Nachrichtenbeitrag

Mit Momenten innerer Ruhe durch die Finanzkrise – Besuch bei dem ungewöhnlichen Unternehmer Dr. Andreas Kaufmann

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Von NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

„Waldorflehrer rettet deutsches Traditionsunternehmen“: Durch die Übernahme der Kamera-Firma Leica sorgte Dr. Andreas Kaufmann vor allem auf den Wirtschaftsseiten für Schlagzeilen. Aber wer ist der Mensch hinter dieser märchenhaften Geschichte? NNA-KorrespondentinCornelie Unger-Leistner hatte in Salzburg Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen.

SALZBURG (NNA) – Schon im Konferenzraum der Projektentwicklungsfirma ACM in Salzburg, wo Dr. Andreas Kaufmann, der Aufsichtsratsvorsitzende der Firma Leica, seinen Sitz hat, ist einiges anders als in anderen Firmen. Eine Bücherwand zieht sich die eine Seite entlang, historische Kameramodelle schmücken zwei angeleuchtete Vitrinen, in denen sich auch die Auszeichnung „World Entrepreneur des Jahres 2014“ findet, die Kaufmann gerade verliehen wurde. In der Ecke gegenüber stößt man auf das berühmte Foto des kolumbianischen Revolutionsführers Che Guevara.

Bereits dieses Ambiente lässt eine Ahnung davon aufkommen, dass an diesem Firmensitz das Wort des Wirtschaftstheoretikers Milton Friedman nach dem „business“ der alleinige Daseinszweck des Geschäftslebens darstellt, eher nicht gilt. Im Gespräch mit Dr. Andreas Kaufmann bestätigt sich diese Annahme: Verpflichtung, Verantwortung und Gestaltung sind Begriffe, die oft fallen, wenn man ihn nach seinem ungewöhnlichen Lebensgang fragt, der den Literaturwissenschaftler und Politologen aus dem Klassenzimmer der Freien Waldorfschule Göppingen in die Chefetage der Firma Leica geführt hat.

Entscheidungen

Eine Zeitlang lief die Arbeit parallel zum einen in der Verwaltung eines ererbten österreichischen Industrieunternehmens in der Papier- und Zellstoffindustrie und zum andern in der Oberstufe der Waldorfschule. Ende der 90er Jahre musste sich Kaufmann dann entscheiden: „Zwei Leben nebeneinander ließen sich nicht mehr vereinbaren. Man kann entweder Leute ein ererbtes Vermögen verwalten lassen, die Früchte genießen, Waldorflehrer bleiben und Reisen machen oder man kann etwas damit gestalten.“

Dass ersteres für Kaufmann nicht infrage kam, hängt mit seiner Herkunft und auch mit seiner Jugendzeit zusammen. Aufgewachsen in einer anthroposophischen Familie in Schwäbisch Gmünd – sein Vater war Leiter der Ärzteabteilung bei der Weleda AG – kam Kaufmann schon früh mit den Gedanken der sozialen Dreigliederung in Berührung.

Während andere Angehörige der 68er Studentenbewegungsgeneration ihr Heil in den Schriften von Marx und Engels suchten, befasste sich der Waldorfschüler Andreas Kaufmann im Rahmen der Schülerbewegung in den 70er Jahren im Umfeld des Achberger Kulturzentrums und des Stuttgarter Forum3 mit dem Werk von Rudolf Steiner und seiner Schüler.

Die Veränderung der Welt stand für ihn genauso auf der Tagesordnung wie für den Rest seiner Generation – aber eben unter anderen Vorzeichen. „Was mich zum Beispiel sehr beeinflusst hat, war der Geldbegriff von Wilhelm Schmundt. Danach hat Geld zwei Funktionen, also einen Doppelcharakter: Es beinhaltet das Recht zum Konsum, aber auch die Verpflichtung zum Einsatz der eigenen Fähigkeiten. Das ist eine Schlussfolgerung aus dem nationalökonomischen Kurs von Steiner.“ Vor diesem Hintergrund habe er dann das ererbte Vermögen vor allem als Verantwortung begriffen, damit Zukunft zu gestalten, erläutert Kaufmann.

Neue Richtung

Dass der Verkauf des Familienunternehmens damit verbunden sein würde, war Kaufmann und seinen beiden Brüdern von vornherein klar: „Wir suchten nach anderen Möglichkeiten, weil die Papier- und Zellstoffindustrie sehr kapitalintensiv ist. Das ist für ein Familienunternehmen nicht einfach.“ Durch einen Berater landeten die Brüder in Wetzlar, wo sie zunächst eine kleine Feinwerktechnik-Firma übernahmen.

In der Nachbarschaft befand sich der kriselnde deutsche Kamerahersteller Leica. Kaufmann und seine Brüder waren interessiert und erwarben im Sommer 2004 Anteile an der Firma. Ein Jahr später zeigte sich, dass der Handlungsbedarf bei der Firma wesentlich größer war als angenommen, seine Brüder stiegen aus, Kaufmann blieb dabei: „Wenn man das vorher immer wüsste, worauf man sich einlässt, kann man sich gleich in den Sarg legen“.

