Nachrichtenbeitrag
Regierungen sollen Komplementärmedizin integrieren
Der Internationale Kongress für integrative Medizin in Stuttgart befasste sich mit einer breiten Palette von Themen. Unter anderem verlangte er auch, die integrative Medizin in nationale Gesundheitssysteme zu integrieren.
STUTTGART (NNA) – 640 Teilnehmer – Ärzte und Vertreter verschiedener Heil- und Gesundheitsberufe – aus 46 Ländern trafen sich im Kongresscentrum Stuttgart zum „International Congress for Integrative Health & Medicine“. Sein Ziel: einerseits Brücken zu bauen von der konventionellen Medizin zur Integrativen Medizin, andererseits das Netztwerk der Institute in ihrem Forschen und Wirken besser zu begründen für die Zukunft.
In ihrer abschließenden Resolution fordern die Kongressteilnehmer die Regierungen aller Länder unter anderem auf, die Integrative Medizin als hilfreichen Ansatz anzuerkennen, um die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Die komplementäre Medizin müsse entsprechend der Strategie der Weltgesundheitsorganisation WHO in die nationalen Gesundheitssysteme integriert werden.
“Die moderne Medizin steht international vor großen Herausforderungen“, erklärte Dr. Mimi Guarneri, La Jolla (USA), vom Leitungskomitee der Tagung. Der demografische Wandel, chronische Erkrankungen und Krankheiten, die ihre Ursachen im Lebensstil haben, drohen die nationalen Gesundheitssysteme in den Industrienationen zu überfordern. Auf internationaler Ebene würden Antibiotika-Resistenzen zu einer Gefahr für die Menschen.
Nach heutigem Stand wenden von den 150.000 ambulant tätigen Ärzten in Deutschland mehr als 60.000 Fachärzte regelmäßig auch Verfahren der Komplementärmedizin an. Über 40.000 haben eine entsprechende Zusatzbezeichnung erworben oder eine curriculare Ausbildung abgeschlossen, beispielsweise in den Bereichen Naturheilverfahren, Anthroposophische Medizin oder Homöopathie. In den USA ist der Trend ebenso zu beobachten. Dort bieten 25 Prozent der Kliniken nicht nur High Tech Medizin, sondern auch komplementäre Therapien an.
Ergänzende Therapie
Veranstalter des Kongresses waren zum einen die Academy of Integrative Health & Medicine (AIHM) als größter Verband für Integrative Medizin in den USA. Die AIHM ist eine Dachorganisation und entstand aus dem Zusammenschluss von zwei großen Organisationen für Integrative Medizin (die American Board of Integrative Holistic Medicine und die American Holistic Medical Association). Sie umfasst alle medizinischen Berufsgruppen und setzt sich für eine globale Perspektive ein.
Veranstalter aus Deutschland war DAMID, der Dachverband Anthroposophische Medizin. Ihr interprofessioneller ganzheitlicher Ansatz wird in 80 Ländern praktiziert und hat seine größte Verbreitung und Bekanntheit in Deutschland und in der Schweiz.
Die Integrative Medizin versteht sich als ergänzende Therapie zur traditionellenn Medizin. Sie ersetzt nicht eine konventionelle Krebstherapie, sie ergänzt sie und unterstützt den Patienten bei einer konventionellen Behandlung.
Eine seriöse Integrativmedizin wird nie Heilsversprechungen machen“ sagte Dr. Gunver Sophia Kienle vom Zentrum für Heilkunde der Universität Freiburg und leitende Wissenschaftlerin am Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie e.V., einem An-Institut der Universität Witten/Herdecke.
Sie erzählt, dass die Mistelpräparate sehr gut untersucht seien, die Anzahl der Artikel und Publikationen steigen und zeigen, dass das Immunsystem durch die Präparate gestärkt werde. Weitere Effekte wären, dass sich die Lebensqualität der Patienten deutlich verändere durch positives Einwirken auf Schlafprobleme, Appetit- und Energieverlust, Erschöpfung, Müdigkeit Ängste und emotionale Not. Die Patienten nahmen weniger Schmerzmittel als die Kontrollgruppe ergänzte Kienle, gelegentlich könnten grippeähnliche Symptome auftauchen, räumte sie ein.
