Nachrichtenbeitrag
Haiyan – der Monstersturm
Nach dem Sturm die Flut. Die Nothilfe nach der Zerstörung des Taifun Haiyan und der darauffolgenden Überschwemmung auf den Philippinen läuft inzwischen auf Hochtouren. Die offiziellen von der philippinischen Regierung bekannt gegebenen Zahlen sind jedoch schwer zu fassen: über 4.000 Tote und die Anzahl steigt noch von Tag zu Tag, fast 18.600 Verletzte, und 1.602 Menschen werden noch vermisst. Fast 600.000 Häuser sind ganz oder teilweise zerstört worden. Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, sind schätzungsweise zwischen 9 und 13 Millionen Menschen von Taifun Haiyan betroffen worden, darunter über 5 Millionen Kinder. Auch notfalpädagogische Initiativen sind angelaufen. NNA-Korrespondent Walter Siegfried Hahn lebt auf den Philippinen und berichtet.
PALAWAN, Philippinen (NNA) – Mehrere Tage vorher war der große Sturm angekündigt worden. Wir wähnten uns in Sicherheit, da wir uns gut 200 km außerhalb des Sturmwegs befanden. Am Freitagnachmittag sahen wir die ersten you tube-Videos von Tacloban und staunten, aber ganz unbekannt waren Bilder wie im Wind sich krümmende Kokospalmen nicht. Zugleich zeigten die Bilder auf den Wetterkarten, dass das Auge des Sturms an uns vorbei gezogen war. Per e-mail verkündeten wir schon: überstanden.
Dann begann der Regen. Das Internet fiel aus, das Telefon-Netz brach zusammen, schließlich war der Strom weg, die Nacht war sehr dunkel und nichts war zu hören außer Tonnen von krachenden Wassermassen. Als befände man sich auf einer Nussschale mitten im Ozean. Am nächsten Morgen überall Wasser. Wir waren zum Mittagessen eingeladen, mit langen Gummistiefeln schafften wir es, uns durch die überschwemmten Flächen einen Weg zu bahnen. Wieder dachten wir, es ist vorüber – bis wir von dem aufbrechenden Sturm, der den Regen horizontal in die Häuser trieb, von der Veranda vertrieben wurden. Es regnete weiter, bis wir spät in der Nacht erschöpft einschliefen.
Am nächsten Morgen stand der Himmel blau über Palawan und beleuchtete romantisch die neu entstandenen Seen, in denen die Häuser teils untergegangen, teils darüber hinweg schauten, als hätte die Seenlandschaft schon immer bestanden, dabei war es die größte Überschwemmung, die die dort Geborenen je erinnerten. Die Telefon-Verbindung kam nach zwei Tagen zurück, das Internet nach einer Woche. In dem Maße wie sich die Kommunikation verstärkte, wurde das Ausmaß der Zerstörungen deutlicher und wird mit jedem Tag noch deutlicher. Kamen die ersten Informationen noch eher aus Europa und Amerika, so erhielten wir jetzt immer mehr Berichte von Freunden, die näher am Geschehen waren oder erreichten solche, zu denen vorher kein Kontakt möglich war. Je näher am Geschehen, desto weniger Worte, desto schockierter die Menschen.
Gerade zum Ende dieses Jahres verdichteten sich die Ereignisse auf den Philippinen. Da war der so genannte Pork Barrel Scam, ein Korruptionsskandal unglaublichen Ausmaßes, in den viele Politiker verwickelt sind. Dann die Belagerung und Geiselnahme mehrerer Dörfer in Zamboanga durch islamistische Verbrecher, die Tausende von Menschen und eine ganze Region in Panik stürzten. Mitte Oktober dann der 7,2-Erdstoß auf Bohol und Cebu und die über Wochen andauernden und oft im Minutentakt erfolgenden Nachbeben, die Hunderttausende von Menschen ihrer gewohnten Sicherheit, auf der Erde zu stehen, entzogen. Schliesslich Haiyan, der teils die selben Landstriche noch einmal überstrich und seine größten, vorher unvorstellbaren, Zerstörungen auf den Inseln Leyte und Samar brachte, und bis in den Westen nach Panay und den Norden von Palawan wütete.
