Nachrichtenbeitrag

Ist die COVID-19-Krise ein „Preis für wirtschaftliche Entwicklung“?

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Von NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

ANALYSE | Umweltschäden, Handel mit Wildtieren und Ausdehnung des Reiseverkehrs als Hintergrund – Wissenschaftler befürchteten schon länger eine Pandemie mit unbekannten Erregern.

GENF/BERLIN/LONDON/HEIDELBERG (NNA) – Auf über 170  Staaten ist die Liste derjenigen Länder inzwischen angewachsen, in denen Menschen am neuen Corona-Virus COVID-19 erkrankt sind, fast 20.000 Todesopfer hat die Pandemie bisher weltweit gefordert (25.3.), die sich vorher so kaum jemand in Europa vorstellen konnte. In Kreisen der Wissenschaftler, die zu solchen Phänomenen forschen, sieht das anders aus. Sie hielten einen derartigen Ausbruch durchaus für möglich.

Ausdehnung des weltweiten Reiseverkehrs, Verstädterung, Umweltzerstörungen und das immer stärkere Vordringen des Menschen in die Lebensräume der Wildtiere ließen aus ihrer Sicht Pandemien durch bisher unbekannte Krankheiten immer wahrscheinlicher werden.

Die Infektionsrisiken, die mit diesen Trends einhergehen, hätten den Virologen schon länger „schlaflose Nächte“ bereitet, schreibt das Wissenschaftsmagazin spektrum in einer ausführlichen Analyse dazu.

Mindestens 75% der neuauftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen haben einen tierischen Ursprung, darauf weist auch die Umweltorganisation WWF hin. Vorläufer der gegenwärtigen Pandemie mit COVID-19 waren Epidemien verursacht durch Sars, die Vogelgrippe und Ebola. Andere Krankheiten, die von Tieren zu Menschen übergewechselt sind, sind z.B. Mers im Nahen Osten, das von Kamelen stammt, das Lassa-Fieber, das durch Ratten übertragen wird oder Zika, das sich durch Mücken verbreitet in tropischen und subtropischen Gebieten.

Kate Jones vom Lehrstuhl für Ökologie und Biodiversität des renommierten University College London (UCL) sieht in diesen aus dem Tierreich stammenden Infektionskrankheiten eine „wachsende und sehr bedeutsame Bedrohung von Gesundheit, Sicherheit und Wirtschaft weltweit“. Jones weist darauf hin, dass das vermehrte Auftreten dieser sog. zoonotischen Krankheiten auch durch menschliches Handeln und Veränderungen in der Umwelt verursacht wird. Rodung von Waldgebieten, Bergbau, Straßenbau in entlegenen Gebieten, schnelle Verstädterung und das damit verbundene Bevölkerungswachstum bringen die Menschen mit Arten in Kontakt, denen sie niemals nahe waren, betont die Wissenschaftlerin in der Zeitung The Guardian.

Die dadurch verursachte Transmission der Erreger vom Tier zum Menschen seien „versteckte Kosten der ökonomischen Entwicklung. Es gibt so viele mehr von uns in jeder Art von Umwelt. Wir dringen weit in bisher ungestörte Gebiete vor und setzen uns so mehr und mehr aus. Wir schaffen Bedingungen, in denen Viren leichter überwechseln können und sind dann überrascht, wenn wir neue entdecken“.

Schnittstelle „Mensch-Tier-Ökosystem“

Auch der WWF sieht „eine immer größere Schnittstelle zwischen Mensch, Tier und Umwelt, an der sich Krankheiten übertragen können“. Mit dieser Schnittstelle im „Mensch-Tier-Ökosystem“ befasste sich eine internationale Forscherkonferenz der WHO am 11./12. Februar in Genf, sie analysierte die bisher vorliegenden Informationen zu den Ursachen der COVID-19-Pandemie. So sollten erste Empfehlungen für weitere Forschungen gegeben werden, wo genau der „spill over“ zu finden ist, der Übertritt des Virus auf den Menschen.

„Viele wichtige Fragen sind bisher nicht beantwortet worden“, heißt es dazu im Report der Organisation „World Organisation for Animal Health“ (OiE) von der Konferenz. Tiere als Quelle der Erkrankung seien „wahrscheinlich“, aber durch die spärlichen Informationen aus China gebe es wesentliche Wissenslücken, die Gerüchten und Spekulationen Tür und Tor öffneten.

