Nachrichtenbeitrag

Griechenland ist überall

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Von Dr. Christopher Houghton Budd

Die globale Finanzkrise unter dem Blickwinkel der sozial-ökonomischen Ideen des Philosophen Rudolf Steiner

Ein kollektives Aufatmen ging durch Europa, als sich die leitenden Politiker der Eurozone letzten Monat über ein neues Hilfspaket für Griechenland geeinigt hatten – inzwischen ist jedoch die Erleichterung wieder verflogen. Dabei ist Griechenland bei weitem nicht das einzige Land der Eurozone, das im Gefolge der Finanz- und Bankenkrise 2008 mit Schuldenproblemen zu kämpfen hat. Italien wurde jüngst von den Finanzmärkten attackiert und selbst die Kreditwürdigkeit der mächtigen USA wurde von der Ratingagentur S&P um eine Stufe reduziert. Man kann sich natürlich auch fragen, wo die Ratingagenturen ihre Legitimität für solche die Finanzmärkte wesentlich beeinflussenden Entscheidungen her haben, besonders da S&P vor einigen Jahren mit den Ratings, die sie während der Immobilienblase in den Vereinigten Staaten vergab, und die faule Hypotheken als einwandfrei bewerteten, nicht gerade sehr glorreich aus der Sache hervorgegangen ist.

Mit einer Reihe von Artikeln möchte NNA nun einen neuen, anderen Blick auf das Thema ermöglichen, als er sonst in den Medien zu finden ist.

Als Auftakt zu dieser Serie analysiert der Finanz- und Bankexperte Dr. Christopher Houghton Budd die Lage von Griechenland als Ausgangspunkt für eine viel weitergehende Krise. Er bezieht sich dabei auf die Ideen des Philosophen und Begründers der Anthroposophie, Rudolf Steiner, und seine Vorstellungen einer assoziativen Wirtschaft.

LONDON (NNA) - Aus der Sicht von Rudolf Steiners sozial-ökonomischen Studien (bekannt als die Lehre einer assoziativen Ökonomie) ist die sogenannte Schuldenkrise Griechenlands ein durchaus vorhersehbares Ereignis. Er würde argumentieren, dass die Krise nicht wirklich existiert, sondern dass es sich um eine falsche Beschreibung von Kräften und Bedingungen handelt, die dem ganzen zugrunde liegen.                              

Um es zu vereinfachen: Steiners Sichtweise war so, dass er davon ausging, dass man schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs nicht mehr von nationalen Ökonomien ausgehen konnte. Nationale Souveränität sei von da an nur ein Kennzeichen des Rechtslebens, die Ökonomie sei dagegen eine globale geworden. Vor diesem Hintergrund kann man also gar nicht mehr von nationalen Währungen sprechen und damit nationale Zentralbanken meinen, wenigstens nicht in dem Sinn, dass sie diese Währungen herausgeben. Auch die Idee von „souveränen Schulden“ ist damit eigentlich überholt.

Weder kann die Rede sein vom Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Welthandelsorganisation (WTO) in ihrem heutigen Sinn und all denjenigen Organisationen, die die Brille vorgeben, durch die die Griechenlandfrage betrachtet wird.

Auf der Basis dieser Sichtweise kann es auch keine Europäische Union mit einer Zentralbank geben. Oder Staatsanleihenmärkte, die ganze Länder als Geiseln nehmen. Oder Private Equity Fonds, die nun massiv in die Nahrungsmittelbranche einsteigen wo jetzt der Immobilienmarkt (im Westen) Schiffbruch erlitten hat. Und es ist auch nicht möglich, Leuten billiges Geld zu leihen, um es dann dazu zu benutzen, einen Alptraum von Zinszahlungen zu schaffen und alles das auf der Basis der Vorstellung, Immobilien besäßen primäre wirtschaftliche Realität.

Kurz zusammengefasst, die meisten Kommentare zur Krise Griechenlands basieren auf Theorien, politischen Lösungen oder Institutionen, die in direktem Gegensatz dazu stehen, was Steiner als sinnvoll und heilsam für das Wirtschaftsleben erachtet hat.

Eine Rückkehr zur realen Ökonomie

Wenn man den ganzen Sachverhalt einmal in den Begrifflichkeiten von Steiners Theorie darstellt, müsste man den Griechen raten, ihre Ökonomie auf Personal- statt auf Realkredite zu gründen. Das heißt, dass neue Werte aus Initiative entstehen würden und nicht aus fiktiven Werten, die aus Immobilienblasen hervorgehen – und das noch unter der Annahme einer ständigen Steigerung der Vermögenswerte. Nicht nur das: Moderne Ökonomien gehen davon aus, dass es normal ist, wenn dauernd riesige Mengen von „offiziellem“ Geld gedruckt werden, um den Status quo der Finanzmärkte aufrecht zu erhalten. Offenkundig hat niemand die Energie (oder die Einsicht), den Aktienmärkten hier die rote Karte zu zeigen.

