Nachrichtenbeitrag

„Projekt Stuttgart21 ein gutes Beispiel für verantwortungslosen Umgang mit Staatsfinanzen“

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Von NNA Mitarbeiter

STUTTGART (NNA) - Das umstrittene Großprojekt Stuttgart 21 ist ein symptomatisches Beispiel für den verantwortungslosen Umgang mit Steuergeldern und würde bei seiner Realisierung die unheilvolle Tradition der ständig steigenden Staatsverschuldung fortsetzen. Diese These vertrat der ehemalige Bahnmanager Prof. Dipl.-Ing. Karl-Dieter Bodack auf einer Veranstaltung im Stuttgarter Forum 3 zum Thema „Verschuldung der öffentlichen Haushalte“. In der ersten Volksabstimmung in Baden-Württemberg sind die Bürger des Landes am 27.November aufgerufen, über einen Ausstieg aus dem umstrittenen Bahnprojekt zu entscheiden. 33 Prozent aller Wahlberechtigten müssen zustimmen, damit die Landesregierung die Verträge über das Projekt aufkündigen kann.           

Bodack machte vor allem die Geltungssucht der Politiker dafür verantwortlich, dass die öffentlichen Haushalte sich seit den siebziger Jahren stetig weiter verschulden. Im laufenden Jahr hätten Bund, Länder und Kommunen so rund 62 Milliarden Euro an Zinsen zu zahlen, die vor allem Fonds und damit den Wohlhabenden im Land zugute kämen. Solle Deutschland schuldenfrei werden, müssten 175 Jahre lang monatlich eine Milliarde Euro Tilgung geleistet werden, betonte Bodack. Für die ständig steigenden Staatsausgaben trügen aber auch die Bürger eine Mitschuld, die mit einer Haltung des Immer-Mehr ein Zuviel an Egoität auslebten.

Bodack verglich die herrschende Haltung gegenüber den Staatsfinanzen mit einer Suchterkrankung, bei der die Wahrnehmung verweigert, Bewusstsein und Erkenntnis reduziert und die Handlungsfähigkeit gelähmt werde. So werde die Individualität, das gesamte Selbst in diesen Kreislauf hineingezogen. Verlierer sei am Ende die „Soziabilität“, der Gemeinsinn. Bodack verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Theorie der Sozialen Dreigliederung von Rudolf Steiner. Durch die Reduzierung des Gemeinsinns falle die Gesellschaft aus der Dreigliederungsbalance heraus, Verschuldung und Zerstörung des Gemeinwesens seien die Folge. Stuttgart21 werde von vielen Bürgern in diesem Zusammenhang gesehen und daher abgelehnt.

Trotzdem werde das Projekt Stuttgart 21 immer weiterverfolgt, obwohl es unabsehbare Folgekosten für die öffentlichen Haushalte mit sich bringe und sein Nutzen nicht belegt sei. Bis jetzt habe noch jedes Großprojekt der Deutschen Bahn den Kostenrahmen erheblich überschritten. Bodack verwies auf den Berliner Hauptbahnhof mit einer Kostensteigerung von 150 und den Leipziger Citytunnel mit einem Plus von 70 Prozent gegenüber den ursprünglich geplanten Baukosten.

In der Kampagne für die Volksabstimmung argumentieren die Stuttgart-21-Gegner auch vor allem mit den von der Bahn zu niedrig angegebenen Projektkosten. Mit einer ersten „Kostenlüge“ sei die Zustimmung des Stuttgarter Gemeinderat und des Landtags „erschwindelt“ worden, denen die wahren Kosten verheimlicht worden seien. Ein Gutachten dazu sei von der früheren Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) nicht veröffentlicht worden. Die „zweite Kostenlüge“ betreffe den Kostenrahmen, der 4,5 Milliarden Euro nicht überschreiten solle, wobei schon jetzt von 6 Milliarden auszugehen sei. Mit der dritten „Kostenlüge“ hinsichtlich der Ausstiegskosten versuche die Bahn jetzt die Volksabstimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Nach einem Gutachten, das die Stuttgart21-Gegner von Ingenieur22 – Für den Kopfbahnhof haben erstellen lassen, belaufen sich die Ausstiegskosten im ungünstigsten Fall auf auf 300 Millionen Euro. Bahn-Chef Grube hatte die Ausstiegskosten mit 1,5 Milliarden Euro beziffert. „Die hohen Beträge, die Bahnchef Grube und andere für den Ausstieg nennen, sind nicht seriös“, betonte dazu Hans Heydemann von den Ingenieuren22. Die Rückabwicklung des Gleisgeländekaufs samt aufgelaufener Zinsen sowie die Planungskosten für die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm würden zu Ausstiegskosten aus dem Tiefbahnhof umdeklariert. So werde versucht, die Menschen vor der Volksabstimmung hinters Licht zu führen.