Das US-Boulevardblatt New York Post hatte z.B. ein Labor im Verdacht, in dem in China an biologischen Waffen geforscht werde und aus dem der Virus ausgetreten sein könne. In Frankreich zirkulierte ein Video, in dem auch Forschungen, an denen neben chinesischen Wissenschaftlern auch das Institut Pasteur in Paris beteiligt gewesen sei, mit dem Ausbruch der Pandemie in Verbindung gebracht worden ist, bei einem Versuch mit Fledermäusen seien den Forschern Versuchstiere entwichen, die die Seuche verbreitet hätten.

Der Möglichkeit, dass das Virus der gegenwärtigen Pandemie aus einem Labor in Wuhan stammen könnte, ist auch die chinesische Forscherin Shi Zhengli nachgegangen. Die bekannte Virologin forscht seit der SARS-Epidemie nach deren auslösenden Erregern in Fledermäusen. Als sie vom Ausbruch der neuen Epidemie in Wuhan hörte, fragte auch sie sich, ob diese neuen Erreger aus dem Labor am Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Wuhan stammen könnten. Die Forscher hätten das Genom des neuen Virus dann aber analysiert und seien erleichtert gewesen, dass keine der neuen Gensequenzen mit dem Erbgut derjenigen Fledermäuse übereinstimmte, die Shi Zhengli und ihr Team für ihre Forschungen verwendet hätten, berichtet das Wissenschaftsmagazin spektrum.

Trotzdem der lückenhaften Informationen sei es notwendig, von bestimmten Voraussetzungen hinsichtlich der Ursachen der Pandemie auszugehen, um die weitere Verbreitung einzudämmen, wird in dem Forschungsreport der OiE betont.

Zwischenwirt

Das bei erkrankten Menschen isolierte COVID-19 Virus weise zu 96% Ähnlichkeit auf mit Beta-Coronaviren, die in Fledermäusen der Art Rhinolophus zu finden sind. Dies war auch schon zu 92% beim Corona-Virus so, der die SARS-Epidemie 2002/3 ausgelöst hat. Fledermäuse dieser Art sind sehr verbreitet, es gibt sie in Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Europa. Allerdings ist eine direkte Übertragung der Erreger von diesen Fledermäusen auf den Menschen nicht möglich, deswegen sind die Forscher auch im Fall von COVID-19 auf der Suche nach einem Zwischenwirt. Im Fall des SARS-Virus gilt eine bestimmte Art von Schleichkatzen, (civet cats) als solcher Zwischenwirt. „Die Rolle dieses Zwischenwirts kann viel wichtiger sein an der Mensch-Tier-Schnittstelle als die ursprüngliche Quelle des Virus“, heißt es in dem Bericht weiter. Deswegen sei es wichtig, die Rolle möglicher Zwischenwirte zu klären und sie zu identifizieren.

Da ein hoher Prozentsatz der Kranken der ersten und zweiten Generation in China mit dem Besuch des Huanan Seafood Wholesale Markets in der Acht-Millionen-Stadt Wuhan verbunden ist, steht dieser Markt im Fokus der Forscher.

Dabei gehen sie von zwei Hypothesen aus: Das Virus wurde in die menschliche Population getragen durch tierische Quellen. Aber auch eine zweite Variante sei vorstellbar: Besucher oder Mitarbeiter hätten das Virus zum Markt gebracht, seine Quelle sei außerhalb zu finden, es sei dann durch Tiere verstärkt worden, die wiederum Menschen infiziert hätten.

Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die auf dem Markt verkauften Wildtiere, die eine mögliche Übertragungskette bilden können. Verschiedene Tiere sind danach von den chinesischen Behörden getestet worden, hätten aber keinen Befund hinsichtlich des COVID-19-Virus erbracht. Genauere Angaben dazu liegen nach Informationen des OiE allerdings nicht vor. Demgegenüber sei das Virus auf dem Gelände des Markts nachgewiesen worden, Abstriche seien in der Nähe der Plätze gemacht worden, an denen die Tiere gehalten worden waren. Dies zeige, dass das Virus eine gute Überlebenschance in diesem Umfeld hatte oder dass eine hohe Belastung der Umgebung mit dem Virus gegeben gewesen sei.