Die Frage nach Bedürfnissen
Prof. Arndt Büssing hat an der Universität Witten/Herdecke einen Lehrstuhl für Lebensqualität, Spiritualität und Coping inne, unter letzterem versteht man Bewältigungsstrategien zum Umgang mit einem Problem. Büssing zeigte weitere Möglichkeiten neben der Vielzahl der Therapien auf.
Viele Patienten geben in Befragungen an, sie vermissten, dass nach ihren Bedürfnissen gefragt werde und diese unterstützt würden. Bei religiösen Bedürfnissen stehen Beziehungsbedürfnisse an, das Beten ist dann eine entlastende Zuwendung. Das Bedürfnis des Inneren Friedens sei dem Patienten noch wichtiger. Weiter bestehe ja auch das Bedürfnis eines Patienten, das, was er immer gemacht hat, fortzuführen.
Außerdem möchte er etwas aus seinem Leben weitergeben, so dass sich sein Leben bedeutungsvoll zeigt, Spuren hinterlässt, so Büssing. „Wenn das Umfeld des Patienten Zuwendung und auch Gesprächsbereitschaft signalisiert, ist das eine sinnvolle Unterstützung.“
Peter Heusser, Arzt der Anthroposophischen Medizin und Mitleiter der Schweizer Forschung der Uni Bern sprach über das anthroposophische Menschenbild. Die Aufgabe der Medizin sei es, den Menschen gesund zu machen oder gesund zu erhalten. Schließlich sei der Mensch keine molekulare Maschine, was auch heute noch oft im Medizinstudium unberücksichtigt bliebe.
Manchmal höre er Patienten sagen, die Ärzte hätten keine humanistischen Qualitäten, das auch, weil diese im Lehrplan kaum vorgesehen seien. So komme es zum Rückgang der Empathie während der Ausbildung. Dies ginge aus einer Schweizer Umfrage hervor, doch eine solche Reduktion sei nicht angemessen. „Das Gesamte sei mehr als die Summe der Einzelnen“, anders ausgedrückt: die niedrigen Moleküle können die höheren nicht erklären.
Emergenz
Heusser brachte hier den Begriff der Emergenz ins Spiel, der davon ausgeht, dass beim Zusammenwirken mehrerer Faktoren neue, nicht vorhersagbare Qualitäten entstehen. Aus der Emergenz der Phänomene des Universums tauche auch die Charakteristik des Lebens auf.
Da die höheren Ebenen eigene Gesetze haben, schaue man sich den ganzen Körper an mit all der Kausalität der Kräfte des Menschen: Körper, Seele, Geist und physikalische Struktur. Auch die Lebensfunktion sei mit einzubeziehen, dann könne die medizinische anthroposophische Anamnese entstehen.
Als Erklärung der Anthroposophischen Medizin folgte, sie gründe auf der konventionellen Medizin und wurde in der Form in Europa entwickelt und seit 90 Jahren erfolgreich eingesetzt, schließlich erweitert um die seelische Komponente. So könne sie einen Beitrag leisten im Bereich des Menschlichen.
Eine Anzahl von Studien und Forschungsergebnissen sind mittlerweile durchgeführt, die sicher auch zur Akzeptanz und auch Anwendung der Komplementärmedizin führen. In der Tat belegt eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Studien die Wirksamkeit, Sicherheit und (Kosten-)Effektivität komplementärmedizinischer und integrativer Konzepte. „Die Forschungsanstrengungen müssen jedoch ausgebaut werden“, erklärt Professor David Martin von der Universität Tübingen. Dies sei aber ohne staatliche Unterstützung nicht möglich.
