismus und Therapiefreiheit in der Medizin zu gewährleisten. Die „Wahlfreiheit ist eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, dass sich Patienten aktiv und verantwortungsbewusst für ihre eigene Gesundheit, bzw. Genesung einsetzen“, heißt es in einer Erklärung von DAMiD dazu.
Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens, unter deren Schirmherrschaft der Kongress stand, wies in ihrem Grußwort auf die große Bedeutung der anthroposophischen Medizin für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen hin. Die Veranstaltung wurde in enger Abstimmung mit dem Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke durchgeführt. In 24 angebotenen Workshops konnten sich die Besucher je nach Interesse den jeweils individuellen Gesundheitsfragen widmen.
Dr. med. Matthias Girke, leitender Arzt am Krankenhaus Havelhöhe in Berlin formulierte in einem Vortrag, dass die anthroposophische Medizin als komplementär Medizin zu verstehen sei, nicht als eine Alternative zur Schulmedizin. Der Arzt schaue dabei nicht nur auf der Ebene der Befunde des Patienten. Der Patient werde in der Heilung auch unterstützt bei Zuständen wie Angst, Unruhe, Leere und inneren Fragen der Biographie. Diese erweiterte Zuwendung sei ein wesentlicher Aspekt bei der Überwindung von Krankheiten. Aus den Erfahrungen mit seinen Patienten berichtete Girke von Reifungsprozessen, die an Menschen, die schwere Krankheiten überwunden haben, zu beobachten seien. Gut zu sehen sei dies auch als Urphänomen bei Kinderkrankheiten. In diesem Zusammenhang ging er auch auf die wichtige Bedeutung des Fiebers ein, die Heilung mit sich bringe und nicht unterdrückt werden solle. Heilung habe immer etwas mit Entwicklung zu tun, betonte Girke. Diese Entwicklung würde durch die anthroposophische Medizin dadurch gefördert, dass der Patient über die Verabreichung des Medikament hinaus als leibliches, geistiges und seelisches Wesen begriffen werde.
Der Patient müsse sich wahrgenommen fühlen. Es könne auch soweit kommen, dass der Arzt mit dem Patienten gemeinsam darum ringen müsse, den Sinn des Lebens für den Patienten wieder zu finden. Zudem wirkten Therapien wie Heileurythmie, Musik- und Kunsttherapie sowie rhythmische Massagen unterstützend. Dadurch werde der Patient auch immer im Team behandelt. Die erwähnten Therapieangebote konnten die Teilnehmer des Kongresses selbst in den Workshops kennenlernen. Angesprochen auf die höheren Kosten dieses aufwendigeren Therapieansatzes erläuterte Girke das Vorgehen im Krankenhaus Havelhöhe. Ressourcen seien durch eine möglichst schlanke Verwaltung entstanden, die dann mehr in Richtung auf die Patienten gelenkt werden konnten.
Knut Humbroich, leitender Arzt am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, schilderte die „moderne und integrative“ Organisationsform der anthroposophischen Medizin und ergänzte so die Ausführungen von Girke. Wie wichtig es ist, dass der Patient auch selbst aktiv wird, erläuterte Humbroich am Beispiel der Migräne. Sie entstehe dadurch, dass eine Schwellung der Gefäßwände dazu führe, dass das Gehirn vermehrt und schließlich zuviel durchblutet werde. Die Gabe von Tabletten blockiere das Anschwellen der Gefäßwände zwar, wirkungsvoll sei aber auch ein Fußbad mit Senfmehl, das das Blut wieder nach unten ziehe. Aus Untersuchungen wisse man, dass bei Migränepatienten bei Anspannung Erschöpfung nicht so schnell eintrete und sie sich nicht ausreichend von Reizen distanzieren könnten. Deswegen sei es wichtig, dass ein Migränepatient aktiv zu seiner Entspannung beitrage.
Dr. med. Hendrik Vögler, Arzt des Ita-Wegman-Therapeutikums in Dortmund sprach von seinem Vertrauen in die Naturprozesse. Er schilderte wichtige Fragen in der Zuwendung zum Patienten: Was ist bei diesem individuellen Patienten wichtig, was spielt sich im Körper ab, in welcher biographischen Situation steckt der Patient, wie ist sein Organismus in der Lage, sich zu regenerieren. Der Patient sei nicht Objekt, sondern Subjekt der Medizin und die anthroposophische Medizin als komplementäre Medizin integriere die spirituelle und individuelle Ebenen.
Menschen, bei denen die verschiedenen Ebenen in Resonanz stünden, könnten auch Belastungen besser standhalten, so Vögler. Für eine gute Selbstregulation müsse man wissen, was einem helfe: Sicherheit, Wohlbefinden, Lust und Sinn. Sicherheit für die physische Existenz, Wohlbefinden in der Ebene der Vitalität, dem Freisein, Lust als eine erfüllende genussvolle Erfahrung und Sinn als eine vernünftige Koordination der einzelnen Lebensebenen. Den Patienten unter den Zuhörern riet er, Solidarität mit ihrem Arzt aufzubauen für den individuellen Heilungsweg.
