Nachrichtenbeitrag

Wo man sich mit Covid-19 anstecken kann und wo nicht...

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Von NNA Mitarbeiter

Der US-Biologe Prof. Erin Bromage postet detaillierte Informationen über die Ansteckungsmöglichkeiten mit COVID-19 und erzielt 18 Millionen Klicks. Auch die Forscherin Dr. Muge Cevik hat Erkenntnisse zum Thema zusammengetragen.

DARTMOUTH/ST. ANDREWS (NNA) – Mehr als 18 Millionen Menschen haben ein Posting von Prof. Erin Bromage, Biologe an der Universität von Massachusetts, Dartmourth/USA angeklickt, in dem der Biologe ausführlich über Ansteckungsmöglichkeiten mit COVID-19 aufklärt. Dr. Muge Cevik von der Universität St. Andrews in Schottland hat Erkenntnisse aus den Contact Tracing Studien in Asien zu dem Thema zusammengetragen.

„Ich wollte, dass die Leute aufhören, ihre Energien mit den falschen Dingen zu verschwenden“, erläuterte er auf Bloomberg.com seine Motivation für den Blog. Viele denken, wenn sie Viren ausgesetzt werden, steckten sie sich automatisch an – das sei aber nicht so. Wer nur im Supermarkt an einem vorbeilaufe, infiziere einen nicht und man müsse sich auch nicht vor Radlern ohne Maske fürchten, die an einem vorbeifahren, betont der Biologe.

Prof. Bromage nimmt in seinem Posting alle möglichen Übertragungswege von COVID-19 unter die Lupe. Sein Fazit: Entscheidend ist die Entfernung zum Infizierten, die Dauer, während der man dem Virus ausgesetzt ist und die Frage, ob dies drinnen oder draußen stattfindet. Prof. Bromage wünscht sich, dass gerade die Geschäftswelt die vorliegenden Erkenntnisse nutzt, wenn Lockerungen von strikten Lockdowns stattfinden.

„Wenn wir die Staaten wieder öffnen und dem Virus wieder mehr Nahrung geben, ist alles möglich. Ich verstehe ja die Gründe, warum wir die Wirtschaft wieder hochfahren, aber wenn wir das biologische Problem nicht lösen, wird sie auch nicht auf die Beine kommen“, schreibt Bromage in seinem Blog. Überall in den USA werde gerade „Öl ins Feuer“ gegossen hinsichtlich der Ausbreitung des Virus durch die Lockerungen. Mit seiner Darstellung möchte er die Menschen davor bewahren, sich Situationen mit hohem Risiko auszusetzen.

Wo liegt das Risiko

Sicher sei, dass die meisten Menschen sich in ihrem eigenen Haushalt angesteckt hätten, ein Mitglied des Haushalts ziehe sich den Virus außerhalb zu und trage ihn in sein Zuhause. Aber wo lauert dort das Risiko?

Um sich anzustecken, müsse man eine ansteckende Dosis von Viren abbekommen. Von anderen Studien über das Infektionsrisiko bei Coronaviren wissen man, dass nur geringe Dosen ausreichten, um sich zu infizieren. Experten schätzten, dass nur 1.000 SARS-CoV-2 Partikel ausreichen. Dies sei noch in Experimenten zu belegen, aber man könne die Zahl benutzen, um zu zeigen, wie Ansteckung funktioniert, schreibt Bromage. 1.000 infektiöse Viruspartikel könne man bereits in einem Atemzug oder bei einem Augenwischen abbekommen. 100 Viruspartikel, die man jeweils in einem Atemzug abbekommt, wenn man zehnmal einatmet oder 10 Partikel bei 100 Atemzügen, ergeben ebenfalls 1.000 Partikel. Jede dieser Situationen könne zu einer Infektion führen.

Eine infizierte Person, die hustet oder niest, setzt 200.000.000 Viruspartikel frei. Einige bleiben in der Luft, andere fallen auf Oberflächen, einige zu Boden. Eine Face-to-Face-Situation, in der diese Person hustet oder niest, ermöglicht ziemlich leicht die Übertragung der 1.000 Viruspartikel, erläutert Bromage.

