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Europawahlen: „Ein anderes Europa ist möglich“
BRÜSSEL (NNA) – Rund 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 Ländern sind vom 22.-25.Mai aufgerufen, zum achten Mal das Europäische Parlament zu wählen. Doch nie war die europäische Idee weiter davon entfernt, den Bürgern Europas eine politische Vision für die Zukunft zu bieten. Organisationen der Zivilgesellschaft fordern, die Krise als Chance zu sehen und für eine Umkehr zu nutzen.
Die meisten Bürger verbinden mit Europa nur noch Schuldenkrise, Bürokratie und den Abbau sozialer Rechte. So ist es nicht verwunderlich, dass z.B. 72% der Deutschen in einer jüngsten Umfrage des ZDF-Politbarometers bekunden, dass sie an der Europawahl keins oder nur ein geringes Interesse haben. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl sank in der Vergangenheit ständig, der EU-Durchschnitt lag bei nur 43%, in Deutschland waren es beim letzten Mal 45% der Wahlbeteiligten, die ihr Stimme abgab. In den osteuropäischen Mitgliedsländern lag sie bei nur ca 20%.
In Frankreich werden der rechtsextremen europafeindlichen Front National 24% vorausgesagt, damit würde sie sogar stärkste Partei in Frankreich. In Deutschland kandidiert die AfD (Alternative für Deutschlands) mit einem europakritischen Programm, sie kann den Prognosen zufolge mit 5% der Stimmen rechnen.
Forderung für ein solidarisches Europa
Organisationen der Zivilgesellschaft sehen das geringe Bürgerinteresse als Ausdruck der Krise eines „Europa der Regierungs,- Wirtschafts- und Finanzmarktinteressen“, das weiter denn je von einem Europa der BürgerInnen entfernt ist, wie der Rundbrief für Dreigliederung des sozialen Organismus schreibt, der auch die Zahlen oben veröffentlicht hat. Er fordert eine Verständigung über die Idee eines sozialen und demokratischen Europa: „Von uns hängt es ab, ob eine Ethik der Kooperation und Solidarität in Europa gelebt wird oder ob die vielfältige Kultur Europas und die aus ihr hervorgegangene Demokratie mitsamt den Menschenrechten und dem europäischen Sozialmodell immer mehr dem Markt geopfert werden.“
attac betont auf seiner Homepage, dass das „Engagement für ein solidarisches Europa und gegen die zunehmend unsoziale und undemokratische Ausrichtung der Europäischen Union“ für die Organisation eine „hohe Priorität“ habe. (www.attac.de/themen/europa)
„Mehr Demokratie e.V.“ setzt sich für einen europäischen Bürgerkonvent ein, um schrittweise eine demokratische Weiterentwicklung der Europäischen Union zu erreichen. Die Organisation war auch an der erfolgreichen Bürgerklage gegen die 3%-Hürde bei der Europawahl beteiligt.
Eine Kampagne mit dem Titel „Europa neu begründen“ wurde 2013 auf einem alternativen EU-Gipfel gestartet. Sie fordert, die Finanzkrise in „durch Solidarität und Demokratie“ zu überwinden. Mit ihrem neoliberalen Leitbild der Unterordnung der Politik unter die Dominanz der Finanzmärkte trage die EU nicht zur Lösung, sondern zur Verschärfung der Krise bei. „Statt Politikfehler und Profitgier als Krisenursachen zu benennen, werden die Staatsdefizite zu einer (Sozial-) Schuldenkrise umgedeutet, um eine desaströse Politik zu legitimieren “, schreibt das Bündnis aus Gewerkschaftern, Wissenschaftern und zivil-gesellschaftlichen Aktivisten. Öffentliche Ausgaben sowie Arbeits- und Sozialeinkommen würden in den Krisenländern durch europäische Vorgaben radikal gekürzt, die Kosten der Bankenrettung dadurch Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentnern aufgebürdet.
Keine Geheimniskrämerei
Mehr denn je seien solche europaweiten Bündnisse der Zivilgesellschaft vonnöten, die „im Zusammenspiel mit den progressiven Kräften im Europaparlament ein gesamteuropäisches Veränderungspaket auf die Beine stellen“, fordert Autor Wilhelm Neurohr im Rundbrief Dreigliederung. Er sieht Europa derzeit am Scheideweg: Eine europäische Bürgergesellschaft müsse verstärkt in Erscheinung treten als „wahre pro-europäische Bewegung“, die „ein anderes Europa“ nachhaltig und demokratisch gestalten kann, wenn sie sich auch als europäische Kulturbewegung versteht.
Die „Hinterzimmerpolitik“ der EU-Kommission, die beim Lissabon-Vertrag, beim Urheberrechtsabkommen ACTA, bei der Konzessionsrichtlinie zur Wasserprivatisierung oder der Dienstleistungsrichtlinie am Werk gewesen sei, sei nur durch ein Engagement der Zivilgesellschaft zu beenden, die sich gegen die Geheimniskrämerei und für mehr Rechte für das Europaparlament einsetze.
Zur Zeit hat das Europaparlament 736 Abgeordnete. Die stärkste Fraktion mit 265 Sitzen ist die Europäische Volkspartei (EVP), ein Zusammenschluss christdemokratischer und konservativer Nationalparteien, gefolgt von der Fraktion der Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D), zu der die SPD gehört mit 184 Abgeordneten. Die Allianz der Liberalen und Demokraten hat 84 Abgeordnete, die Grünen 55.
Zeichen setzen
In der letzten Sitzungswoche setzte das Europaparlament Zeichen mit einem einheitlichen europäischen Mechanismus zur Abwicklung von Banken und verabschiedete Regeln, nach denen nicht die Steuerzahler, sondern Aktionäre und Anleihegläubiger bei einer Bankeninsolvenz als erste zur Kasse gebeten werden. Einlagen von Sparern bis zu 100.000 Euro werden geschützt.
Außerdem beriet das Europaparlament über eine Veränderung der Regeln für den Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die verpflichtet werden soll, afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer zu bergen. Sie sollen auch nicht mehr in Drittstaaten zurückgeschickt werden können.
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 140424-02DE Datum: 24. April 2014
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