Eine Umfrage in den anthroposophischen Einrichtungen erbrachte, dass alle ohne große Schäden davon gekommen waren. Auch die Gamotcogon-Schule, die wegen ihrer niedrigen Meereshöhe in Panay von Überflutungen gefährdet ist, wurde zwar massiv überschwemmt, so dass es tagelange Reinungs- und Aufräumarbeiten gab und viele Gegenstände ersetzt werden müssen. Doch die Dankbarkeit war groß, den Sturm überlebt zu haben im Angesicht der Nachrichten, die man von anderen Orten hörte. Ähnlich reagierten übrigens andere Einrichtungen und Kommunen, etwa die Insel Coron in Nord-Palawan. Hier wurden 80% der touristischen Einrichtungen zerstört, doch die Bürgermeisterin stellte nach einem Treffen mit Geschäftsleuten und Politikern der Insel fest, dass man aus eigenen Kräften im Stande sei, die Schäden zu beheben und den Wiederaufbau fix in die Hand zu nehmen.
Kaum stand unsere Telefonleitung, kam auch schon die Anfrage von den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners. Selbstverständlich waren wir bereit zu helfen, einen notfallpädagogischen Einsatz zu koordinieren, hatten wir doch schon vor zwei Jahren eine entsprechende Ausbildung für das notfallgewohnte Land geplant. Doch Initiativen gerade unter den jungen anthroposophischen Freunden waren schon angelaufen. So fanden schon eine Woche nach dem Sturm unter Leitung der Zahnärztin und Waldorfpädagogin Malou Medrano und unter Beteiligung von Krankenpflegern, Lehrern und Therapeuten in Bohol kunsttherapeutische Interventionen für dortige Kinder statt. Die Erwachsenenbildnerin Francelline Jimenez und der Priester Thor Malangit planen ebenda eher auf Sport und Bewegung ausgerichtete, aber ebenso spirituell fundierte Veranstaltungen.
So sind die wenigen gut ausgebildeten und hoch engagierten Menschen momentan schon neben ihren sonstigen Tätigkeiten in Hilfsprogrammen tätig, so dass nach dem jetzigen Stand der Einsatz der Notfallpädagogik erst Ende November/Dezember erfolgen wird. Dann besteht eine größere Gewähr, entsprechend vorgebildete Therapeuten und Pädagogen auch aus Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen für die notfallpädagogische Ausbildung gewinnen zu können. Es ist dann auch eher damit zu rechnen, dass die besonders geschädigten Regionen wie Tacloban einer solchen Hilfeleistung gegenüber überhaupt offen sind. Momentan werden dort nur Menschen hingelassen, die nachweisbar über alle entsprechenden Mittel wie Trinkwasser, Nahrung, Unterkunft usw. selbst verfügen, die die Region nicht noch mehr belasten. Dem riesigen Hilfswillen der globalen Gemeinschaft stehen zu wenig gut ausgebildete Filipinos gegenüber, die vor Ort organisieren und einer Initiative Grund verschaffen könnten.
Menschen auf den Philippinen preisen sich gerne dafür, dass sie jede Krise mit einem Lachen wegstecken. Gerne spricht man im Lande davon, wie alles vorüber zieht und reagiert irgendwie. Vielleicht war die elementare Wucht von Haiyan (auf den Philippinen „Yolanda“ genannt) das erste Mal, dass vielen das Lachen im Halse stecken blieb. Vielleicht hilft dieser Moment zu erkennen, dass eine reaktive Haltung nicht genügt. Vielleicht wird man erkennen müssen, dass wie beim Hurrikan Katrina die Einschätzungen falsch waren, was da im Anflug war. Man wird sich darauf einstellen müssen, dass alles viel schlimmer kommen kann als bisher, dass das Wasser höher steigen kann als bisher, der Wind stärker bläst als bisher. Vielleicht wird man von einer reaktiven zu einer proaktiven Lebenshaltung kommen müssen. Von einem irgendwie Durchkommen zu einem bewussten Errichten.
END/nna/wsh
Bericht-Nr.: 131120-01DE Datum: 20. November 2013
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