Nachrichtenbeitrag

Ohne echten Dialog wird die Glaubwürdigkeit der Regierung untergraben

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Von NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

Der Konfliktforscher Prof. Friedrich Glasl im Gespräch über die Auswirkungen der Corona-Krise. Verminderung der Rüstungsausgaben könnte mehr Mittel für Krisenfolgen liefern.

Am 27. Januar wurde in Deutschland die erste COVID-19-Erkrankung festgestellt – es sind gerade mal vier Monate her. Seither hat sich die Welt in einem Ausmaß verändert, wie man sich das nicht hatte vorstellen können. Was bedeutet das für unsere Zukunft, in welche Richtung geht die Entwicklung? Auf vielen Ebenen zeichnen sich Konflikte ab – NNA hat den bekannten Konfliktforscher Prof. Dr. Dr. Friedrich Glasl nach seinem Blick auf die Corona-Krise gefragt.

Salzburg (NNA) – NNA: Herr Prof. Glasl, wie sind diese ganzen Veränderungen der letzten Monate aus der Sicht der Konfliktforschung zu beurteilen?

Glasl: Die Komplexität ist noch weiter gestiegen, z.B. beim Thema Globalisierung kann man das sehen hinsichtlich der Abhängigkeiten von Stoffen und den Lieferketten industrieller Produktionen. Da kann man jetzt sehen, mit welchem Optimismus oder man kann auch sagen, mit welcher Einseitigkeit und Unbesonnenheit die neoliberalistische Wirtschaftsauffassung die Globalisierung vorangetrieben hat. Das ist sicherlich eine erste Schlussfolgerung, die man aus der Corona-Krise ziehen muss. Es gibt eben Dinge, die zur Existenzsicherung gehören, da sollte man sich nicht abhängig machen, im militärischen Bereichen gibt es davon ein Bewusstsein, aber woanders war das eben bisher nicht da. Diese Naivität ist jetzt weg.

Außerdem verleiht die Corona-Krise denjenigen Kräften Auftrieb, die sich gegen internationale Kooperation wenden und die Nationalismus und Chauvinismus propagieren. Das sieht man am Beispiel von US-Präsident Trump, aber auch hier in Europa und auch bei uns. Ich habe Freunde in Sachsen, die berichten, wie AfD-Mitglieder fast täglich versuchen, die Corona-Krise auszunutzen um bei Protesten gegen Regierungsbeschlüsse einen größeren Teil des bürgerlichen Lagers für sich zu gewinnen.

NNA: Der Ansatzpunkt dabei sind ja die Maßnahmen, die ergriffen worden sind von der Bundesregierung, sie werden kritisiert, weil sie aus der Sicht der Corona-Skeptiker zu weit gegangen sind. Wie sehen Sie das?

Glasl: Was mich bei den Maßnahmen, wie sie in Deutschland, Österreich und auch sonst in EU-Ländern ergriffen worden sind, besorgt macht, ist ihre Eindimensionalität. Gesundheit ist ein hohes Gut, aber im Grunde wurde doch die physische Gesundheit isoliert betrachtet und auch nur aus der kurativen Perspektive. Aus meiner Sicht haben es sich die Regierungen da zu leicht gemacht, Gesundheit hat auch eine seelisch-geistige Dimension. Und es wurden die Erkenntnisse der Salutogenese nicht berücksichtigt, d.h. was stärkt unsere Gesundheit, unser Immunsystem. Das konnte man z.B. sehen bei der Isolierung der älteren Menschen, dass das so nicht durchzuhalten war. Die Frage ist, wie man das jetzt korrigieren kann, ohne als Regierung die Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Es ist auch sicherlich zu eindimensional, alle Hoffnungen auf einen Impfstoff zu setzen, um die Pandemie zum Verschwinden zu bringen. Das Virus ändert sich ständig, das sagen auch Experten, es ist immer schneller und ein gerade gefundener Impfstoff kann morgen wieder überholt sein. Deswegen gilt es hier, mehrdimensional zu denken: Wie sind die Lebensumstände, wie ist die Ernährung, das heißt, Gesundheit nicht nur kurativ, sondern präventiv zu verstehen und sich die Frage zu stellen, wie können wir individuell das Immunsystem stärken? Das sind alles Fragen der Salutogenese und der ökologischen Rahmenbedingungen.