In dem Workshop von Dr. phil. Bettina Berger mit dem Titel „Raum für Eigensinn“ ging es um die Patientenkompetenz als Weg zur eigenen Therapie. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medizintheorie an der Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke (UWH) schilderte moderne Werkzeuge zur Steigerung der eigenen Kompetenz und stellte Entscheidungshilfen vor. Sie könnten präventive, therapeutische oder diagnostische Maßnahmen betreffen. Über Printmedien, Internet z.B. bekäme man durch Abfragen persönlicher Präferenzen genügend Informationen, um „vom Patienten zum Agenten“ seiner Erkrankung zu werden. Auch so könne die subjektive Situation mit eingebunden werden. Unabhängige Patientenberatungen seien zunehmend in den Städten anzutreffen. Sie helfen den Menschen beim Abwägen der individuellen Entscheidungsmöglichkeiten. Entscheidungshilfen könne man auch über die Krankenkassen bekommen, um grundlegende Informationen im Umgang mit der Erkrankung als angemessene Unterstützung einzuholen. Nicht zuletzt kann eine Begleitung aus dem persönlichen Umfeld den Gang durch die Krankheit erleichtern, wurde vom Publikum ergänzt.
Im Workshop zu Schlafstörungen ging es dann auch um die „ignorierte Volkskrankheit“, die nicht nur ein Problem des Einzelnen darstelle, sondern auch als gesellschaftliches Problem zu sehen sei. Dr. med. Matthias Kröz, Facharzt für innere Medizin, Somnologie im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin berichtete von wissenschaftlichen Untersuchungen, nach denen die normale Schlafens-zeit pro Nacht seit 1995 von 8 auf 7 Stunden zurückgegangen ist. Er bezeichnete dies eine Erscheinung der Leistungsgesellschaft. Weder viel längerer noch viel kürzerer Schlaf wirke sich gut auf den Organismus aus.
Ein gesunder Schlaf diene der Erholung und der Gehirnreifung, der neurologischen Plastizität. Das Gedächtnis benötige Schlaf, damit das Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übergehe. Auch ein Lernprozess finde statt, der das praktische Tun verbessere und zukünftige Fähigkeiten entwickle, so Kröz. Ein Therapieplan beinhalte eine progressive Muskelentspannung, eventuell Phantasiereisen. Die innere Haltung sei mit entscheidend und auch äußere positive Umstände. Ein Schlafzimmer ohne Fernseher, vorheriges „Abschalten“ von der inneren Beschäftigung, regelmäßige Aufsteh- und Zubettgehzeiten bei eigenem Rhythmus und ein Aufenthalt im Bett nur zum Schlafen wirkten sich gesund aus. Bei Nikotin- oder Alkoholkonsum bekomme man weniger Tiefschlaf, deshalb fühle man sich auch nicht ausgeschlafen am Morgen, fügte er hinzu. In den jetzigen Schlaflabors werde kein Schlaf tagsüber empfohlen.
Neurodermitis und Heuschnupfen als Allergie wurden im Workshop von Dr. med. Tobias Sprenger erläutert. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin, und Medizinischer Direktor der Villavita-Tagesklinik für Ganzheitliche Medizin in Köln. Ein entfremdetes Verhältnis zur Natur benannte er als eine wesentliche Ursache der zunehmender Häufigkeit von allergischen Erkrankungen. Allergiker seien oft zu stark nach außen orientiert, hellwach, mit den Sinnen in klarer Präsenz. Weniger Präsenz sei in den inneren Prozessen. Könne das Immunsystem alles nicht leisten, so käme es zu Überreaktionen. Histamine und Cortison könnten in einem Fall angewendet wichtig sein, wirkten aber nicht heilend. Es gehe mehr um die Stärkung der Wärmeorganisation und damit auch der Verdauungskraft. Eine weitere Ursache für die Zunahme von Allergien sei auch der Rückzug der parasitären Erkrankungen. Je mehr das Immunsystem gefordert würde, um so besser entwickele es sich. Fieberhafte Erkrankungen seien dazu förderlich.
Weitere Workshops galten Themen wie „Bluthochdruck ganzheitlich therapieren!“, „Kinderkrankheiten natürlich behandeln“, „Wenn Knochen, Muskeln und Gelenke schmerzen, „Die Schilddrüse - ein kleines Organ mit großer Wirkung“, „Behandlungsmöglichkeiten der Anthroposophischen Medizin bei Demenz, Parkinson und Multipler Sklerose“ oder „Dem Krebs begegnen - Therapeutische Strategien der Anthroposophischen Medizin.“
In den Pausen war reges Treiben an den Ständen im Foyer zu beobachten. Wala Arzneimittel und Dr. Hauschka Kosmetik informierten mit einzelnen Themenheftchen und Gesundheitsratgebern. Fragen der Besucher zu Behandlungen wurden fachkundig beantwortet und Empfehlungen aufgeschrieben. Am Weleda-Stand bot man eine Handeinreibung an mit wohltuenden Produkten und weiteren Produktinformationen. Die Hersteller von Mistelextrakten Abnoba und helixor informierten über Einzelheiten der Misteltherapie. Wer nicht alles gewünschte Wissen an einem Tag sammeln konnte bei diesem reichhaltigen Angebot, ist auf den nächsten Gesundheitskongress verwiesen, den DAMiD jetzt regelmäßig alle zwei Jahre veranstalten will.
END/nna/will
www.unabhængige-patientenberatung.de
Bericht-Nr.: 121010-02DE Datum: 10. Oktober 2012
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