In der Podiumsdiskussion wurde eine große Bandbreite von Themen angesprochen. Jan Vagedes riet zur Devise: „Die Dinge überprüfen und nicht übernehmen!“ Dr. Kienle zählte zur Integrativen Medizin auch Meditation, rhythmische Massage und Yoga, um die emotionale Verfassung der Patienten zu stärken. Andrew Michels von der Charité berichtete von Erfolgen mit Behandlungen mit Blutegeln bei Gelenkschwellungen. Auch bei Bluthochdruck sei eine deutliche Reduktion bei seinen Patienten erlebt worden.
John Woodle von der Universität Sidney/Australien merkte an, dass die Patienten, die die integrale Medizin in Anspruch nehmen, vorwiegend aus gebildeten und wohlhabenden Schichten kommen und forderte, Zugangsmöglichkeiten für alle Patienten zu schaffen. Die anwesenden Studenten wünschten, dass mehr Wissen von der Integralen Medizin in ihre Ausbildungen gelangt, die Ayurveda Mediziner wünschten sich Anerkennung.
Nahtoderfahrungen
Zu einem besonderen Thema seiner Forschungen referierte Pim van Lommel als Kardiologe über eine prospektive, d.h. die weitere Entwicklung betreffende Studie zu Nahtoderfahrungen (NTE) . Seine Patienten hatten bei Herzstillstand tiefgreifende Erlebnisse. Das Leben danach hätte sich völlig verändert, die Furcht vor dem Tod sei verloren, sie nähmen das Leben, wie es komme, erzählten sie ihm.
Diese außergewöhnlichen Bewusstseinserfahrungen seien mit angenehmen Gefühlen verbunden. Manche erzählten von Begegnungen mit verstorbenen Verwandten. In Deutschland müssten schon drei Millionen, in Europe 20 Millionen Menschen eine NTE erlebt haben, berichtete Lommel, dennoch sei es für Ärzte meistens ein unfassbares unbekanntes Phänomen.
Seit 50 Jahren gäbe es Wiederbelebung, es müsse innerhalb 5-10 Minuten reanimiert werden. Die Reanimierten sprachen von Licht und außerkörperlichen Erfahrungen. Dazu kämen auch Gefühle von Einsamkeit und Heimweh. Durch den veränderten Bewusstseinszustand wird offensichtlich ein erweitertes Bewusstsein erfahrbar, NTE bringen uns an die Grenzen, gehen über die Reichweite des Wissens des Bewusstseins und des Gehirns, resümierte Lommel.
Wissenschaftlich bedeutsam sei auch, dass Ärzte, Krankenschwestern und Angehörige diese berichteten, Wahrnehmungen verifizierten und den präzisen Moment der NTE bestätigen konnten. NTE kennen keine Halluzinationen, Sinnestäuschungen oder Illusionen, beschrieb Lommel aus seiner Praxis und seine Überraschung darüber, dass Menschen von Details erzählen, die im Koma gar nicht wahrgenommen werden konnten.
Alles sei dabei zeitlos, im dreidimensionalen Bild zu schauen. Auch von Gedanken, die andere hatten und welche Wirkung die eigenen Gedanken hätten , wurde erzählt. Es sei alles überall und gleichzeitig. Menschen berichteten, wie sie in ihren Körper zurückkehrten, meist über den Kopf und empfanden das als Eingesperrtsein im Körperlichen. Lommel schloss daraus, dass das Wachbewusstsein nur ein Teil unseres Bewusstseins ist.
Neuer Ansatz
Die Patienten seien zurückhaltend damit, ihre NTE anderen mitzuteilen. Die Wissenschaft aber solle einen neuen Ansatz nehmen, nicht anhaften an alten Vorstellungen, sondern offen sein und Fragen stellen. „Wer nie seine Ansicht ändert, hat kaum etwas dazugelernt“ meinte van Lommel und hoffte, die Forschung möge Tatsachen wie die NTE einschließen – denn es brauche einen Paradigmenwechsel. Er schloss mit dem Zitat von Dag Hammerskjöld: „Unsere Vorstellungen vom Tod bestimmen, wie wir im Leben stehen!“
END/nna/wil
Bericht-Nr.: 160623-03DE Datum: 23. Juni 2016
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