Nachrichtenbeitrag
„Wir brauchen eine Kulturrevolution!“ – GABV-Tagung in Berlin
BERLIN (NNA) – Zur 5. Versammlung der 22 Mitglieder der Global Alliance for Banking on Values (GABV) lud die GLS Bank Verantwortungsträger aus Unternehmen, Politik und Banken sowie Finanz- und Wirtschaftsexperten am 14. März 2013 ins Axica Kongress- und Tagungszentrum am Pariser Platz nach Berlin ein. Erstmals richtete die GLS Bank als einzige deutsche Mitgliedsbank die Konferenz der ethisch orientierten Bankenallianz aus, die zugleich die erste öffentliche ihrer Art war. Es ging um nichts geringeres als den „Wertewandel im Bankensektor".
Auf der Pressekonferenz mit Peter Blom, dem Vorsitzenden der GABV und CEO der Triodos Bank und Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank und Mitglied im Steering Committee der GABV, wurde die „Berliner Erklärung 2013 zur Transformation des Finanzsystems für mehr Stabilität und für die Menschen“ veröffentlicht. Darin fordert die GABV einen fundamentalen Wandel im Bankensystem. Nachhaltiges, wertebasiertes Bankgeschäft sei möglich und wirtschaftlich. Die Frage ist: Was ergeben sich daraus für Schlüsse, die allgemeingültig sein könnten? Dies versucht die „Berliner Erklärung“ in drei Punkten zusammenzufassen:
Transparenz: Aus Sicht der GABV kann ohne Transparenz keine Veränderung herbei geführt werden. Bankkunden und Anleger hätten ein Recht auf Transparenz über die Verwendung ihrer Gelder und die Geschäftsmodelle ihrer Banken. Nur Transparenz könne das Vertrauen wiederherstellen. Alle Banken sollten sich verpflichten, vollständige Transparenz über ihre Geschäftsmodelle sowie die Verwendung der ihnen anvertrauten Gelder zu gewähren.
Nachhaltigkeit: Banken spielen eine entscheidende Rolle bei der Transformation hin zu einer Wirtschaft unter nachhaltigen Aspekten. Daher sollten soziale und ökologische Kriterien ein fester Bestandteil ihrer Finanzangebote sein. Die sozialen und ökologischen Folgen von Bankgeschäften müssen anhand regulatorisch verbindlicher Indikatoren dokumentiert werden. Das Reformpaket Basel III mit dem höheren Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften sei zwar richtig, aber nicht ausreichend für ein Bankensystem, das sich nicht auf Korrekturen unerwünschter Entwicklungen beschränken, sondern die Kultur der Nachhaltigkeit integrieren will.
Vielfalt: Die Vielfalt wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Systeme erfordert ein vielfältiges Bankensystem mit regionalen und mittleren Banken. Für die Vielfalt der Banken müsse bis hinein in die Gesetzgebung Sorge getragen werden, um sie nicht nur zu erhalten, sondern auszubauen. Ohne sie sei keine positive Entwicklung möglich. Regierungen und Aufsichtsbehörden müssen sie als eigenes und substanzielles Ziel bei der Neuregulierung festschreiben. Auch die Vielfalt aus regionalen und dezentralen Banken mit ihren unterschiedlichen Geschäftsmodellen müsse dabei berücksichtig werden.
Wertorientiertes Geschäft
Auf Nachfragen zur Umsetzung erklärte Peter Blom: Wir seien geprägt von einer dreißigjährigen Entwicklung, in der Banken gewinnorientierte Unternehmungen waren. Dies hätten alle akzeptiert, nicht nur die Banker, auch die Regierungen und Kunden. So viel wie möglich Geld mit Geld zu machen war business as usual. Dass eine Bank aber kein traditionelles Unternehmen ist, das nach Gewinnmaximierung für seine Aktionäre zu streben hat, sondern eine breitere gesellschaftliche Funktion einnimmt, dieses Umdenken werde noch Zeit benötigen. Die Rolle müsse erst klar werden, dann könne man die dazu gehörige Kultur entwickeln.
