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Anthroposophie im gesellschaftlichen Dialog verwirklichen
Als Bestandsaufnahme ihres Wirkens war die Tagung „Wie wird der Geist wirksam?“ gedacht, die die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland verbunden mit ihrer diesjährigen Generalversammlung Ende Juni in Berlin veranstaltete. Bewusst knüpfte die Gesellschaft damit an ihrer Geschichte an, denn in Berlin hatte 1913 die allererste Generalversammlung stattgefunden. Ronald Richter berichtet.
Berlin (NNA) – Nach einem Wort Rudolf Steiners zeigt sich nach hundert Jahren, ob der Impuls der Anthroposophischen Gesellschaft wirksam wird. Gemeinsam sollte dies am historischen Ort der Kultur entdeckt werden, im Kammermusiksaal der Philharmonie, „mittendrin“ am Kulturforum am Potsdamer Platz gelegen. Im Rahmen der Tagung fand auch zum zweiten Mal der „Aktionstag Anthroposophie“ unter freiem Himmel statt, als Marktplatz der Möglichkeiten für anthroposophische Initiativen.
Anthroposophie, die schon im Namen das Menschsein trage, sollte im gesellschaftlichen Dialog verwirklicht werden, nicht als etwas Exklusives, betonte Generalsekretär Hartwig Schiller bei der Eröffnung der Veranstaltung.
In großer Vielfalt wolle man sich an möglichst viele Menschen wenden.
Wolf-Ulrich Klünker ergänzte: Man müsse umdenken und sich hineinbegeben in einen Bereich ohne weltanschauliche Grenzen.
In den einleitenden Worten zum Vortrag des amerikanischen Physikers und bekannten Autors Arthur Zajonc erläuterte Schiller, dass Rudolf Steiner den Begriff Anthroposophie als „Bewusstsein vom (eigenen) Menschsein“ übersetzt habe. Wie also werde der Geist im individuellen Menschen wirksam, nicht im Blick zum anderen, mit Blick ins Diffuse oder Allgemeine?
Arthur Zajonc sprach über „Geistige Erfahrung im bewussten Erleben“. Er fragte, warum es so schwer sei, die Wirklichkeit des Geistes zu beweisen. Gibt es einen Grund für den unsichtbaren Gott? Für Zajonc bedeutet dieser Zweifel einen direkten Schritt in die Freiheit. Und Freiheit pflege man in der meditativen Lebensaufgabe, um allmählich der Quelle zur geistigen Welt näher zu kommen, jedoch nicht um einen wissenschaftlichen Nachweis zu erhalten. Freiheit müsse auch darin bestehen bleiben.
Zanjoncs Vortrag mündete in eines der Podiumsgespräche des Kongresses. Teilnehmer waren neben dem Vortragenden Constanza Kaliks, der christliche Theologe Michael Bangert, der Zen-Buddhist Tho Ha Vinh und das Vorstandsmitglied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, Bodo von Plato.
Für Tho Ha Vinh wurde bereits als Teenager die Frage über den Tod zum Ausgangspunkt für Meditation. Heute, Jahrzehnte später, meditiere er, um den Boden zu bereiten für ein neues Menschenbild in Freiheit jenseits ideologischer Vorstellungen. Bodo von Plato stellte die Entwertung der Dinge im Überfluss bei gleichzeitiger Entdinglichung der Welt fest. Dies habe ihn auf die Suche nach einem inneren Leben geführt. Die seelische Not bringe ihn zu innerer Aktivität, trete an die Stelle der Dinglichkeit, um überhaupt noch empfinden zu können, ein tätiges menschliches Wesen zu sein. Dem Austausch über konfessionelle, mit Denkmustern behaftete Grenzen hinweg schlossen sich nachmittags Gesprächsforen zur Meditation an, in denen mit den Teilnehmern der Runde noch einmal intensiv deren unterschiedliche Weltbilder erkundet wurden.
