Nachrichtenbeitrag

Weltklimaschutzabkommen: „In der ökologischen Krise steckt eine Kulturkrise“

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Von NNA Mitarbeiter

STUTTGART (NNA) – Das im Dezember in Paris von 195 Staaten der Erde ausgehandelte Weltklimaschutzabkommen bedeutet zwar einen historischen Fortschritt, die Realisierung seiner Ziele ist aber nicht ohne gleichzeitigen Umbau unserer Zivilisation möglich.

Diese Auffassung vertritt der Klimaexperte Dr. Otto Ulrich im Interview mit der Stuttgarter Zeitschrift für soziale Dreigliederung „Sozialimpulse“.

Es sei einerseits bemerkenswert, dass es nach vielen Konferenzen, die enttäuschend verlaufen waren, gelungen sei, zu einer Einigung über ein gemeinsames Klimaschutzziel zu kommen. Andererseits sei es nur ein „Ausgangspunkt dafür, darüber nachzudenken, wie wir eine Weltgesellschaft und eine Weltwirtschaft aufbauen können, die ‚CO-neutral’ ist, wie der neue Begriff lautet.“

Nach den Ergebnissen des zweiwöchigen Gipfels in Paris soll versucht werden, die globale Erderwärmung schon bei 1,5 Grad zu stoppen. D.h. das bisherige 2-Grad-Ziel soll bis zum Ende des Jahrhunderts übertroffen werden. Dr. Otto Ulrich ist Physikingenieur mit langjähriger Berufserfahrung in der Luft- und Raumfahrtindustrie und war über viele Jahre im Bundeskanzleramt, bei der EU in Brüssel und in Gremien der UN mit Aufgaben des Klima- und Datenschutzes befasst.

Entkoppelungsdiskussion

Aus seiner Sicht wurde bei den Verhandlungen die Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus dem Postulat der Klimagerechtigkeit in der Welt ergeben, „mehr oder weniger umgangen“. So bestehe die Gefahr, dass „weiterhin nur an systemkonforme Lösungen gedacht wird“ wie z.B. „noch mehr Kontrolle über die Emissionen aus den Schornsteinen“.

Das Wesentliche ist aus der Sicht von Ulrich dagegen eine Entkoppelung von Wachstum und Energieverbrauch. Die Klimaschutzdebatte sei seit Jahrzehnten von dem Dilemma begleitet, dass mehr quantitatives Wachstum gleichzeitig mehr Energieverbrauch bedeute. Die notwendige Entkoppelungsdiskussion habe auch in Deutschland noch nicht richtig gegriffen, „auch wenn wir mit 24% erneuerbaren Energien nicht ganz schlecht dastehen.“

Diese Diskussion werde weltweit nur vorankommen, wenn „wir ein anderes Wachstumsverständnis entwickeln.“ Dass die Länder aufgrund des Abkommens in der Zukunft CO2-neutral wirtschaften müssen, erzwinge im Grunde ein solches neues Wachstumsverständnis.

Dass die Koppelung zwischen Wachstum und der bisher wesentlich mit dem Wachstum verbundenen fossilen Energiewirtschaft beendet werden müsse, sage auch der in Paris ausgehandelte Vertrag – allerdings nur indirekt durch das sog. Balance-Postulat. Wo Herde des CO2-Ausstoßes nicht oder nur teilweise beseitigt werden können, müssen im gleichen Maße sog. Senken entstehen, die dies wieder ausgleichen wie z.B. die Emissionen der Autos oder der Zementproduktion. Dazu soll ein weltweites Kontrollsystem eingerichtet werden. Bereits jetzt betreue das Umweltbundesamt 20 Staaten bei dem Vorhaben, nationale Emissionskontrollsysteme aufzubauen.

Transformation

Um die Lebensgrundlagen der Menschheit zu erhalten, müssten „alle Unternehmen und Verwaltungen an einem Strang ziehen.“ Ulrich schlägt vor, nach dem Modell des Datenschutzbeauftragten auch einen „Dekarbonisierungsbeauftragten“ einzurichten mit weitgehenden Rechten, Unternehmen nach strengen Maßstäben zu beurteilen. Diese wären dann gezwungen, überall dort, wo CO2-Quellen vorliegen, ihre Produktion bzw. ihren Service sukzessive umzustellen. Insgesamt käme es so zu einer Transformation der Wirtschaftsform. Auch die Gewerkschaften müssten sich dabei bewegen.

Assoziative Wirtschaftsformen sind nach Ansicht Ulrichs gut geeignet, Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen. Sie könnten Balancierungstechniken entwickeln, die eine Wirtschaft mit Blick auf das Ganze ermöglichen und den betriebswirtschaftlichen Egoismus überwinden.

„Um uns aus unserer selbst erzeugten Zwangslage – dem Dreieck Klimawandel-Zivilisation-Kohlenstoff – zu befreien, müssen wir die Zivilisation umbauen. Kein Weg führt daran vorbei. Wir haben eine fossile Wirtschaft aufgebaut, mit der wir uns an den Kohlenstoff gebunden haben. Das fällt uns heute auf die Füße“.

Ulrich sieht auch das Bildungssystem in der Pflicht, den Prozess des Umdenkens einzuleiten. Die Dimensionen Boden, Arbeit und Kapital müssten schon vom didaktischen Aufbau her anders bewertet und um die Dimensionen „Information“ und „Klima“ ergänzt werden. Notwendig sei auch ein neues Verständnis von Geld und von Arbeit.

Digitalisierung

Als Schwachpunkt des Pariser Vertrages nennt Ulrich in dem Interview außerdem die geringe Einbeziehung der CO2-Effekte, die von der Digitalisierung ausgehen. Alle Google-Suchanfragen eines Monats produzierten zusammen soviel CO2-Ausstoß wie die Fahrt über 1,8 Mio km mit einem Mittelklassewagen. 2020 werden 15% aller Emissionen von elektronischen Rechenzentren und ähnlichen Einrichtungen ausgehen.

Die Klimadiskussion zeige, dass auch bei der Digitalisierung gestaltend eingegriffen werden müsse. Man erlebe am Datenschutz und an der Verletzlichkeit der Infrastrukturen, dass eine Charta der digitalen Grundrechte notwendig sei. Das Tempo der digitalen Entwicklung sei enorm und ihre Folgen für das Leben gewaltig. „Wir brauchen sozialökologisch verträgliche Digitalisierungsformen“., betont der Physiker. Der Wildwuchs könne auch in diesem Bereich so nicht weitergehen.

„In der ökologischen Krise steckt zugleich eine Kulturkrise“, betont Ulrich abschließend. Das habe auch Papst Franziskus in seiner Enzyklyka „Laudato si“ zum Ausdruck gebracht, wobei er den Blick auf das kulturelle und spirituelle Selbstverständnis der gegenwärtigen Zivilisation gelenkt habe. Aus dem Ideengut der Anthroposophie, insbesondere auch der sozialen Dreigliederung, könne vieles zu dieser Diskussion beigetragen werden.

Auf skeptische Einwände hinsichtlich der Notwendigkeit des Klimaschutzes – auch in alternativen Bewegungen – angesprochen, verweist Ulrich auf das Internet-Diskussionsforum des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), an dem 3.000 Wissenschaftler beteiligt sind. Dort würden alle Untersuchungen zum Thema, die wissenschaftlichen Kriterien genügen, zur Kenntnis genommen und es finde auch eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klimaskeptiker statt.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 160112-01DE Datum: 12. Januar 2016

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