Thomas Jorberg ergänzte: Eine Reihe von Schritten zum wertorientierten Geschäft bei den sozial ausgerichteten Banken seien bereits getan. Und längst nicht nur in einem Land, sondern global. Die Veränderung finde statt, zumindest bei den GABV-Banken. Er nannte grundlegende Gesichtspunkte, an denen nachhaltiges Bankgeschäft zu messen sei: Wie ist der Beitrag in Bezug auf die sozialen Fragen? Welche sozialen Standards gibt es? Wie sie sind die Auswirkungen im sozialen Bereich? Dies kann je nach Geschäftsmodell verschieden sein, in Bangladesh anders als in Europa. Entstehen Arbeitsplätze? Wird Selbständigkeit im mittleren Finanzbereich gefördert? Oder besonders in Deutschland: Können soziale Einrichtungen entstehen und weiter entwickelt werden? Damit auch ärmere Bevölkerungsteile entsprechenden Service haben.
Im ökologischen Bereich dreht es sich um den Standard der CO2-Emission, um die ökologische Landwirtschaft und letztlich um die Frage: „Sind wir ökonomisch?“ Die abstrakten Geldanlageformen, die mit der Realwirtschaft und sozialen und ökologischen Kriterien nichts mehr zu tun haben, müssen zurückgefahren werden. Bei den GABV-Banken gibt es so etwas nicht. Was benötigt werde sei eine Kulturveränderung. Es habe sich eine Kultur im Bankbereich entwickelt, in der Feindschaft angelegt sei. Die ganze Regulatorik beruhe darauf, dass aus dieser Kultur heraus keine Schäden entstehen. In der Kernleistung der Bank reduziere sich die Beziehung zum Kunden auf die Höhe des Zinssatzes.
Kulturwandel notwendig
Doch die eigentliche Leistung einer Bank sei es, Geld da hin fließen zu lassen, wo es gesellschaftlich gebraucht wird. Dies sei eine Kulturfrage, die heute nicht gestellt werde. Wir brauchen also eine Systemtransformation, die Verantwortung möglich macht. In der bestehenden Entscheidungsmatrix fänden sich keine Urteilsgrundlagen, um verantwortlich zu handeln. Das andere sei die Kulturveränderung. Und es bedürfe nicht zuletzt auch eines Kulturwandels beim Verbraucher, nämlich die Frage an die Bank zu richten: Was macht ihr mit meinem Geld?
Wie dieser Wertewandel unter welchen Prämissen zu schaffen sei, dies war Thema bei den hochkarätigen Rednern auf dem Kongress, wurde in Workshops und Diskussionen angegangen und nicht zuletzt während der Zusammenkünfte der Tagungsteilnehmer untereinander bei köstlichen Happen vom hauseigenen Cateringservice im eleganten Axica Kongresszentrum, dem Tagungsort, der sich hinter der gläsernen Fassade der DZ Bank am Pariser Platz auf vielen Ebenen und unterschiedlichsten Räumlichkeiten mit dem in den Himmel gewölbten Lichthof verbirgt.
Natürlich stellt sich die Frage, ob es hier nicht eine Nummer zu schick zugeht für ein Treffen der sozialen Banken aus allen fünf Kontinenten. Zumal wir ahnen, dass es eine alte Schönheit ist, der wir da huldigen.