Die folgenden Vorschläge der Konferenz für die weitere Forschung zeigen die ganze Tragweite der Fragestellung auf. Bei der Suche nach dem Zwischenwirt für die Übertragung sollte nach Auffassung der Forscherkonferenz eine breite Palette von Tieren einbezogen werden, angefangen von Wildtieren über Schädlingen und Ungeziefer, über streunende oder verwilderte Tiere bis hin zu Haustieren, sowohl Begleittiere als auch Vieh kämen als Zwischenwirt in Betracht. Auch die Übertragungsmöglichkeiten von Menschen zu Haustieren seien zu prüfen.

Handel mit Wildtieren

Unter den zahlreichen weiteren Empfehlungen der Forscherkonferenz ist auch die Untersuchung des Handels mit Wildtieren zu finden. Der illegale Handel mit wilden Tieren stelle nicht nur eine Gefahr für die Artenvielfalt, sondern auch für uns Menschen dar, betont auch der WWF. Dass die chinesische Regierung den Handel mit diesen Tieren als Folge der COVID-19-Epidemie zeitweise verboten habe, sei „eine sinnvolle Entscheidung“.

Hier beinhaltet das Protokoll der internationalen Forscherkonferenz eine lange Liste mit Forschungsaufträgen, die ein besseres Verständnis der Dynamik rund um den Handel mit illegalen Wildtieren ermöglichen sollen, aber auch aktuelle Strategien der Prävention. Sie sollten realistisch sein und eher auf eine Reduzierung des Risikos setzen.

Dass sich hinter diesen vorsichtigen Formulierungen der Forscherkonferenz ein soziales und ökonomisches Thema verbirgt, das nicht weniger komplex ist wie die Frage nach dem Herkunft der neuen Viruserkrankung, zeigen Veröffentlichungen wie die der New York Times zum Thema oder Eco-Business, eines Portals für Ökologie und Nachhaltigkeit aus Asien.

Mit dem nationalen Verbot des Handels von Wildtieren vom 26. Januar und der Verfügung der Quarantäne für Fang- und Aufzuchteinrichtungen hätten die chinesischen Behörden für Land- und Forstwirtschaft sowie für Marktaufsicht zwar die bisher härteste Maßnahme gegen den Wildtierhandel ergriffen, diese sei aber befristet auf die Dauer der Epidemie. Dies war auch vor 17 Jahren im Rahmen der SARS Epidemie der Fall gewesen.

Trotz der SARS Epidemie sind Wildtiere immer noch ein wichtiger Bestandteil der Küche nicht nur im Südosten von China, wie Eco-Business berichtet. Das Fleisch von wilden Tieren gehöre in der traditionellen chinesischen Medizin außerdem zu den Stärkungsmitteln. Je „wilder“ das Tier, umso höher schätzten die Konsumenten den Nutzen für ihre Gesundheit ein. Der Verzehr der Schleichkatzen (civet cats) z.B., der Zwischenwirte aus der SARS Epidemie, sei beliebt wie eh und je. Die SARS-Lektion habe den chinesischen Konsumenten offenbar nicht den Appetit auf das Wildtierfleisch verdorben, heißt es in dem Bericht auf Eco-Business, der von Chinese Dialoge übernommen ist.

Wie die New York Times berichtet, sind alle Arten von Wildtieren auch über die beliebte Bestellplatform Taobao zu beziehen, dem chinesischen Pendant zu Ebay - ein Babydachs z.B. für 1.300 Renminbi, umgerechnet 187 Dollar.

„Wildtierwäsche“

Die steigende Nachfrage nach den Wildtieren habe nicht nur zu einer verstärkten Jagd auf sie geführt, so Eco-Business weiter, sondern auch zu bestimmten Wildtierarten, die jetzt in Farmen gezüchtet und über etablierte Verkaufswege angeboten würden. Die gesetzliche Basis dafür habe der chinesische Staat geschaffen, da die Forstbehörde eine Liste von 54 Tieren herausgegeben habe, darunter auch Strauße, Reptilien und Insekten, die kommerziell in Farmen gezüchtet und gehalten werden dürfen. Qualifikationen seien dafür erforderlich, ein Quotenmanagement und ein Labelling System sollten für eine Regulierung der Praktiken des Wildtierhandels sorgen. Erstmalig sei damit anerkannt worden, dass Wildtiere in Farmen gehalten werden dürfen und ihr „vernünftiger Gebrauch“ gestattet sei. Sobald eine Farm ein Gesundheitszertifikat habe und eine Geschäftslizenz, könne sie frei arbeiten.

