Nachrichtenbeitrag
Von Acacia senegal bis zu Xylopia aethopica
FEATURE | Heilpflanzen aus Afrika werden zunehmend als Ressource in Europa entdeckt – Pionier Ulrich Feiter aus Südafrika im Gespräch mit NNA.
Afrika umfasst nur sechs Prozent der Erdoberfläche, aber zehn Prozent aller Pflanzen der Erde sind dort zu finden – darunter auch viele Heilpflanzen. Kauft man hier bei uns Globuli oder Tinkturen der Naturmedizin, macht man sich nicht bewusst, dass ihre Rohstoffe nicht selten von diesem Kontinent geliefert werden. Heilpflanzen aus Afrika liegen im Trend – es gibt Forschungsprojekte dazu, die ihre Wirkung untersuchen. NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner ist der Spur dieser Pflanzen nach Südafrika gefolgt.
BAD BOLL/WELLINGTON, Südafrika (NNA) – Es war eine kleine Unkrautpflanze mit dem komplizierten Namen Mesembryanthemum crystallinum, die auf Lanzarote zu Heilzwecken gesammelt wird, mit der meine Geschichte beginnt. Viele fleißige Hände sind hier jedes Jahr im Frühjahr mit Apotheker Dr. Andreas Portsteffen aus Herdecke/Ruhr mehrere Tage lang mit der Ernte der Wildpflanze beschäftigt. Nur 2020 habe die Ernte aufgrund der Pandemie ausfallen müssen – wie Dr. Portsteffen NNA berichtet. Rund 150 Kilo Wildpflanzen kommen so zusammen, sie ergeben am Ende 100 Liter Presssaft, die dann zur Apotheke des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke geschickt und dort zu Creme, Lotion oder Haarpflegemittel weiterverarbeitet werden.
Mittagsblume heißt die Pflanze auf Deutsch – sie bildet auch die Basis einer medizinischen Hautpflegeserie der Firma Wala, die bei Neurodermitis zum Einsatz kommt. Aber woher bezieht die Firma Wala ihre Rohstoffe für die Pflegeserie? Hier mussten doch andere Lieferketten am Werk sein, wenn es um eine international tätige Firma und ihre Pflegeprodukte geht. Wildkräutersammeln dürfte da nicht ausreichen – so der Ausgangspunkt für eine weitergehende Recherche.
Auf der Homepage der Firma zeigt sich dann: die Mittagsblumen für ihre Produktion stammen aus Südafrika und der afrikanische Kontinent ist die eigentliche Heimat von Mesembryanthemum crystallinum, von dort kam die Mittagsblume vor langer Zeit auf die Kanaren. In Südafrika wird die Pflanze auf der biologisch-dynamischen Waterkloof Farm in Wellington angebaut, eine Autostunde entfernt von Kapstadt. Und anstelle der unscheinbaren, kleinen Wildpflanze der Kanaren begegnet einem hier Mesembryanthemum crystallinum als große, üppige Plantagenpflanze! Entsprechend hoch ist der Ertrag, wie man auf der Homepage lesen kann: 1,5 Tonnen der Pflanze werden dort in drei Stunden geerntet.
Die Firma Parceval Ltd ist die Betreiberin der Farm und wenn man auf der Homepage dieser Firma weiter recherchiert, findet man eine lange Liste von Heilpflanzen, die Parceval Ltd liefert bzw. am Standort Wellington auch verarbeitet – alles, was in der homöopathischen Hausapotheke Rang und Namen hat, findet sich im Angebot der Firma.
Erschließung von Heilkräften
Ulrich Feiter hat die Firma vor rund 30 Jahren gegründet, ursprünglich kam er für Wala nach Südafrika, um dort die Lieferung verschiedener Urtinkturen zu organisieren. 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt die Firma heute und sie ist sowohl in Afrika mit vielen Akteuren vernetzt als auch in Europa, die Heilpflanzen beschaffen und/oder verarbeiten. „Mir geht es um die Erschließung von Heilkräften zum Wohl der Menschheit, deswegen arbeite ich mit den Heilpflanzen“, erläutert Ulrich Feiter im Gespräch mit NNA. Es ist dem Pionier auf dem afrikanischen Kontinent ein Anliegen, einheimische Pflanzen für den lokalen und auch den internationalen Markt zugänglich zu machen.