Norbert Lammert, Präsident des „in Rufweite“ gelegenen Bundestags, machte durch seine Eröffnungsrede allerdings gleich deutlich, dass Edel-Design nicht davon abhalten muss, den Finger auf die Wunde zu legen. Er wies darauf hin, dass die Globalisierung in Verbindung mit der Informationstechnologie die Prozesse in einer nie da gewesenen Weise beschleunige. Daten können heute zeitgleich an vielen Plätzen der Welt verfügbar gemacht werden. Das hat die Rahmenbedingungen für politisches und wirtschaftliches Handeln fundamental verändert. Es habe dazu beigetragen, dass in einer Welt, in der nach wie vor Nationalstaaten existieren und handeln, keine Nationalökonomie mehr besteht. Betriebe, Unternehmen, Banken, die durch Selbstbeschränkung oder gesetzliche Bestimmungen auf einen Nationalstaat beschränkt seien, operierten gewissermaßen mit amputierten Gliedmaßen. Sie wären unter den veränderten Rahmenbedingungen nicht wettbewerbsfähig.
Die Folgen der Verfügbarkeit von Daten in Echtzeit seien nirgendwo nachhaltiger spürbar als auf den Finanzmärkten. Es bedürfe nur noch eines Computerklicks, um ein Geschäft zu tätigen, einschließlich der Entscheidung an welchem Ort dieses Geschäft rechtswirksam am zweckmäßigsten stattfindet. Vom Instrument zur Beförderung ökonomischer Prozesse sei Geld zum Selbstzweck geworden. Nirgendwo sei es einfacher, ungewollten Regeln auszuweichen, als auf den Finanzmärkten. Es geschehe außerhalb des Regelsystems mit „diabolischer Konsequenz“, die von sämtlichen Möglichkeiten Gebrauch mache. In Anlehnung an den Titel der Tagung sagte er: Offensichtlich sei, dass der Wertewandel sowohl im Regelsystem wie in den Mentalitäten notwendig ist, aber fraglich, ob er stattfinde. Die Ankündigung allein schaffe den Wertewandel noch nicht. Der Bundestagspräsident unterstrich mit den Worten Peter Sloterdijks, dass das Vorhaben des Wertewandels auf einen sich bereits vollzogenen Wandel trifft, der neue „Naturgesetze“ schafft: Haupttatsache der Neuzeit sei nicht, so Sloterdijk, dass sich die Erde um die Sonne dreht, sondern das Geld um die Erde.
Zinsen als ethisches Problem
Anschließend trat Tomáš Sedlá?ek, Chefvolkswirt der größten tschechoslowakischen Bank, Philosoph und Bestsellerautor („Die Ökonomie von Gut und Böse“), ans Pult. In bester Alleinunterhaltermanier sorgte er mit bösen Fakten für gute Stimmung: Herzstück aller Bankgeschäfte seien die Zinsen, holte er aus. Mit den Zinsen werde das Subjekt auf einen Inhalt bar jeder Ethik reduziert. Dass Zinsen ein ethisches Problem seien, dies könne man bei Aristoteles, in der Bibel, im Koran, bei Shakespeare nachlesen. Ich soll meinem Bruder, Nachbarn und Fremden keine Zinsen auferlegen. Vergleicht man Zinsen mit der Wirkung von Alkohol – wir sind ja in der Partystadt Berlin –, stellt man fest, dass, wenn ich mir am Freitagabend auf der Party mittels Alkohol gute Laune und Energie ausborge, sie der Kater am Samstagmorgen wieder zurück verlangt. Die Wirkung trete kalkulierbar am nächsten Tag ein, so dass ich sie mit meiner Terminplanung abstimmen kann und als Anfänger Sonntagabends tunlichst nichts trinke.
Bei den Zinsen sei das anders. Sie entfalten eine gefährliche Langzeitwirkung. Es sei ungefähr so, also ob ich freitags trinke, samstags keinen Kater habe, der mich aber plötzlich Mittwoch mittags überfällt, in einer Situation, in der ich ihn überhaupt nicht gebrauchen kann. Wir würden vorsichtiger trinken, verhielte es sich so, dass wir die Wirkung nicht vorher sagen können. Und dies sei der Punkt, so Sedlá?ek. Wir können die Zukunft mit den fundiertesten Kalkulationen nicht vierzig Jahre vorher voraussagen. Es ist wie ein Mittagessen zu bezahlen, ohne den Preis zu wissen. Es kann nicht funktionieren. Wir gehen mit einer übermächtigen Energie um, die wir nicht meistern können. Und er setzte dem entgegen: Der Markt sei nicht gottgleich, nicht heilig, er sei von Menschen für Menschen gemacht.