Und nicht zuletzt muss man auch die Wissenschaft genauer anschauen: Wie steht es mit ihrer Glaubwürdigkeit? Welche Wissenschaft meinen wir? Ist sie käuflich oder wirklich frei und nur der Wahrheit verpflichtet? Das hat auch mit Werten und Priorisierungen zu tun. Man müsste auch bei manchen Expertinnen und Experten nach „conflict of interests“ fragen, wenn Forschung von der Wirtschaft gesponsert wird.

Argumente nachvollziehen

NNA: Aber was soll man genau anders machen? Wenn Sie jetzt Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel wären, was würden Sie ihr empfehlen?

Glasl: Wichtig wäre aus meiner Sicht die Freiheit von Wissenschaft und Lehre ernst zu nehmen und die Verschiedenheit der Auffassungen zuzulassen, die ja durchaus wissenschaftlich fundiert sein können. Weil das nicht geschieht, gibt es jetzt eine Grauzone, wodurch Verschwörungstheorien gefördert werden.

NNA: Wie man im Bekanntenkreis erleben kann, ist die Auseinandersetzung mit diesen anderen Auffassungen derzeit kaum möglich – da gibt es ein Pro und Kontra und ein Gespräch kommt kaum zustande. Es besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft sich polarisiert, das hat man ja in den USA gesehen. Dies wiederum arbeitet gerade den rechtspopulistischen Kräften in die Hände, das haben Sie ja vorhin selbst angemerkt.

Was kann man tun – wie könnte es gehen, die verschiedenen Auffassungen zuzulassen?

Glasl: Indem man professionell moderierte Diskurse veranstaltet. Ich meine damit nicht die üblichen Rededuelle, die Debatten, bei denen man permanent im Wahlkampfmodus ist nach dem Motto „Wer erschießt wen“ – rhetorisch gemeint. Professionell mediativ moderierte Diskurse braucht man da, bei denen Hintergründe ausgeleuchtet werden und aufgezeigt wird, womit die eigene These untermauert werden kann und explizit machen, auf welchen Grundannahmen sie beruht. Das heißt, dass man mit der Dialogmethode nach Martin Buber, David Bohm und William Isaacs arbeitet, bei der jede Seite nicht nur sich selbst darstellt, sondern auch die Argumente der anderen nachvollziehen kann. So kommt es zu einem Abwägen und werden auch Kompromisse möglich.

Wenn Positionen einfach nur isoliert im Raum stehen, ist das keine Auseinandersetzung, die zu wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen führt.

Mit der Dialog-Methode kann man ein Optimum erreichen, eben die Mehrdimensionalität. Das wird ja bei großen Firmen auch so gemacht, dass man bei Strategieentscheidungen verschiedene Szenarien erstellt und Entscheidungsvarianten und deren Folgen durchdenkt. Das würde der Demokratie auch sehr guttun und für Transparenz sorgen. Wenn dieser Diskurs versäumt wird, kommt eine gewisse Unfreiheit auf und die Glaubwürdigkeit der Regierung wird untergraben.

NNA: In unserem NNA-Interview mit dem Philosophen Prof. Schwaetzer, war eine Frage, wo die Chancen in dieser Krise liegen, was man aus ihr lernen könnte, so wie es aussieht, gehören Diskursmethoden dazu. Diese müsste man jetzt beherrschen, um der Komplexität Rechnung zu tragen...

Glasl: Das gilt übrigens auch für die EU, da müssten Konflikte zwischen den Mitgliedern auch in erster Linie diskursiv gelöst werden, statt gleich mit dem Strafmodus zu operieren, also mit der letzten Instanz.

Das ist auch meine Erfahrung in einem anderen Kontext, dass man sich unter den einzelnen Staaten viel mehr austauschen müsste über die Hintergründe der jeweiligen Haltung. Bei einem Diskussionsforum, bei dem es um die Annexion der Krim ging, konnte ich das erleben, wie sowohl auf der westlichen als auch auf der östlichen Seite bestimmte blinde Flecken zu bemerken waren, die umgangen worden sind. Das war keine böse Absicht, es waren einfach bestimmte Tatsachen und Zusammenhänge, die nicht in die Urteilsbildung einbezogen worden sind. Wenn wir z.B. die historischen Hintergründe des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine nicht kennen, die bis ins 9. und 12.Jahrhundert zurückreichen, durch Chruschtschow eine neue Wendung bekommen haben und bis heute ihre Wirkung entfalten, verstehen wir den heutigen Konflikt nicht wirklich.

Systemmängel

NNA: Wenn wir jetzt bei den internationalen Zusammenhängen sind – es ist ja jetzt auch viel von einem neuen Kalten Krieg die Rede oder auch davon, dass die Corona-Krise sowas wie eine Bewährungsprobe für die verschiedenen Systeme ist – autoritär z.B. gegen demokratisch und man zum Schluss sehen kann, wer besser dasteht. Was meinen Sie dazu?