Feiter kam in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts nach dem Abitur, einer Gärtnerausbildung und dem Zivildienst in einer Camphill Einrichtung am Bodensee als Praktikant ebenfalls zu einer Camphill-Einrichtung erstmals nach Südafrika, dort lernte er auch seine Frau kennen, eine Kunsttherapeutin. Durch den Auftrag der Firma Wala kehrten beide dann nach Südafrika zurück nachdem Feiter inzwischen über 2 Jahre die speziellen Herstellverfahren der Wala kennengelernt hatte. Wie sich zeigte, war die Rückkehr nach Südafrika dann offensichtlich eine Entscheidung fürs Leben. Ulrich Feiter hat durch seine Biografie auch viel von der Geschichte Südafrikas miterlebt – von der Zeit der Apartheid über die dramatische Wende hin zur Präsidentschaft von Nelson Mandela und den Regierungen unter seinen Nachfolgern vom ANC (African National Congress).
Eine Veränderung erfuhr in all diesen Jahren auch der Umgang mit den einheimischen Heilpflanzen in Südafrika, wie Feiter berichtet.
Obwohl einheimische Heiler sie nutzen und es schon immer einen regen Handel mit Heilpflanzen und auch große Märkte dafür gibt, herrsche bei den Einheimischen in Südafrika wie auch anderswo in Afrika oft die Überzeugung vor, dass westliche „moderne“ Lösungen aus den USA oder Europa wertvoller seien. „Da gibt es schon ein Problem mit dem Selbstbewusstsein hier auf dem Kontinent, man fühlt sich überwältigt von den Erfolgen und Entwicklungen der Ersten Welt. Da werden dann sogar Produkte der Naturmedizin eher von dort importiert, weil sie eine größere Glaubwürdigkeit aufweisen und ihre Wirksamkeit besser dokumentiert ist“, erläutert Feiter.
Umdenken
Aber auch in Südafrika habe inzwischen ein Umdenken eingesetzt, mittlerweile gebe es ein breites Angebot von Komplementärmedizin auch in den Supermarkt- und Drogerieketten im Land. Es existierten dazu auch gesetzliche Regelungen, deren Einhaltung allerdings – wie in anderen Bereichen auch – nicht wirklich überprüft werde. Dadurch würde dann auch Schaden angerichtet, wenn z.B. die Ernte von pflanzlichen Heilmitteln nicht nachhaltig erfolge. „Wenn es z.B. um die Rinde von Bäumen geht oder Wurzeln, wo dann zu viel entnommen wird, sterben die Bäume“.
So ist in der Tätigkeit von Parceval Ltd Aufklärung und Information bei den einheimischen Kooperationspartnern eine wichtige Aufgabe. Und auch die Förderung von mehr Selbstbewusstsein bei den afrikanischen Akteuren hat sich Ulrich Feiter zum Ziel gesetzt. Dies schlug sich u.a. in der Gründung der Organisation AAMPS (Association for African Medical Plant Standards) nieder, die Ulrich Feiter zusammen mit afrikanischen Kollegen initiiert hat.
Es sei gar nicht so leicht gewesen, diese von dem Vorhaben eines afrikanischen Pflanzenarzneibuchs zu überzeugen: „Ich musste viel Überzeugungsarbeit leisten, dass das in Europa auch so angefangen habe, einfach mal mit Sammlungen von Heilpflanzenbeschreibungen und Rezeptursammlungen, daraus entstand dann am Ende eine Pharmacopoeia, auf der jetzt die ganze Pflanzenheilkunde basiert“. Feiter gewann europäische Partner, die wie er selbst auch finanzielle Mittel für das Projekt zur Verfügung stellten, so entstand eine erste Enzyklopädie der afrikanischen Heilpflanzen. 50 Pflanzen werden darin beschrieben, gegenwärtig ist eine Überarbeitung im Gang. „Unsere Pharmacopoeia hat sich durchgesetzt, hier in Südafrika ist sie eins der anerkannten Referenzen für das medizinische Regelwerk für die Pflanzen der Komplementärmedizin“, erläutert Feiter. Von Acacia senegal bis zu Xylopia aethiopica und Xysmalobium undulatum reicht die Liste der erfassten afrikanischen Heilpflanzen in der Enzyklopädie.
Ungehobene Schätze
Darunter finden sich viele Bekannte wie die Teufelskralle (Harpagophytum procumbens), Kapland Pelargonie (Pelargonium sidoides), Uzara (Xysmalobium undulatum), Afrikanisches Stinkholz (Prunus africanus) oder Catharanthus roseus aus der die Krebsbehandlungsmittel Vincristin und Vinblastin gewonnen werden. Weihrauch (Boswellia Arten) und Myrrhe (Commiphora myrrha) wurden schon in biblischen Zeiten hoch geschätzt. Aber auch andere Pflanzen finden sich – bisher eher ungehobene Schätze des afrikanischen Kontinents und seiner Flora: Bulbine frutescens, White’s Ingwer (Mondia whitei), Kanna (Sceletium tortuosum), Ballonerbse (Sutherlandia frutescens) und Afrikanischer Ingwer (Siphonochilus aethiopicus) gehören in diese Kategorie.
