Nachrichtenbeitrag

„Ich werde sterben, aber meine Geige soll leben“. Violinen der Hoffnung beim Gedenken an die Reichsprogramnacht in Mainz

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Von NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

MAINZ (NNA) – „Violins of Hope“ ist der Titel einer Sammlung von Geigen, mit deren Hilfe der israelische Geigenbauer Amnon Weinstein die Erinnerung an die Opfer des Holocaust lebendig halten möchte. Erstmals erklangen sie jetzt in Deutschland beim Gedenktag zur Reichsprogromnacht vom 9./10. November in der Mainzer Synagoge.

Weinstein hat die Geigen restauriert, die Opfern des Holocaust gehört haben oder von israelischen Musikern nach dem 2.Weltkrieg nicht mehr gespielt wurden, weil es Instrumente aus Deutschland waren. 70 Jahre lang waren sie verstummt, nun erheben sie wieder ihre Stimme. In Deutschland wurden sie von Stipendiaten der rheinland-pfälzischen Stiftung Villa Musica zu Gehör gebracht, außer bei der Gedenkveranstaltung erklangen sie in drei Konzerten der Stiftung in den Synagogen in Mainz, Worms und Ahrweiler.

„Niemals wieder. Niemals, nirgends“. Diese Botschaft sollen die 55 Geigen nach dem Willen von Amnon Weinstein in die Welt tragen.

Die Möglichkeit, auf Geigen der Holocaust-Opfer in Konzerten zu spielen und Menschen damit zu rühren, sei „der größte Beweis, dass es unmöglich war, die wundervolle Kultur des jüdischen Volkes und ihre Liebe zur Musik zu zerstören“, begründet Weinman sein Projekt der „Violins of Hope“. Er sammelt die alten Instrumente seit den 90er Jahren.

Ergreifend

Beim Gedenktag in der Mainzer Synagoge wurden die „Geigen der Hoffnung“ auch von Stipendiaten der Villa Musica gespielt und damit von jungen deutschen Musikern, die in besonderer Weise die Herzen der Zuhörer ergriffen. Anwesend waren Vertreter von Politik und Gesellschaft, zahlreiche Mainzer Bürger und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Mainz. Durch Zuwanderung aus Osteuropa zählt sie heute über 1.000 Mitglieder.

Es sprachen die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, Stella Schindler-Siegreich und der Oberbürgermeister der Stadt, Michael Ebling (SPD) an dem Ort, an dem vor 76 Jahren die Mainzer Synagoge in der Reichsprogromnacht vom NS-Mob in Brand gesetzt, geplündert und zerstört worden war. Durch Bürgerengagement wurde die Synagoge in den Jahren 2008 -10 nach einem spektakulären Entwurf des Kölner Architekten Manuel Herz wieder errichtet.

Ebling verwies auf die antisemitischen Kundgebungen der letzten Zeit, die so in Deutschland nicht mehr für möglich gehalten worden seien und unterstrich die verstärkte Notwendigkeit der Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit zum Holocaust. Hier sah er besonders die Medien als „vierte Gewalt“ in der Pflicht. Rabbiner Avraham Zeev Nussbaum sprach ein Totengebet für die Holocaust-Opfer.

Die Jüdische Gemeinde in Mainz ist eine der ältesten und traditionsreichsten in Europa. Ihre Anfänge reichen bis in das 10.Jahrhundert zurück, in dieser Zeit wirkte der berühmte Gelehrte Gershom ben Jehuda in Magenza, wie der hebräische Name für Mainz heißt. Vor dem Holocaust stand dieser Name für blühendes geistig-religiöses jüdisches Leben am Rhein.

„… die Geige soll leben“

Die jungen Musiker Mario Riemer und Lucas Stepp brachten u.a. das Duo für Violine und Violoncello von Gideon Klein zur Aufführung, dessen zweiter Satz abrupt abbricht, weil Klein ihn aufgrund seiner Deportation aus Prag nach Theresienstadt nicht mehr zuende komponiert hat. Deutlich konnte man als Zuhörer die fehlende Vollendung des Musikstück durch die Deportation des Komponisten empfinden. Wie Viktor Ullmann hat auch Klein im KZ dann weitere Musikstücke komponiert.