Wandel durch Beteiligung der Frauen
Nach dem Mittagessen - nicht gerade zur allerbesten Stunde, wie die Moderation befand - kam die einzige weibliche Rednerin zu Wort - ein Umstand, den viele bemängelten. Wendy Luhabe aus Südafrika, Soziale Unternehmerin und Vorstandsvorsitzende von Women Private Equity Fund in Johannesburg. Frau Luhabe berief sich auf MIT Wissenschaftler Otto Scharmers „Vom ich zum Wir“. Sie referierte über initiierte Projekte, die verantwortungsvolle Grundlagen für zukünftige Herausforderungen bilden, wie den Ausbau der Solarenergie, die Bereitstellung von reinem Wasser, das Anlegen von Bienenstöcken und nicht zuletzt die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Erst allmählich entwickle sich gegen die Widerstände in ihrer Heimat eine ökonomische Stärke bei den Frauen. Sie gehen anders mit Geld um, investieren in Lebensmittel, Erziehung, Bildung und Gesundheit. Wenn wir wirklich den globalen Wandel wollen, müssen Frauen an den Prozessen beteiligt sein, nicht um die Männer zu ersetzen, sondern um eine eigene Rolle zu spielen, analysierte Wendy Luhabe faktenreich.
Der Nachmittag mit den Workshops war angebrochen, an die sich gemeinsame Rückblicke auf den Tag und Ausblicke anschlossen, gefolgt vom feinen Abendessen, von einer nicht so inspirierenden Vernissage über Erfolgsgeschichten bei alternativen Banken und dem Schluss-Podium „Wertewandel im Bankensektor“. Nach beinahe zwölf Stunden unermüdlicher, hoch konzentrierter Tagung wurden hier männliche Changemaker in grauen Anzügen von der Strategie- und Kommunikationsberaterin Martina Dase zum Sprechen gebracht. Radikal war die Aussage des Vorstandssprechers der GLS Bank, Thomas Jorberg, angekündigt als „Deutschlands außergewöhnlichster Banker“ nach einer Schlagzeile „des renommierten Boulevardblatts mit den berühmten vier Buchstaben“ (Martina Dase). Thomas Jorberg sprach große Worte gelassen aus: „Wir brauchen neben System- und Struktur- auch eine Kulturrevolution.“
Diese wurde durch die gelungene Ausrichtung des Kongresses eingeleitet - bei dem zumindest connecting the dots stattfand, wie es Otto Scharmer formuliert (siehe das NNA-Gespräch mit Otto Scharmer: „Otto Scharmer über Society 4.0, Gegenwartskrise und evolutionäres Denken“, 8. April 2013.)
Dass die Schärfe des Profils und das Umwälzende der geäußerten Gedanken im Geschäftsalltag wirksam werden kann, bleibt zu hoffen. Es ging ja um nichts geringeres, als darum, die schädliche Wertausrichtung der Profitmaximierung, von der jeder zwar weiß, dass sie uns in die ökologische, ökonomische und ethische Krise treibt, die von vielen aber bereits als übermächtig hingenommen wird, durch ein an moralischen Maßstäben orientiertes Wirtschaften zu ersetzen. Mir kam nach diesem wunderbaren, langen Tag Joseph Beuys und dessen Postulat in den Sinn: Nur durch Kunst kann die Welt verändert werden. Vielleicht sollte die als alternativer Treibstoff zur Fahrt in Richtung nachhaltiger „Kulturrevolution“ noch mehr einbezogen werden. Dann könnte die Transformation gelingen!
END/nna/ror
Bericht-Nr.: 130408-01DE Datum: 8. April 2013
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