Griechenland ist Teil der anhaltenden globalen Finanzkrise, die sich ereignet, weil die Hypothese von der Regulierungskraft der Märkte globalen Schiffbruch erlitten hat, auf der das gesamte moderne Finanzwesen beruht. Man kann diese Hypothese heute nicht wirklich mehr aufrechterhalten - wenn sie überhaupt je berechtigt war. Als nächste Hypothese wäre Rudolf Steiners Regel des gerechten Preises ins Spiel zu bringen. Aber wer schreibt sich dies auf die Fahnen – wenn man davon ausgeht, dass wirklich alles falsch läuft mit den modernen Finanzmärkten. Denn genau von den Gedanken, die ihren Institutionen zugrunde liegen und die ihre Wirkung entfalten, ist das alles geschaffen worden, um eben genau keine gerechten Preise zahlen zu müssen.

Aber es muss nicht alles Drum und Dran der heutigen Ökonomie auf die Müllhalde der Geschichte. Steiners Ansatz besteht darin, dass diese Dinge falsch verstandene Beziehungen sind, nicht Irrtümer oder Dinge, die man abschaffen muss, sondern falsch beschriebene Symptome. Wenn man es anders beschreiben würde, wäre das moderne ökonomische Leben auch anders. Und eine korrekte Beschreibung wäre die Basis für eine Gesundung, denn in der modernen Wirtschaft entfalten auch Gedanken eine Wirkung genau wie die Fakten.

Die Aktienmärkte können sich kaum anders verhalten als sie es tun, denn das moderne Finanzsystem nimmt Geld aus dem Wirtschaftskreislauf heraus und „verkauft“ es ihnen wieder. Es ist wie eine Bluttransfusion, aber der Patient, dem das Blut abgenommen wird, muss es demjenigen abkaufen, der es abnimmt. Dieser hat das Ziel - und die Bedingungen sind entsprechend – dass die zukünftige Spendefähigkeit ab sofort Eigentum des Arztes wird.

Es wäre sicher nicht schwer, eine Anleihe zu schaffen, mit der die übermäßige Liquidität heute abgeschöpft werden könnte (nach Steiner ist das zuviel Leihgeld) – zum Beispiel zugunsten von Schulgebäuden. Oder man könnte die überschäumenden Märkte nicht durch Marktkorrekturen oder unwillig vorgenommene Abschreibungen beruhigen, sondern durch Transferzahlungen an revolvierende zinsfreie Fonds zugunsten von Studenten. So könnte man die Demonstrationen der Universitätsabsolventen ohne Zukunft auf dem Syntagma Platz in Athen beruhigen oder auch diejenigen in Spanien, wo 45 Prozent der Jungend arbeitslos ist.

Einen solchen Wandel wird es erst geben, wenn Individuen (und es müssen Individuen sein) beginnen, Instrumente der beschriebenen Art zu schaffen und zu benutzen, die die Aktienmärkte zur Ruhe bringen und als erstes der Anhäufung von Liquidität vorbeugen. Aber wo sind diese Individuen? Und wo sind Instrumente wie die oben beschriebenen?

Es gibt konkrete Beispiele wie Kiva.com und einige Projekte, bei denen Individuen direkt mit Individuen Vereinbarungen treffen, entweder durch Kaufen, Leihen oder Schenken.

Und es gibt anthroposophische Projekte wie „Shared Gifting“ (eine Form der gemeinsam bestimmten Verwendung von Schenkungen) in den USA und den Schweizer CoOpera Fonds, über den NNA vor kurzem berichtet hat.

Trotzdem ist der größte Teile der anthroposophischen Bewegung was die Finanzen anbelangt, nicht vom Rest der Welt zu unterscheiden, in der sich die griechische Schuldenkrise abspielt. Warum eigentlich? Weil die anthroposophische Bewegung Steiners Ideen zum Finanzsystem so interpretiert, dass dabei Begriffe des Banking herauskommen, auch wenn Banking, wie wir es heute kennen, eigentlich gar nicht ins Bild passt. Steiner setzte auf die direkte Finanzierung.