Auch ein Instrument aus dem berühmten Auschwitz-Orchester gehört zu den Geigen, die in den drei Konzerten zum Einsatz kamen. Außerdem waren u.a. eine Geige aus einem rumänischen Ghetto zu hören und die sogenannte „Drancy-Geige“, die der heute 75jährige Weinmann von seinem Vater Mosche bekommen hat. Sie stammt aus einem Zug, mit dem Juden vom Durchgangslager Drancy bei Paris 1942/43 in die Deportation geschickt wurden. Bei einem kurzen Halt warf ein junger Mann seine Geige aus dem Zug mit den Worten: „Ich werde sterben, aber die Geige soll leben“. Durch eine Reihe von Zufällen erreichte die Geige Jahre später die Werkstatt des Geigenbauers in Tel Aviv. Amnon Weinstein setzt die Tradition seines Vaters als Geigenbauer fort.

Bei den Konzerten in den Synagogen Ahrweiler (Bad Neuenahr-Ahrweiler), Mainz und Worms musizierten der israelische Geiger Gil Sharon und die Konzertmeisterin des Israel Chamber Orchestra, Elina Gurewitz zusammen mit Stipendiaten der Villa Musica. Auf dem Programm standen das Oktett und das Adagio aus dem B-Dur-Quintett von Felix Mendelssohn, außerdem jüdische Musik wie die Baal Shem Suite, Nigun und Prayer von Ernest Bloch.

Geigen im Ghetto und KZ

In Friedenszeiten begleitete der Klang der Violinen fröhliche Feste wie Hochzeiten oder die Bar-Mitzvahs. Der Krieg habe ihnen dann eine andere Mission verliehen, erläutert Weinmann in einem Vortrag, aus dem Dr. Karl Böhmer von der Landesstiftung Villa Musica in der Mainzer Synagoge zitierte. Geigen retteten Leben, halfen beim Schmuggel von Lebensmitteln in den Ghettos und auch bei Racheaktionen wie der des Kinderpartisanen Motale, dessen Geige im Yad Vashem Museum in Jerusalem aufbewahrt wird.

„Wo Musik war, blieb immer ein wenig Hoffnung... Wo Kinder auf ihrem Instrument übten, konnten sie ihren Hunger für eine Weile vergessen oder zumindest so tun, als würden sie ihm keine Beachtung schenken. Wo die Erwachsenen spielten, konnten sie den Stacheldraht um sich herum vergessen und vom Konzertsaal träumen.“ In vielen Dokumenten könne man ähnliche Beschreibungen lesen, erläutert Weinmann, wie Menschen unter härtesten Lebensbedingungen beim Hören von Musik von überströmendem Glück erfasst worden seien. Als Beispiel nennt er die Biographie von Alma Rosé, der Musikerin, die das Mädchenorchester in Auschwitz geleitet und damit das Leben vieler Musikerinnen gerettet habe, die nur dank ihres Spielens überlebt hätten. Rosé wurde in Auschwitz ermordet.

Weinmanns Eltern, ein Geiger und eine Pianistin, waren 1938 aus Wilna nach Israel eingewandert, seine Großeltern waren im Ghetto von Wilna umgekommen. Seine Arbeit und seine Forschung zu den Geigen sind die „Grabsteine meiner Großeltern, die ich nie getroffen habe, meiner Onkel und Tanten, deren Namen ich nie kennen gelernt habe.“ Alles, was ihm von seinen Verwandten geblieben war, ist eine Glückwunschanzeige zu seiner Geburt 1939.

Melodien der Hoffnung

Die „Violins of Hope“ sollen die Botschaft der Opfer und der Überlebenden des Holocaust auf emotionalem Weg weitertragen, betont Weinmann. Melodien, die auf ihnen gespielt werden, seien „Melodien vom Glück und vom Sieg der menschlichen Seele und damit Melodien der Hoffnung für die ganze Menschheit.“

Die „Violins of Hope“ werden zum nächsten Mal am 27. Januar in Berlin zum internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust zu hören sein. Mitglieder der Berliner Philharmoniker mit Sir Simon Rattle und ihrem ehemaligen Ersten Konzertmeister Guy Braunstein werden Werke von Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Max Bruch und Tzwi Avni auf ihnen spielen. Lesungen, u. a. Ausschnitte aus Elie Wiesels Die Nacht, begleiten das Konzert. Auch er beschreibt die Wirkung des überraschenden Spiels einer Geige in der unmenschlichen Wirklichkeit des KZ-Alltags.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 141116-04DE Datum: 16. November 2014

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Elena Gurewitz, Konzertmeisterin des Israel Chamber Orchestra, spielt beim Gedenktag in der Mainzer Synagoge auf einer der Violons of Hope von Amnon Weinstein.
Die neue Mainzer Synagoge wurde 2008-10 an derselben Stelle wieder errichtet, an der die alte Hauptsynagoge in der Reichsprogromnacht 1938 in Brand gesteckt und geplündert worden war. Pfeiler des alten Gebäudes wurden in den Neubau integriert.<br>Fotos: Cornelie Unger-Leistner