Die Ingenieure22 haben in Zusammenarbeit mit den unabhängigen Verkehrsexperten Vieregg und Rössler außerdem erstmals ein gerichtsfestes Gutachten zur Leistungsfähigkeit des bestehenden Stuttgarter Bahnhofs erstellt. Das Gutachten wurde mit Spenden von Stuttgarter Bürgern finanziert und kommt zu dem Ergebnis, dass der bestehende Kopfbahnhof leistungsfähiger ist als Stuttgart 21. „Das Ergebnis zeigt die klare Überlegenheit des Kopfbahnhofs“. Für Stuttgart 21 konnten im Stresstest nur 49 Züge in der Spitzenstunde nachgewiesen werden – trotz häufiger Doppelbelegung der Gleise. Der Kopfbahnhof könne heute schon 56 Züge in der Stunde leisten, d.h. sieben Züge mehr ohne Doppelbelegung. Die Bahn habe eine Verdoppelung der Leistung des Bahnhofs durch Stuttgart21 versprochen, mit dem Stresstest sollte wenigstens ein Plus von 30 Prozent nachgewiesen werden. Weder die Bahn noch das zuständige Ministerium hätten geklärt, was der gegenwärtige Bahnhof leisten könne.

„Weit über vier Milliarden Euro für einen Bahnhof, der schlechter ist, als der, den wir schon haben. Wir sagen Ja zum Ausstieg aus Stuttgart 21“ heißt es in der Presseerklärung der Ingenieure22 für den Kopfbahnhof. Auch das Argument, der neue Bahnhof bringe schnellere Zugverbindung, sehen die Stuttgart21-Gegner inzwischen widerlegt. Auch das von Ex-Ministerin Gönner nicht veröffentlichte Gutachten zeige, dass eine Modernisierung des Kopfbahnhofs hinsichtlich der Verkürzung der Reisezeit mehr bringe als der Tiefbahnhof.

Nach Auffassung der Fraktionsgemeinschaft der Linken und von SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) im Stuttgarter Gemeinderat wird bei der Volksabstimmung am 27.November über mehr entschieden als nur über den Tiefbahnhof. Es gehe prinzipiell darum, ob die Bürger bei Großprojekten auch in Zukunft gefragt würden. Zur Untermauerung dieser Forderung sei eine möglichst hohe Beteiligung notwendig. Außerdem seien die Bürger auch aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob Baden-Württemberg ein Verkehrssystem habe, das den Bedürfnissen der Menschen entspreche und an umweltgerechter Mobilität ausgerichtet ist. Mit einer Realisierung von Stuttgart21, die Milliarden Euro binde, werde der Kurs der Bahn fortgesetzt, der zu Streckenstilllegungen im ganzen Land und zur Verrottung zahlreicher Bahnhöfe geführt habe, betont der Vorsitzende der Fraktionsgemeinschaft und Sprecher von SÖS, Hannes Rockenbauch. Stuttgart21 sei ein Rückschritt für die Umwelt und den Eisenbahnverkehr in Baden-Württemberg. Die Landesregierung habe das Recht, aus den mit falschen Zahlen erwirkten Verträgen auszusteigen.

End/nna/ung

Bericht-Nr.: 111102-01DE Datum: 2. November 2011

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