Nachrichtenbeitrag
Organspende als schwierige und persönliche Entscheidung
BERLIN (NNA) – Spätestens seit den Meldungen über kriminelle Machenschaften in deutschen Kliniken und der Reform der Organspende in Deutschland im letzten Jahr lässt dieses Thema kaum einen unberührt. Vorgesehen z.B. ist, alle Krankenversicherten ab 16 Jahre regelmäßig zu befragen, ob sie zur Organspende bereit sind. Wie kann der einzelne dabei zu einer fundierten Entscheidung kommen? Hilfestellung gab ein Vortrag von Privatdozent Dr. Harald Matthes, dem Leiter des Krankenhauses Havelhöhe in Berlin. „Organspende – Eine Entscheidung die jeder treffen muss. Gesichtspunkte für eine Entscheidungsfindung, war der Titel.“
Harald Matthes verdeutlichte zunächst die einzelnen Modelle der Transplantationsregelungen. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung (Kreuzchen auf dem Organspendeausweis) sowie die erweiterte Zustimmungsregelung. Bei dieser ist es möglich, dass nach dem Tod des Organspenders Angehörige und Sorgeinhaber – bei Minderjährigen – zustimmen. Voraussetzung sind persönliche Kontakte in den letzten zwei Jahren.
Die Lücke zwischen Organbedarf und tatsächlich transplantierten Organen in Deutschland ist enorm. Weniger als 10% der Bürger tragen einen Organspendeausweis bei sich. In 50% aller deutschen Krankenhäuser fand sich 2011 kein einziger Organspender. Die Zustimmung durch Angehörige bei Hirntod beläuft sich auf 50%.
Das humanistische oder christliche Weltbild beschäftigt sich nach Harald Matthes damit, was nachtodlich mit der Seele und dem Geist geschieht, wenn die Organe einer anderen Seele und einem anderen Geist zur Verfügung gestellt werden. Hat das eine Auswirkung auf mein nachtodliches Sein?
Zusätzliche Aspekte sind aus anthroposophischer Sicht gegeben. Hier bedeutet Tod, dass sich die Ich-Organisation, der Astral- und der Ätherleib vom physischen Leib lösen.
Matthes betonte, dass man den Tod des Gesamtorganismus als eine sich selbst regelnde Einheit von einzelnen Organversagen verstehen müsse: Das Organversagen von Leber, Niere etc. sei nicht verschieden von dem des Gehirns. Das Gehirnversagen – wie es das Transplantationsgesetz vorsieht – stelle ein sehr seltenes Ereignis dar. Meist sind es Herz/Kreislaufversagen oder Ersticken oder Marasmus, d.h. Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte, die zum Ableben führen. Zu Multiorganversagen komme es häufig auf Intensivstationen.
Das materialistische Weltbild gehe vom Ende alles Seins mit dem Tod aus. Es stellen sich keine darüber hinaus gehenden Fragen. Deutschland ist ein säkularisierter Staat. Religion und Weltanschauung sollen nicht ins politische Leben wirken. Der Staat darf sich keiner Weltanschauung bevorzugt zuwenden, bzw. eine für richtig erklären.
Die Frage nach dem Menschenbild ist eine transzendente Frage und kann grundsätzlich nicht wissenschaftlich beantwortet werden. Wissenschaft beginnt da, wo die Grundannahmen definiert werden. Paragraph 1 des Grundgesetzes besagt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. In Deutschland will der Staat / das Grundgesetz diese Würde jedem seiner Bürger zukommen lassen. Daher regelt Paragraph 1 nur, dass jeder Bürger – wir alle oder eben der Staat – jedem Individuum eine Würde zukommen zu lassen hat und der Staat darüber wacht. Die Würde des Menschen aber ist etwas, was nur auf der Grundlage einer geltenden Ethik gewährt werden kann.
Ethik ergibt sich aus einem Welt- und Menschenverständnis. Somit könne der säkularisierte Staat, der sich nicht zu einem Welt- und Menschenbild bekennt, nur höchst indirekt etwas schützen, was aus dieser Sphäre der Ethik kommt, führte Harald Matthes aus.
Die christlichen Kirchen gaben 1990 eine gemeinsame Erklärung zur Organtransplantation heraus, die Organspenden als Akt der Nächstenliebe befürwortet. Auch in anderen Religionen ist die Organspende als Akt der Nächstenliebe akzeptiert, wie zum Beispiel im Islam, Buddhismus oder Judentum. Es gibt jedoch Religionen, die die Organspende ablehnen, so der japanische Schintoismus, der Organentnahme als Schändung begreift. Ausschließlich ein unversehrter Leichnam ermögliche die Wiedergeburt der Seele. Auch der Konfuzianismus verlangt die Unversehrtheit. Er schreibt vor, dass bei denen, deren Verbrechen durch den Tod nicht gesühnt werden können, Organe entnommen werden.
Nur Organe von Hirntoten können transplantiert werden, denn die Organe müssen bis zur Entnahme optimal durchblutet und mit Sauerstoff versorgt sein. Es erfolgt die sogenannte „kalte Perfusion“: Alles Blut wird durch eine Ringerlösung ausgewaschen und mit ihr ausgetauscht. Dann folgt die kritische Zeit des Transports der Organe ohne Durchblutung vom Spender zum Empfänger. Die Kosten für diese Intensivtherapie nach Feststellung des Hirntods sind nicht kostendeckend.
Der Hirntod wird von zwei Ärzten anhand eines Protokolls festgestellt – nicht der Zeitpunkt des eintretenden, sondern der Zustand des bereits eingetretenen Todes.
Harald Matthes hielt dazu zwei Zitate bereit: „Im Hirntodkonzept steckt eine unzulässige Überbewertung des Gehirns. Die Aufspaltung des menschlichen Organismus in einen dienstbaren Körper und ein übergeordnetes, steuerndes, die menschliche Person verkörperndes Gehirn ist medizinisch-biologisch falsch“, meint der Herzchirurg Professor Stapenhorst. Und der Theologe Professor Klaus-Peter Jörns gibt zu bedenken: „Der Mensch ist die komplementäre Ganzheit aus Leib und Seele samt allen Gliedern und Organen. Er ist Individuum und kein Dividuum. Diese Einheit kann zwar verletzt werden, ist aber auch verletzt noch Einheit.“
Zum Schluss zog Harald Matthes ein „Fazit für die Zukunft der Organspende“: Nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Organtransplantation (DSO) warten derzeit rund 12.000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Deshalb werben Bundesgesundheitsministerium (BMG), Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die DSO für die Bereitschaft zur Organ- und Gewebespende – eine schwere und sehr persönliche Entscheidung, die ausreichend Information voraussetzt. Die Zukunft der Organspende liege so in der Information und im Dialog, um Vorurteile und Missverständnisse mit den richtigen Antworten auszuräumen und den Weg frei zu machen für die Organspende, die bewusst als Akt der Nächstenliebe und als etwas Selbstverständlichem gegeben wird.
Dennoch bleiben nach dem Vortrag noch Fragen wie zum Beispiel: Ist Menschen, die ihre Spendebereitschaft unterschreiben, bewusst, dass sie womöglich nicht würdig sterben?
END/nna/ror
Bericht-Nr.: 130215-01DE Datum: 15. Februar 2013
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