In seinem Vortrag war Arthur Zajonc ganz selbstverständlich von der anthroposophischen Meditationspraxis ausgegangen. In der Öffentlichkeit wird Meditation jedoch eher mit dem Buddhismus oder New-Age-Angeboten dazu in Verbindung gebracht. Auf Nachfrage von NNA nach seinem Vortrag sah Zajonc hier ein Versäumnis der anthroposophischen Bewegung: „Der Grund, warum sich diese jungen Leute für die buddhistische Meditation entscheiden, ist ganz einfach: Wir sind nicht da. Wir sind absent, unerreichbar, einfach nicht da. Überall gibt es in jeder größeren Stadt die Möglichkeit irgendwohin zu gehen, um über Meditation nicht nur zu hören und zu lesen, sondern eine Einführung in die Meditationspraxis in einer Gemeinschaft zu erhalten. Während für unsere Art der Meditation es kaum Möglichkeiten gibt. Jetzt erst finden Veränderungen statt durch ,Meditation weltweit‘ – eine Goetheanum-Initiative. Aber über Jahrzehnte war es so, dass viele Menschen den anthroposophisch-meditativen Weg suchten, wir aber nicht da waren.“
In der Mitgliederversammlung der Gesellschaft, die Bestandteil der Tagung war, referierte Wolf-Ulrich Klünker über Forschung und Wissenschaftlichkeit in der Entwicklung der Anthroposophie.
Eine Aufführung mit dem Titel „Blitzlicht Eurythmie“ mit Birgit Hering und Beate Krützkamp aus Kafkas „Grenzgänger“ bildete den Abschluss zu den Diskussionsveranstaltungen. Insgesamt trugen die kulturellen Programmteile der Tagung wesentlich zu ihrer Atmosphäre bei. Als Höhepunkt empfanden die Besucher dabei die „Werkstatt Faust“, eine Koproduktion der theaterBurg Rosslau und des Forum Theaters Stuttgart, inszeniert von Jobst Langhans, dem langjährigen Leiter des Michael Tschechow Studios Berlin und der Schauspielschule im Forum Kreuzberg.
Sie verlangte den Anwesenden nach einem langen Tag zwar noch eine mehr als dreistündige Konzentration ab, entschädigte dafür aber mit einer herausragenden Faust-Interpretation, wie sie so heute im Theater eher nicht zu sehen ist. (Siehe dazu auch NNA-Bericht.)
Weitere thematische Veranstaltungen der Tagung widmeten sich der Zivilgesellschaft und der Medizin. Referent beim Thema Zivilgesellschaft war der Stifter des alternativen Nobelpreises Jacob von Uexküll. (NNA berichtet.) Tief berührt verließen die Besucher das letzte Podium über die ethischen Fragen von Transplantation und Organspende. Hier hatte Wolf-Ulrich Klünker mit den Ärzten Matthias Girke und Harald Matthes vom Gemeinschafts-krankenhaus Havelhöhe, Ralf Schindler von der Berliner Charité sowie dem Münchner Kinderarzt Georg Soldner diskutiert. Als „prägnanter Punkt“ blieb aus Girkes Vortrag das Wort einer „Transzendentalen Obdachlosigkeit“ in Erinnerung, der ursprünglich von Georg Lukács stammt. Für Klünker bezeichnet sie unter anderem den Bereich zwischen Krankheit, Organen und Therapie.
Girke stellte in seinem Vortrag die zentrale Frage, ob Organtransplantation Folgen haben könne für das nachtodliche Bewusstsein. Klünker schloss daran an: Was passiert eigentlich nachtodlich, wenn zwei Menschen am selben Organ partizipieren? Er vertrat die These, dass die gemeinsame Teilhabe an der Ätherik, also der Lebenskräfteorganisation durch transplantierte Organe, ein Weg der Entwicklung sein könne, der die Menschen möglicherweise weiterbringe.
Anthroposophie bezeichnete Klünker als ein Projekt ab dem 20. Jahrhundert, das einen menschenkundlich-spirituellen und zugleich wissenschaftlichen Ansatz entwickle, um die „Transzendentale Obdachlosigkeit“ zu überwinden.
Im Interview mit NNA zeigte sich Generalsekretär Hartwig Schiller abschließend zufrieden mit der Tagung, es sei eine Kunstform gebildet worden, in der „Impuls und Form in Übereinstimmung“ waren, denn: „Das ist das scheinbare Paradox, dass Verschiedenheit gemeinschaftsfähig ist und Anpassung und Gleichmacherei gerade nicht gemeinschaftsfähig sind. Das berührt das Geheimnis des Ichs.“ Dieses Wort würde sehr häufig verwendet, aber hier meine es eine Qualität, die „ bis zu dem durchstößt, was uns alle verbindet – eben das Gemeinsame des Geistes“.
END/nna/ror
Bericht-Nr.: 130714-01DE Datum: 14. Juli 2013
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