Nachrichtenbeitrag

Im Innern ein Feuer der Begeisterung für die Waldorfschule: Autobiografie zeigt Verdienste von Stefan Leber auf

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Von NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele

Eine „autobiografische Skizze“ des Waldorfpioniers Stefan Leber ist schon 2013 im Verlag Freies Geistesleben erschienen. NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele hat in das Buch hineingeschaut – und fühlte sich an eigene Begegnungen mit dem Autor erinnert.

STUTTGART (NNA) – Wer während der ausklingenden 68er Bewegung politische Wissenschaften oder Pädagogik studierte und auf der Suche nach gesellschaftlichen Alternativen die boomenden Waldorfbewegung entdeckte, kam an dem Buch „Die Sozialgestalt der Waldorfschule“ (Erstauflage: 1974, mehrere Neuauflagen) nicht vorbei.

Sein Verfasser Stefan Leber wirkte schon deshalb vertrauenerweckend, weil er Politologe war. Als Vortragsredner trug Leber mit seiner klaren, unpathetischen Ausdrucksweise viel dazu bei, dass auch marxistisch orientierte Studenten begannen, Steiner als Denker ernst zu nehmen. Einen besseren Werbeträger hätte sich die Waldorfbewegung damals nicht wünschen können. In Lebers Darstellung erschienen die menschenkundlichen Erkenntnisse Steiners auch als diskussionswürdige Alternative zur damals propagierten antiautoritären Erziehung.

In seinen einführenden Vorträgen über die Dreigliederung des sozialen Organismus ging er oft von den dichotomischen Bewusstseinsstrukturen der bundesrepublikanischen Arbeiterschaft aus, indem er Wallraff/Engelmanns Buchtitel „Ihr da oben, wir da unten“ (1973) zitierte. Ausgestattet mit einer imposanten Körpergestalt, an der die Pfeile destruktiver Kritik wie an einer Rüstung abzuprallen schienen, glich Leber in seiner Willensnatur manchmal dem Theologen Emil Bock, der ihn konfirmiert hatte. Hinter dem scheinbaren Phlegma spürte man das Feuer der Begeisterung für die Sache, die er vertrat.

Frühen Jahre und Ausbildung

Stefan Lebers lebenslanges Interesse an der sozialen Frage und seine Zugehörigkeit zur Christengemeinschaft haben ihre Wurzeln auch in seiner Familie. Lebers Eltern hatten sich Anfang der dreißiger Jahre in einem Kurs an der Essener Arbeiterbildungsschule kennengelernt, die von dem Christengemeinschaftspfarrer Carl Stegmann mitbegründet worden war. Diese Schule wurde von den Nazis 1933 geschlossen.

Stefan Leber kommt 1937 in Untertürkheim bei Stuttgart zur Welt. Als Volksschüler erlebt er noch die Bombenangriffe auf Stuttgart. 1944 wird die Familie nach Mergelstetten bei Heidenheim evakuiert. Nach Kriegsende, der Vater ist zunächst arbeitslos, kehrt die Familie nach Stuttgart zurück. Stefan kann die wiedereröffnete Waldorfschule Uhlandshöhe besuchen. Sein Klassenlehrer wird Felix Goll. Am Ende der neunten Klasse verlässt er die Schule und beginnt 1953 eine Lehre als Chemigraf (Klischeeätzer), während sein Vater eine Stelle in Marbach am Neckar antritt. Nach einigen Berufsjahren will er studieren.

Ohne Abitur geht das nur mit einer Aufnahmeprüfung, die er schließlich 1957 an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin ablegt. Darauf studiert er politische Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut. Nach seiner Heirat folgt er seiner Frau nach Dornach und absolviert dort die Ausbildung zum Waldorflehrer. Anschließend unterrichten beide an der 1949 gegründeten Goetheschule in Pforzheim, wo er zeitweilig auch Geschäftsführer ist.

