Nachrichtenbeitrag
Werk von Rudolf Steiner für den wissenschaftlichen Diskurs öffnen
„Steiner Studies“ ist eine neue Fachzeitschrift des Fromman-Holzboog Verlages für die Forschungstätigkeit zum Werk Rudolf Steiners. Im Interview mit NNA gibt Mitherausgeber, Prof. Hartmut Traub, einen Einblick in die Publikation.
Die Forschungstätigkeit zu dem Werk Rudolf Steiners anregen und eine Plattform für Publikationen dafür bieten möchte eine neue, internationale Online-Fachzeitschrift „Steiner Studies“ des Stuttgarter Fromman-Holzboog Verlages. In einem Interview mit einem der beiden Herausgeber, Prof. Hartmut Traub, wollte NNA Näheres über die neue Fachzeitschrift wissen.
STUTTGART (NNA) – Dr. Christian Clement (Utah, USA) ist der zweite Herausgeber der Zeitschrift – er ist bekannt als Herausgeber der kritischen Steiner-Ausgabe (SKA ), von der gerade der dritte Band erschienen ist mit dem Titel „Intellektuelle Biografien“. Prof. Traub hat sich 2011 mit einem Werk über „Philosophie und Anthroposophie – Die philosophische Weltanschauung Rudolf Steiners. Grundlagen und Kritik“ zum Thema profiliert (NNA berichtete über die Publikationen, siehe „In Verbindung stehende News“ unten).
Leitende Editionsprinzipien der Zeitschrift sind die „Verpflichtung auf akademische Qualität, Wissenschaftlichkeit und Unabhängigkeit“. Beiträge können ab Januar 2020 eingereicht werden. Die neue Zeitschrift hat einen Beirat, der ein breites und internationales Spektrum von Wissenschaftlern vereint, dazu gehören auch Steiner-Kritiker wie Prof. Helmut Zander (Universität Fribourg), Prof. Heiner Ullrich (Emeritus Universität Mainz), aber auch der Esoterikforscher Prof. Wouter Haanegraaff (Universität Amsterdam). Aus dem anthroposophischen Bereich sind Prof. Jost Schieren und Prof. Wolf-Ulrich Klünker (beide Alanus Hochschule) vertreten. Der Beirat wird nach dem peer-review Verfahren die Eignung der eingesandten Texte zur Veröffentlichung beurteilen. Diese Begutachtung ist im wissenschaftlichen Bereich üblich und dient der Qualitätssicherung.
NNA: Das diesjährige Jubiläum „100 Jahre Waldorfschule“ hat der Waldorfpädagogik eine bisher nie dagewesene öffentliche Wahrnehmung beschert, die eigentlich auch ihrem Urheber Rudolf Steiner hätte zugute kommen müssen. Die meisten Veranstaltungen zum Waldorf-Jubiläum sind vorüber, Ihrer Beobachtung nach: Hat sich die Rezeption des Werks von Steiner auch entsprechend verändert?
Prof. Traub: Mein Eindruck war, dass etwa der Bericht zu 100 Jahren Waldorf-Pädagogik, den die Süddeutsche Zeitung gebracht hat, ein repräsentatives Bild der öffentlichen Wahrnehmung widergibt. Das heißt: Die Waldorfpädagogik, ebenso wie der Demeter-Landbau genießen einen passablen bis guten Ruf in unserer Gesellschaft; insbesondere in reflektierten, bildungskritischen und umweltbewussten Milieus. Die Anthroposophie und Rudolf Steiner dagegen haben, wie mir scheint, ein weniger positives Image. Hier ist eher das Bild vom Obskurantismus sowie eine ablehnende Haltung gegenüber Esoterik und einzelnen, immer wieder vorgebrachten anstößigen oder nicht nachvollziehbaren Ansichten von Steiners Anthroposophie vorherrschend.
NNA: Jetzt kommt das Projekt der internationalen Zeitschrift „Steiner Studies“. Was war genau der Anlass für das Projekt?
Prof. Traub: Nach dem erfolgreichen Start der kritischen Ausgabe von Steiners Schriften im renommierten Verlag Frommann Holzboog war der Schritt nur konsequent, eine Online-Zeitschrift zu gründen, die sich an denselben wissenschaftlichen Standards orientiert wie die kritische Ausgabe selbst, um damit zu signalisieren, dass die Steiner-Forschung sich insgesamt auf dem Weg in den allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs befindet.
NNA: Es gibt ja schon die Zeitschrift „Aries“ zur Esoterikforschung – warum jetzt eine eigene Zeitschrift, die bei Steiner ansetzt?
Prof. Traub: Dazu möchte ich zweierlei sagen. Es gehört meines Erachtens zum gegenwärtigen Verständnis der Steiner-Forschung, dass sein Denken nicht unbedingt dominant esoterisch erschlossen werden muss, um Genese, Inhalte und auch die Entwicklung der Anthroposophie verstehen zu können. Historische, biographische, philosophische, theologische, philologische auch naturwissenschaftliche Dimensionen seines Werks lassen sich adäquat nur unter Einbezug der Expertise der genannten Bezugsdisziplinen diskutieren und angemessen beurteilen. Das erweitert und erfordert einen Blick über das Esoterische hinaus, ohne es zu negieren. Da Steiner bekanntlich vor seiner Wende zur Theosophie eher philosophisch-akademische als esoterische Ambitionen hatte, empfiehlt sich ein vornehmlich esoterischer Forschungsansatz für die Steiner-Forschung insgesamt eher nicht.