Eine komplette Restrukturierung der Firma erwies sich als erforderlich. In diesem Zusammenhang tritt Kaufmann auch der vielfach veröffentlichten These entgegen, Leica habe die Digitalisierung im Fotobereich verpasst: „Das stimmt so nicht, schon in den 90er Jahren waren digitale Kameramodelle entwickelt worden. Was fehlte, war eine klare Richtung, wohin es mit der Firma gehen sollte.“ Die Übernahme von Leica wurde so für den frischgebackenen Unternehmer Kaufmann zu einer harten Bewährungsprobe.

Denn noch während die Restrukturierung im Gang ist, gerät die Weltwirtschaft durch die Finanzkrise 07/08 in eine Schieflage. In dieser Zeit steigt Kaufmann zeitweise selbst als Geschäftsführer bei Leica ein: „Ich wollte den Mitarbeitern zeigen, dass unsere Familie präsent ist in diesen schwierigen Zeiten“. Auch die Veränderungen in der Fotobranche macht dem Kamerahersteller, der eigentlich auf den stetig schwindenden Fachhandel angewiesen ist, zu schaffen. Kaufmann reagiert mit dem Konzept der 180 Leica-Shops, die es inzwischen weltweit in großen Städten gibt und setzt damit auf den direkten Kontakt zu den Kunden.

Ein offenes Ohr

Bei der Produktentwicklung hat er ein offenes Ohr für die Leica-Mitarbeiter, die die Idee einer Schwarz-Weiß-Kamera ins Gespräch bringen. „Das sind gute Mitarbeiter eines Traditionsunternehmens, die sehr stolz auf die Qualität ihrer Produkte sind. Ich spreche immer regelmäßig mit möglichst allen“, hebt er hervor. Kaufmann nimmt daher die Anregung für das neue Produkt ernst. Die Schwarz-Weiß-Kamera, die dann produziert worden ist unter den erstaunten Augen der gesamten Fotobranche, hat sich inzwischen als Bestseller erwiesen.

Als selbstverständlich betrachtet Kaufmann seinen Erfolg nicht, der der Firma Leica inzwischen jährlich einen Umsatz von 330 Mio Eur beschert und die Mitarbeiterzahl von 950 auf rund 1.500 anwachsen ließ. „Es ist nicht einfach, auf die Nachfrage zu regieren“. Von Marktforschung hält er in diesem Zusammenhang eher wenig: „Wenn Henry Ford damals die Bürger befragt hätte, was sie brauchen, hätte er ein stärkeres Pferd entwickelt und kein Automobil“.

So steht am Ende ein Unternehmer, der eine Vision verbindet mit der bewussten Übernahme von Verantwortung. Aber wie schafft man das?

„Man muss wissen, wohin man will“, betont er. Und man dürfe keine Angst haben. Auch hier kommt Kaufmann sein anthroposophischer Hintergrund zugute, denn – wie er schildert – halte er sich an die Regel einer Nebenübung, die Rudolf Steiner hinterlassen hat: „Schaffe dir Momente der inneren Ruhe und lerne das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden“. Diese alte Regel, meint er, sei auf alles anwendbar – auch im Geschäftsleben.

Eine große Zukunft

Als verallgemeinerbares Modell möchte Kaufmann den Prozess, den er mit der Firma Leica durchlaufen hat, nicht verstanden wissen: „Es gibt keine Modelle. Man muss immer neu gestalten, wenn man dann drei Jahre später hinschaut, ist es wieder anders“. Und was ist aus seinen Jugendträumen geworden, in denen er die Welt verändern wollte? „Das versuche ich immer noch – in dem Rahmen, in dem ich es kann. Es ist ja kein schlechtes Ziel, ein Traditionsunternehmen, das einmalig ist in Europa, gegenüber der Konkurrenz aus Fernost zu behaupten“.

Spürbar wird auch seine Hochachtung gegenüber dem Unternehmen, dessen Nachfolge er jetzt angetreten hat: „Darin steckt die Arbeit von Generationen der Leitz-Familie. Das Unternehmen hat eine große Zukunft, wenn man es richtig macht. Von so einer Aufgabe läuft man nicht weg.“

In einer der Vitrinen im Konferenzraum in Salzburg findet sich auch die kleine DDR-Kamera, mit der Andreas Kaufmann als Junge fotografieren gelernt hat. Heute ist die kleinste der neuen digitalen Leicas sein ständiger Begleiter. Bis zu 20 Aufnahmen am Tag macht er damit, erzählt er: „Ich knipse immer Szenen aus meinem Leben“. Um welche Motive es da geht, verrät möglicherweise das neue Logo der Firma, das sich anhört, als sei es auch aus den Momenten innerer Besinnung ihres Aufsichtsratsvorsitzenden entstanden. Es lautet nämlich: „Leica – Das Wesentliche“.

END/nna/ung

 Bericht-Nr.: 141127-05DE Datum: 27. November 2014

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Dr. Andreas Kaufmann: Vom Waldorflehrer in die Chefetage der Firma Leica<br>Foto: Leica Camera AG, Wetzlar