Das Beispiel der Enzyklopädie der Heilpflanzen zeigt aber auch, dass Projekte in Afrika ohne finanzkräftige Hilfe von außen oft nicht zu bewerkstelligen sind und die Afrikaner große Hürden überwinden müssen, um die Schätze ihres Kontinents in Eigenregie zu heben und zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Dies gilt auch für die Entwicklung neuer pflanzlicher Arzneimittel. „Die notwendigen klinischen Studien kosten zweieinhalb bis drei Millionen Euro – und da ist erst der Anfang. Bis ein Produkt auf den Markt kommt, muss man mit einem Zeitrahmen von zehn bis zwölf Jahren rechnen und am Ende kommen je nach Produkt 50–80 Millionen EUR für die Entwicklung zusammen – diese Mittel kann hier in Südafrika niemand aufbringen“. Die Hürden, die in Europa für die Zulassung der pflanzlichen Arzneimittel aufgerichtet würden, seien „viel zu hoch“, meint Ulrich Feiter. Seine Firma konnte mit diesem Prozess u.a. bei der Entwicklung des Medikaments Umckalaobo der Dr. Wilhelm Schwabe GmbH und Co KG Erfahrungen sammeln. Es enthält als Rohstoff die südafrikanische Kapland-Pelargonie, Pelargonium sidoides.
Ein neues pflanzliches Produkt befindet sich zur Zeit im Stadium der klinischen Erprobung. „Schon auf dieser Ebene muss man sich sehr viele Gedanken machen, z.B.: Wie weise ich die Wirkung nach, wieviel Patienten muss ich einbeziehen, in welcher Form erprobe ich den Wirkstoff – als Tabletten, als Kapseln? Wie weise ich nach, dass die Wirkung auch nach zwei Jahren noch da ist, also bis zum Verfallsdatum? Das macht man sich als Verbraucher gar nicht bewusst, was alles hinter der Entwicklung auch dieser pflanzlichen Arzneimittel steckt“, gibt Ulrich Feiter zu bedenken.
Dies erklärt auch, warum die Mittagsblume den Sprung unter die Arzneimittel nicht geschafft hat in der heutigen Zeit und nach wie vor bei den Pflegeprodukten zu finden ist, obwohl sie der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755-1843), als Heilpflanze eingestuft hat. Bei ihm diente sie u.a. der Entwässerung. Wie könnte vor diesem Hintergrund die Zukunft der Mittagsblume auf Lanzarote aussehen? Könnte aus ihr einmal eine Plantagenpflanze werden wie aus der Aloe Vera, die auf der Insel schon ca. 150 ha Anbaufläche verzeichnet? Ulrich Feiter ist sich nicht sicher, ob die großen Plantagenpflanzen aus Südafrika dort gedeihen würden, schließlich profitieren sie in Südafrika von der Regenzeit im Winter.
Wichtige Ressource
Heilpflanzen aus Afrika als wichtige Ressource sind inzwischen auch Gegenstand von verschiedenen Forschungsprojekten in Europa, so fördert der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ein Forschungsnetzwerk in Kamerun, das die Wirksamkeit von Inhaltsstoffen von Heilpflanzen dort untersucht. Ein internationales Forschungsprojekt, bei dem Wissenschaftler der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) mit der University of Botswana, der Addis Ababa University in Äthiopien und der University of Health and Allied Sciences in Tansania kooperieren, wurde vier Jahre lang vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem DAAD mit insgesamt 800.000 Euro unterstützt. Es hatte das Ziel, afrikanische Heilpflanzen auf ihre Wirkung bei Aids, Tuberkulose und Wurmerkrankungen hin zu untersuchen.
So. könnte es am Ende doch noch passieren, dass die Wirksamkeit der Mittagsblume bei Hauterkrankungen auf einem solchen Wege amtlich festgestellt wird und die Pflanze wieder ihren alten Statuts aus den Anfängen der Homöopathie zuerkannt bekommt.
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 230723-06DE Datum: 23. Juli 2023
© 2023 Nexus News Agency. Alle Rechte vorbehalten.