Aber selbst wenn Husten oder Niesen nicht direkt auf einen gerichtet sei, könnten infektuöse Tröpfchen – die kleinsten – minutenlange in der Luft verbleiben und so jede Ecke eines mittelgroßen Raums mit Viruspartikeln füllen. Wenn man diesen Raum betrete – kurz nach dem Husten oder Niesen – reiche die empfangene Virusdosis aus, um sich zu infizieren.

Nur durch Atmen im Umfeld des Infizierten benötige man 50 Minuten, um die infektiöse Dosis aufzunehmen, berechnet Bromage. Dabei legt er Ergebnisse aus Influenze-Studien zugrunde, nach denen Erkrankte pro Minute 33 infektiöse Virenpartikel ausströmen können.

Sprechen erhöht den Output an Tröpfchen in der Atemluft um das Zehnfache, 200 Viruspartikel werden pro Minute freigesetzt. Hier reiche schon ein fünfminütiges Gespräch Face-to-Face, um die für die Ansteckung notwendige Dosis zu erreichen.

Wie Bromage weiter erläutert, ist die Gleichung Virusexposition mal Zeit auch die Basis für die Untersuchungen zum Contact Tracing, also der Nachverfolgung der Kontakte. Jeder, mit dem man mehr als zehn Minuten in einer Face-to-Face-Situation verbracht habe, sei potenziell infiziert. Und auch jemand, der einen Raum mit einem teile – z.B. ein Büro – für eine gewisse Zeit, gelte ebenfalls als potenziell infiziert. Dies sei der Hintergrund, warum alle Menschen mit Symptomen zu Hause bleiben sollten. Husten und Niesen verströmten so viele Viruspartikel in der Luft, dass die Menschen im ganzen Raum angesteckt werden können.

Aber nicht nur Menschen mit Symptomen verbreiten das Virus. „Wir wissen, dass mindestens 44% von allen Infektionen – und die Mehrheit der in Gesellschaft erfolgten Ansteckungen – von Menschen ohne jegliche Symptome übertragen worden sind (unsymptomatische oder pre-symptomatische Menschen) Schon fünf Tage, bevor die Symptome sich zeigen, können sie den Virus in Ihrer Umgebung verbreiten“. Kurz vor Auftreten der Symptome werde die höchste Viruslast in die Umwelt abgegeben, das sei auch unabhängig von Alter des Erkrankten.

Super-Spreading-Events

Abgesehen von den schlimmen Ausbrüchen von COVID-19 in Pflegeheimen seien die höchsten Ansteckungsraten in Gefängnissen, bei religiösen Zeremonien und an Arbeitsplätzen zu verzeichnen. Auch Beerdigungen, Hochzeiten und Geburtstagsparties gehörten in den USA zu den Super-Spreading-Events. Bromage stellt dann auf der Basis seiner Rechnung die Risiken dar, die sich beim Besuch von Restaurants, an Arbeitsplätzen, beim Chorsingen und beim Fitnesstraining in geschlossenen Räumen ergeben.

Im Restaurant steckte eine Person ohne Symptome die Hälfte der Personen an seinem Tisch an, die innerhalb der nächsten 7 Tage erkrankten. Zwei Drittel der Personen, die durch die Klimaanlage des Restaurants im Luftstrom des Tisches saßen, wurden ebenfalls krank. In einem Callcenter steckte ein einziger infizierter Mitarbeiter 94 von 216 Personen an, die mit ihm auf einer Etage arbeiteten. Beim Chorsingen ergibt sich das Risiko dadurch, dass mehr Tröpfchen in der Atemluft ausgestoßen werden und diese durch das Singen auch tiefer in die Lunge gelangen. Bei einem Chorauftritt in Washington, der zweieinhalb Stunden dauerte und schon unter Vorsichtsmaßnahmen wie Social Distancing und Verzicht auf Händeschütteln stattfand, infizierten sich 45 von 60 Chormitgliedern. Bei einem Indoor-Sport-Event in Kanada steckten sich 24 der 72 Teilnehmer an – durch die sportliche Betätigung komme es zu verstärktem Atmen und der Sport, Curling, erforderte einen engen Kontakt der Mannschaft.

