Nachrichtenbeitrag

Muslimische Männer nicht zum „Hochrisikofaktor“ erklären

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Von NNA Mitarbeiter

Die Kriminologin Rita Steffesenn warnt for der generellen Zuschreibung von Gewalt an muslimische Männer. Übergriffen gegen Frauen wie in Köln liege eine kriminelle Motivation zugrunde.

OBERURSEL (NNA) – Die Übergriffe gegenüber Frauen in Köln in der Sylvesternacht sind vor allem das Werk von organisierten krimininellen Banden. Diese Auffassung vertritt die Kriminologin Rita Steffesenn im Interview mit der Zeitschrift Publikforum. Dies sei das „treffendere Thema“ als die generelle Zuschreibung von Gewalt an muslimische Männer.

„Wenn ich ‚den muslimischen Mann’ zum Hochrisikofaktor für Sexualdelikte erkläre, ist das weder wissenschaftlich noch aus Felderfahrungen haltbar,“ betont die Mitarbeiterin des Zentrums für Kriminologie und Polizeiforschung in Kaiseresch, die seit 20 Jahren in der Therapie von Gewalt- und Sexualstraftätern tätig ist.

Religion und kulturelle Herkunft seien keine Risikofaktoren. Entscheidend sei vielmehr, wie Bindungen erfahren würden und wie man mit Sexualität umgehe, ob es deliktfördernde Ansichten und Einstellungen gebe.

„Natürlich gibt es Familien mit Migrationshintergrund, auf die das zutrifft, aber dann muss ich mir deutsche Familien in bestimmten Bereichen genauso ansehen – und zwar durch alle Schichten hindurch“.

Ambivalenter Sexismus

Eine Rolle bei übergrifflichem Verhalten gegenüber Frauen spiele ambivalenter Sexismus, die Wahrnehmung der Frau als Heilige oder als Hure. „Diesen Sexismus finden wir gleichermaßen bei ausländischen wie bei deutschen Sexualtätern.“ Wenn sich die Frau auf eine bestimmte Weise verhalte, werde sie geachtet, bei einem anderen Verhalten gelte sie als Schlampe. Aber nicht jeder, der so ein Frauenbild habe, begehe sexuelle Übergriffe.

Als Risikofaktoren, die sexuelle Straftaten begünstigen, nennt die Kriminologin in dem Interview u.a. hohe Impulsivität, Zwanghaftigkeit, Mangel an Empathiefähigkeit, soziale Isolation, erlittene Traumata sowie das Miterleben von häuslicher Gewalt.

Als Schutzfaktoren gelten positive Freizeitinteressen, realistische Ziele und gute Kommunikationsfähigkeiten. Zum Teil beruhten sexuelle Übergriffe auch auf Überforderung, „Flirten, Grenzen achtendes Flirten will gelernt sein“, betont die Kriminologin. Wenn jemand aus einem Land komme, in dem Sexual- und Lebenspartner verordnet würden, lerne er nicht, wie man um jemanden wirbt.

„Bei sexuellen Übergriffen spielt das als sogenannte Courtship-Disorder – als Störung des Werbungsverhaltens – tatsächlich eine Rolle.“ Viele Männer und Frauen wüssten nicht, wo die Grenze liege, wenn sie nie auf sie gestoßen sind. Diese Zusammenhänge müssen aus der Sicht der Kriminologin auch bei der Integrationspolitik Berücksichtigung finden.

Kriminelles Milieu

Der Erklärung der Vorfälle in Köln dienen diese Zusammenhänge allerdings nicht: Die Täter hätten körperlichen Kontakt zu ihren Opfern hergestellt, der in den meisten Fällen dazu dienen sollte, sie auszurauben. „Bei den Frauen haben sie sich dann noch den ‚Spaß’ gegönnt, sie am Busen, am Po, an der Vagina anzufassen. Das kriminelle Milieu ist keine empathische Welt“, meint die Kriminologin.

Übergriffe wie in Köln könnten nur verhindert werden, wenn man versuche, den Tätern „Gelegenheitsstrukturen zu entziehen. Dafür müssen wir achtsam und aufmerksam sein, Vorfälle und Gefahrensituationen melden.“ Mögliche Meldestellen müssten der Bevölkerung bekannt sein. Auch die Polizei sei jetzt mehr sensibilisiert. Generell sollten sexuelle Übergriffe mehr thematisiert werden unabhängig von der Herkunft der Täter.

END/nna/nh

Quelle: Publikforum, 29.Januar 2016, S.16

 Bericht-Nr.: 160223-02DE Datum: 23. Februar 2016

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Ankunft von Flüchtlingen in München im September 2015. Nach den Übergriffen gegenüber Frauen in Köln in der Sylvesternacht hat sich die Stimmung gegenüber Migranten und Muslimen verschlimmert. Religion und kulturelle Herkunft sind jedoch keine Risikofaktoren sagt Kriminologin Rita Steffesenn. Entscheidend seien andere Faktoren.<br>Foto: Jazzmany / Shutterstock.com