Glasl: Diese Hegemonie-Wettkämpfe sind stets da auf internationaler Ebene – sie nehmen nur immer wieder andere Formen an. Sicherlich werden jetzt bei der Corona-Pandemie Systemmängel sichtbar, man konnte z.B. sehen, dass sich die USA, Italien und Großbritannien nicht vergleichen könnten hinsichtlich ihrer Gesundheitssysteme mit Deutschland, Österreich oder der Schweiz.

Durch die Corona-Krise verlagern sich die alten hegemonialen Bestrebungen auf andere Bereiche. Die Frage wird zum Schluss sein, wer definiert sich subjektiv als Gewinner und wer als Verlierer? Das ist der Punkt, an dem die Verschwörungstheorien auch ansetzen, sie sehen z.B. die Pharmaindustrie als Gewinner. Es ist schon so, dass der Kursverfall verschiedener Industrien genutzt wird, um Profite zu machen, der Homo oeconomicus ergreift solche Gelegenheiten natürlich, da gibt es sicherlich Gewinner, Industrien, die profitieren.

Die verschiedenen Länder sind auch unterschiedlich betroffen. Die Konkurrenz war schon vor der Corona-Krise groß zwischen den verschiedene Wirtschaftsräumen, also den USA, Europa und China. Da wurde lange auch nicht hingesehen, wie China expandiert ist in Afrika oder Südamerika. Wenn sich China jetzt schneller erholt als die anderen Länder, wird das Konsequenzen haben.

NNA: In diesem Wettkampf wird auch mit Feindbildern gearbeitet, US-Präsident Trump verweist auf China als Ursache der Pandemie, wenn die US-Medien ihm Versäumnisse vorwerfen und auf die vielen Toten in den USA hinweisen – bringt das nicht eine gefährliche Eskalation?

Glasl: Es erinnert mich an eine andere Ära, die der Wiedervereinigung Deutschlands, nach der sich die Feindbilder des Westens anfingen zu verschieben hin zu den Ölmächten der arabischen Welt. Im Grunde sind es die militärischen Systeme, die diese Feindbilder brauchen, damit akzeptiert wird, dass die Rüstungsausgaben weiter steigen. Diese Dynamik lief ja schon vor Corona, als die USA Druck auf die EU ausübten, 2% des Haushalts für Rüstung zu verwenden. Das geht ja weit über das hinaus, was aufgewendet wird und wirkt zulasten von Bildung und Gesundheit – die Bundesregierung hatte die 2% mittelfristig auch schon zugesagt. Es wäre eine wichtige Weichenstellung, diese Zusage jetzt angesichts der Corona-Krise auf den Prüfstand zu stellen.

NNA: Das könnte auch ein guter Ansatzpunkt für die Zivilgesellschaft sein, eine Verminderung der Rüstungsausgaben zu fordern, die Corona-Krise verursacht ja enorme Kosten und überall wird überlegt, wo das Geld dafür herkommen soll. Wer könnte so eine Forderung vertreten?

Glasl: Das müsste in der internationalen Politik der EU eine richtige Offensive sein, es ist ja auch im Sinn von UN-Generalsekretär Guterres, der einen Waffenstillstand auf der ganzen Welt gefordert hat aufgrund der Corona-Pandemie. Das Geld ist ja da, das für die Rüstung ausgegeben wird! Die Frage ist, was haben wir aus der Krise gelernt, was wollen wir für Prioritäten setzen. Der Kapitalismuskritiker Jean Ziegler hatte im Foyer des Sicherheitsrates im UNO-Gebäude einmal ein riesiges Bild aufgehängt, das die Rüstungsausgaben weltweit zeigte und im Gegensatz dazu, was man brauchen würde für alle die notwendigen Programme z.B. gegen Wüstenbildung, für die Flüchtlinge und auch gegen Epidemien – damals war das noch keine Pandemie. Diese Programme hätte man mit einem Drittel der Summe finanzieren können, die für Rüstung und Kriegführung auf der ganzen Welt Jahr für Jahr ausgegeben wird!

NNA: Herr Prof. Glasl, vielen Dank für das interessante Gespräch!

END/nna/ung

Das Interview führte Cornelie Unger-Leistner

Bericht-Nr.: 200610-01DE Datum: 10. Juni 2020

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Foto: Prof. Friedrich Glasl