Um die Wirkungen von Parties zu dokumentieren, erzählt Bromage am Ende seines Postings „eine wahre Geschichte aus Chicago“. Bob (der Name wurde geändert) war infiziert, wusste es aber nicht. Er teilte sich ein Essen von einem Lieferservice mit zwei Familienmitgliedern, sie saßen drei Stunden lang zusammen. Am nächsten Tag ging er zu einer Beerdigung, wo er verschiedene Menschen tröstend in den Arm nahm. Die Teilnehmer des Essens und eine Person, die bei der Beerdigung war, erkrankten.

Aber Bob war auch noch zu einer Geburtstagsparty gegangen, auf der sich neun Personen aufhielten für drei Stunden, sie umarmten sich und aßen zusammen. Sieben Personen erkrankten. Aber das war immer noch nicht das Ende der Ansteckungskette. Drei Personen, die bei der Geburtstagsfeier waren, gingen in eine Kirche, wo sie auch sangen. Auch in dieser Kirche steckten sich Leute an. Alles in allem war Bob am Ende verantwortlich für die Ansteckung von 16 Personen zwischen 5 und 86 Jahren. Drei von ihnen sind gestorben.

Ansteckungsrisiken

Auch Dr. Muge Cevik, Spezialistin für Infektionskrankheiten an der Universität St. Andrews in Schottland, hat sich mit der Frage der Ansteckungsrisiken beschäftigt. Sie hat sich in Studien aus Asien kundig gemacht hinsichtlich der Verbreitungswege von COVID-19. Sie wurden in China, Taiwan und Singepour auf der Basis von Contract Tracing, also der Nachverfolgung der Kontakte über Smartphones, erstellt.

Sie zeigen, wie sich COVID-19 tatsächlich unter den Menschen verbreitet hat – im Gegensatz zum Anfangsstadium der Pandemie, als vor allem mit Modellen und Simulationen Verbreitungswege nachgezeichnet worden sind. Auch hier ergibt sich, dass die Übertragung durch engen Kontakt und in geschlossenen Räumen stattfand wie im Haushalt oder am Arbeitsplatz. Risiken birgt es, zusammen zu essen, außerdem das Zusammensein in öffentlichen Verkehrsmitteln, erläutert Dr. Cevik. Gehe man dagegen kurz durch einen Supermarkt oder an jemandem zufällig draußen vorbei, müsse man eher keine Ansteckung befürchten, heißt es auch hier.

Im Durchschnitt steckt jeder Infizierte zwei bis drei Personen an, erläutert Cevik. (1) Dies sei jedoch ein Durchschnittswert, er bedeute, dass Infizierte auch niemanden anstecken können oder auch einige wenige sehr viele, wie dies in den sogenannten Super-Spreading-Events der Fall gewesen sei – in Europa gilt hier als Paradebeispiel eine Apres-Ski-Bar in Ischgl in Österreich. Diese Super-Spreading-Events gelte es zu verhindern, betont Cevik.

Die Studien zeigten, dass 9% der Infizierten verantwortlich gewesen seien für 80% der Übertragungen. Der Grund liege darin, dass COVID-19 extrem ansteckend sei, aber dies nur während eines kurzen Zeitfensters. Auch die Contract Tracing Studien zeigen, dass die Ansteckungsgefahr am größten ist kurz vor dem Ausbruch der Symptome und einige Tage danach. Bisher sei es noch eine offene Frage, wie viele Menschen, die keine Symptome aufweisen, die Krankheit bisher übertragen haben.

END/nna/ung

(1) Anm. der Redaktion: Dieser Wert bezieht sich auf die von ihr ausgewerteten Studien aus Asien.

Bericht-Nr.: 200609-01DE Datum: 9. Juni 2020

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