Wie Lü Zhi, ein Professor der Pekinger Universität gegenüber Chinese Dialogue erklärte, betreiben viele dieser Farmen eine Art „Wildtierwäsche“, d.h. sie hielten gefangene Wildtiere kurzfristig in den Farmen, um sie danach auf dem Markt zu verkaufen. Chinesische Wissenschaftler halten als Zwischenwirte des COVID-19 Virus auch Bambusratten und Dachse für möglich, ebenso wie das Schuppentier, eines der am meisten gehandelten Wildtiere in Asien, dessen Genomsequenz zu 99% mit COVID-19 übereinstimmt. Schleichkatzen und Bambusratten sollen auch auf einer Preisliste des Markts in Wuhan gestanden haben.

Der Interessenkonflikt zwischen dem Schutz der Wildtiere auf der einen Seite und den wirtschaftlichen Interessen auf der anderen Seite hat auch Eingang gefunden in die Revision des chinesischen Tierschutzgesetzes, wobei der „vernünftige Gebrauch“ der Wildtiere auch im neuen Gesetz enthalten geblieben ist. 2018 habe ein amtliches Dokument die Zucht von Wildtieren noch weiter gefördert, indem es die Wildtierfarmen mit der ländlichen Entwicklung verbunden habe, berichtet Eco-Business. Vor allem die Zucht von Bambusratten habe sich danach ausgebreitet als Hoffnung für wirtschaftlich unterentwickelte Gebiete. Wu Yu, ein Blogger, hat die Farmen mit dem Hinweis verteidigt, die gezüchteten Bambusratten seien auch nicht gefährlicher als die Zucht von Geflügel und Schweinen, die von Vogelgrippe und Schweinepest betroffen gewesen seien.

Entscheidende Nahrungsquelle

Eco-Business zitiert Zhou Haixiang, ein Mitglied des chinesischen Komitees für Mensch und Biosphäre: beim Wildtierhandel werde „großes Geld“ gemacht, aber er bringe auch erhebliche Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung hervor. Die Gesetze zum Schutz der Wildtiere ließen zu viel Spielraum für ihre geschäftliche Nutzung in großem Maßstab. 19 chinesische Wissenschaftler haben die Regierung jetzt aufgefordert, den Wildtierhandel mehr zu regulieren und die Bevölkerung vom Verzehr der Wildtiere abzubringen.

In anderen Teilen der globalisierten Welt hat eine solche Strategie vermutlich noch weniger Aussicht auf Erfolg als in China. Die „wet markets“, auf denen Wildtiere frisch geschlachtet werden, liefern einen hohen Anteil der Nahrung in Asien und Afrika. Durch die schnell wachsende urbane Bevölkerung auf diesen Kontinenten breiten sie sich in diesen Städten immer mehr aus. So hält es Delia Grace vom International Lifestock Research Institute In Nairobi/Kenya schlicht für unmöglich, diese Märkte abzuschaffen. „Sie sind entscheidende Nahrungsquellen für Millionen von Menschen in den armen Ländern“, betont sie gegenüber dem Guardian. Werden sie verboten, wanderten sie in den Untergrund ab und dort seien die hygienischen Bedingungen dann noch fragwürdiger.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 200325-04DE Datum: 25. März 2020

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Foto: Rich Carey / Shutterstock.com<br>Umweltzerstörungen und das immer stärkere Vordringen des Menschen in die Lebensräume der Wildtiere bringen die Menschen mit Arten in Kontakt, denen sie niemals nahe waren. Damit wird auch der Sprung von Erregern von Tier auf Mensch gefördert, befürchten Wissenschaftler.
Foto: Grodza / Shutterstock.com<br>Auch der illegale Handel mit Wildtieren kann eine Gefahr für den Menschen darstellen, birgt aber auch komplexe soziale und ökonomische Fragen. Zum Beispiel ist der Wildtierhandel eine „entscheidende Nahrungsquellen für Millionen von Menschen in den armen Ländern“, betont Delia Grace vom International Lifestock Research Institute In Nairobi/Kenya.