Waldorf Engagement

Ausführlich erzählt Leber in seiner Biografie von seinen Waldorfkollegen, von seinem immer wieder durch Reisen erweiterten Bekanntenkreis und nicht zuletzt von seiner sich stetig vergrößernden eigenen Familie mit den sieben Kindern. So erhält der Leser einen Einblick in das anthroposophische Leben nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders über die sozial bewegte Zeit ab 1967, in der u.a. das Kulturzentrum Achberg und das „Forum 3“ in Stuttgart gegründet wurden.

Zunehmend engagierte sich Leber für eine neue Rechtsstellung der Waldorfschulen, für Prüfungen und Abschlüsse, wobei oft langwierige Verhandlungen mit den Schulbehörden nötig waren. Auch Eltern und Schülern wurden zunehmend mehr Rechte eingeräumt. Die Sonderregelungen für Waldorfschulen flossen in die Verordnungen des Kultusministeriums ein.

Leber wird in den Vorstand der Bundes der Freien Waldorfschulen (BdFWS) berufen, wo er eng mit seinem verehrten Mentor Ernst Weißert zusammenarbeitet. Auf dessen Anregung hin entsteht Lebers 1974 erschienenes Buch über die Sozialgestalt der Waldorfschule mit dem Untertitel „Ein Beitrag zu den sozialwissenschaftlichen Anschauungen Rudolf Steiners“.

Nach einem Gründungsstopp infolge Lehrermangels setzt in den 1970er Jahren eine neue Schulgründungswelle ein, an der Leber als Vorstandsmitglied des BdFWS des aktiv beteiligt ist. Soziale Impulse des Niederländischen Pädagogischen Instituts (NPI) werden aufgenommen, neue Lehrerbildungsstätten entstehen, die gesetzliche Verankerung privater Hochschulen wird erreicht, eine fruchtbare Zusammenarbeit mit evangelischen und katholischen Privatschulen findet statt („Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen“), staatliche Zuschüsse werden ausgehandelt.

Leber unternimmt berufliche und private Reisen in alle Welt u.a. nach Indien, Japan, Israel, Sowjetunion und Südafrika. Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa bringt die Gründung neuer Waldorfschulen dort mit sich.

Vordenker

Auch an den Gesprächen mit der Evangelischen Kirche, bei denen es um die Frage der Christlichkeit der Anthroposophie geht, wirkt Leber jahrelang mit. Neben der Anthroposophie war ihm der Kultus der Christengemeinschaft eine zweite Kraftquelle.

Leber charakterisiert in seiner Biographie Kollegen und Mitarbeiter, schildert offen auch konfliktreiche Situationen in den Kollegien, zwischen Eltern und Lehrern oder zwischen Schulen und Behörden. So lässt er den Leser teilnehmen an seinem bewegten Berufs- und Familienleben, das von Schicksalsschlägen nicht verschont geblieben ist. So hatte er den plötzlichen Tod einer Tochter zu verkraften, ein Schlaganfall schränkte in den letzten Jahren seinen Aktionsradius ein.

Längst ist Stefan Leber als ein Vordenker und wichtiger Autor der Waldorfbewegung geschätzt. Vielen dürfte aber erst durch die Lektüre seiner Autobiografie die erstaunliche Umfang seiner verdienstvollen Tätigkeit bewusst werden. Mitwirkende der anthroposophischen Bewegung und der Waldorfschulszene werden eine Fülle vertrauter Namen entdecken. Aber auch für Außenstehende ist das Buch interessant, weil es dokumentiert, wie sich die Waldorfbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etappenweise modernisiert und sich immer wieder den gesellschaftlichen Herausforderungen gestellt hat.

END/nna/vog

Stefan Leber (2013): Ein Leben für die Waldorfschule. Autobiografische Skizze. Stuttgart. 286 Seiten, zahlr. Abb., 22 Euro.

Bericht-Nr.: 150204-02DE Datum: 4. Februar 2015

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Foto: Verlag Freies Geistesleben