Zweites eröffnet sich mit diesem erweiterten Forschungsansatz für Steiner und die Anthroposophie ein breites, gleichwohl spezifisches Forschungsfeld, das die Gründung einer eigenständigen wissenschaftskritischen Zeitschrift mehr als nur sinnvoll erscheinen lässt.
NNA: Welche wissenschaftlichen Disziplinen sind beteiligt?
Prof. Traub: Wenn Sie damit auf den wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift ansprechen, dann wäre es sicher wünschenswert, dass alle oben genannten Disziplinen hier auch personell vertreten wären. Das ist zurzeit noch nicht der Fall. Gegenwärtig sind im Beirat Pädagogen, Philosophen, Theologen, selbstverständlich auch Anthroposophen, versammelt.
NNA: Was heißt Kritik in diesem Zusammenhang?
Prof. Traub: Der Begriff des Kritischen, der ja seit der Aufklärung zentraler Methodenbegriff der Philosophie- und Geistesgeschichte überhaupt ist, zielt im Titel der Steiner Studien auf deren Absicht, zu einer differenzierten und an Kriterien orientierten Urteilsbildung zu Themen der oben aufgeworfen Felder der Steiner-Forschung beizutragen.
NNA: Welche Beiträge zu welchen Themengebieten wünschen sich die Herausgeber?
Prof. Traub: Bei der bereits angesprochen enormen Spannweite, die Steiners Denken überhaupt und die Anthroposophie insbesondere in Theorie und Praxis umfasst, steht für Beiträge zu den Steiner-Studien meines Erachtens weniger die Frage nach den Themenfeldern im Vordergrund als vielmehr die Frage nach dem jeweils klaren Forschungsansatz, d.h. nach der methodischen Herangehensweise, der wissenschaftlichen Analyse und der argumentativen Stringenz sowie die Reflexion des Forschungsstandes zu den gewählten Themen.
NNA: Die Wahrnehmung von Rudolf Steiner in der akademischen Welt hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt – bedingt durch Ihre eigene Arbeit, sowie durch die Kritische Ausgabe (SKA). Was versprechen Sie sich in dieser Hinsicht von der neuen Zeitschrift?
Prof. Traub: Ich verspreche mir von der Zeitschrift einen Anstoß zu einem offenen, denkerisch differenzierenden, wissenschaftlich anspruchsvollen, ja vielleicht auch im wissenschaftstheoretischen Sinne phantasievollen, und vor allem dialogbereiten Umgang mit dem Werk Rudolf Steiners.
NNA: Das heißt, es gibt aus Ihrer Sicht eine Chance, durch die Publikation eine neue Ebene im Diskurs um Rudolf Steiner zu erreichen und wegzukommen von den bisherigen, doch oft sehr polarisierten Diskursen. Bisher war es ja – mit wenigen Ausnahmen – eher so, dass Rudolf Steiner vor allem von Anthroposphen ausgelegt und das so Erarbeitete dann gegenüber Kritik oft sehr heftig verteidigt wurde – was den Autoren meist den Vorwurf der Apologetik von Seiten der akademischen Wissenschaft eingebracht hat. Deren Kritik beinhaltete dann oft eher Polemik als eine wissenschaftlich fundierte, sachliche Auseinandersetzung. Kann man das so sagen?
Prof. Traub: Im Detail ist das Bild doch differenzierter. Denn „die“ Anthroposphen sind nach meiner Erfahrung kein monolithischer Block. Da gibt es eben mindestens die drei Typen – orthodox, gemäßigt-orthodox und kritisch-liberal –, die ich einmal zu unterscheiden vorgeschlagen habe. Für den akademischen Bereich kenne ich zu wenige Vertreter, die sich mit Steiner befasst haben. Aber ich denke, dass es auch dort ein Spektrum „von-bis“ gibt. So haben sich beispielsweise mein Lehrer Georg Scherer u.a. schon in den 1980er Jahren als Philosophen im akademischen Diskurs kritisch mit Steiner auseinandergesetzt. Das heißt, auch in der geisteswissenschaftlichen Diskussion – in der Pädagogik insbesondere – wird die Anthroposophie ja durchaus wahrgenommen. Für die Komplementär-Medizin, den Demeter Landbau, die Esoterik-Forschung usw. gilt Entsprechendes. Diesen Diskurs wollen die „Steiner Studies“ stärken.
NNA: Wie ist denn die Resonanz in der anthroposophischen Bewegung bisher auf das Projekt „Steiner Studies“?
Prof. Traub: Nach meiner wenig repräsentativen Wahrnehmung sehr unterschiedlich, tendenziell wohl aber bisher eher skeptisch. Was ich einerseits nachvollziehen kann. Denn mit einer den Blick der Esoterik erweiternden Perspektive steht ja deren Dominanz als einzigem legitimen Forschungsansatz zu Steiner und der Anthroposophie in Frage.
Andererseits könnte die Gründung einer wissenschaftlichen Zeitschrift zur Steiner-Forschung ein Anlass sein, einem solchen Projekt mit Wohlwollen zu begegnen. Stellt es doch den Versuch dar, das Werk Rudolf-Steiners, inklusive seiner ideengeschichtlichen Herkunft und Wirkungsgeschichte, für den Diskurs in der akademischen Welt zu öffnen und es - differenzierend – anschlussfähig zu machen an Themen und Fragestellungen, die auch dort diskutiert werden.
NNA: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 191111-01DE Datum: 11. November 2019
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