Ich erwähne CoOpera, weil es aus meiner Sicht der einzige anthroposophisch orientierte Pensionsfonds ist, der nach assoziativen Prinzipien arbeitet, aus diesem Grund ist er auch nach allgemeiner Auffassung der stabilste aller Pensionsfonds in der Schweiz. Die Art, wie er investiert, erlaubt ihm, sich über die üblichen Konditionen hinwegzusetzen, die gelten, wenn Fonds einfach nur auf den Markt geworfen werden. Das kommt daher, weil sich die Gründer unmittelbar am Steiners Hinweise zum Realkredit gehalten haben.

Die Ökonomie von ihren Quellen her verändern

Welche Schlüsse lassen sich nun aus alldem ziehen? Die Griechenland-Krise ist das folgerichtige Endresultat unseres gegenwärtigen Wirtschaftslebens und es ist eine Illusion, dass man ein solches Endresultat für sich ändern kann – das hieße, an der Mündung des Flusses ansetzen statt an seiner Quelle.

Was wir brauchen, sind Menschen, die die Dinge wirklich bewegen wollen, ohne sie wird es keine Veränderung in der Welt als ganzem geben. Aber wer sind sie und wo? Wer meint, dass ihm das alles nichts sagt, so wie es hier dargestellt wird, ist sicher keine Mensch mit einer entsprechenden Initiative.

Wenn Griechenland seine Probleme über assoziatives Wirtschaften lösen will, muss es sich aus der Eurozone wieder ausklinken, seine Kredite auf reale wirtschaftliche Werte gründen, vor allem auch auf das Potential seiner Jugend und seine Währung an einen solchen Prozess binden. Das ist kein Plädoyer gegen Europa in einem politischen Sinn. Es ist nur einfach ökonomisch gedacht. Nach Steiners Ideen würde es uns durchaus gut gehen in einer Welt mit nur einer Währung (aber ohne Zentralbank, die sie herausgibt).

Rein finanztechnisch gesehen, gibt es bereits eine Weltwährung in der Form des Rechnungswesen. Wenn es frei wäre von (geo)-politischen Einflussnahmen, wäre das internationale Rechnungswesen schon eine Basis – gemäß dem, was in den Finanzzentren darunter verstanden wird und auch nach Steiners Ideen.

Denn das Rechnungswesen ist ein Niemandsland, das keinem gehört in diesem Ansatz. Und es ist auch durch keine Ideologie geprägt. Es existiert einfach. Wenn es nicht benutzt wird, um Steuern zu hinterziehen oder Aktionären einen Gefallen zu tun, wirkt das Rechnungswesen einfach nur als Wahrnehmungsorgan. Es ist auch das einzige Mittel, um im Wirtschaftsleben wirklich neue Ufer zu erreichen und die alten ein für alle mal zu verlassen. In diesem weltweiten Rechnungswesen kann man auch sehen, dass es wirklich drei Qualitäten von Geld gibt, nämlich Kaufgeld, Leihgeld und Schenkgeld – unabhängig davon, ob Steiner dies nun so analysiert hat oder nicht.

Bisher werden die Proteste der Betroffenen, die die Konsequenzen tragen müssen, wenn Global Player mit dem Schicksal ganzer Nationen spielen, eher ignoriert oder „den Linken“ in die Schuhe geschoben. Die meisten Menschen in Europa sehen in der Griechenland-Krise vor allem eine Bedrohung der Sicherheit ihrer Renten, die ja vom Überleben der Aktienmärkte abhängt. Oder sie sorgen sich, ob Griechenland auch weiterhin ein günstiges Urlaubsland für sie bleibt. Hier haben wir es mit Egoismus zu tun, der genau wieder in die Fiktion des Wirtschaftslebens führt, das auf Realkrediten beruht.

Die Griechen könnten sich auch einfach an die Worte ihres großen Philosophen Aristoteles erinnern: „Ein freier Mann ist derjenige, der die richtig Menge an Geld an die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt und auf die richtige Art und Weise vergibt“.

Dieses Mantra ist eigentlich eine Hilfe für alle, die darauf abzielen, ihre persönliche Souveränität in menschlichen Angelegenheiten wieder zu erlangen. Man kann es mit dem bekannten und viel diskutierten Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson auch so formulieren: „Die Finanzmärkte sind wie ein Spiegel der Menschheit, indem sie uns jede Stunde und jeden Werktag vor Augen führen, wie wir unseren eigenen Wert und den der Ressourcen der ganzen Welt einschätzen. Es ist nicht der Fehler des Spiegels, wenn er uns unsere Makel genauso aufzeigt wie unsere schönen Seiten“.

END/nna/cva/ung

Dr. Christopher Houghton Budd ist Dozent an der City University in London und hat in Finanz- und Bankwesen promoviert. Sein Leben lang befasst er sich schon mit den sozialökonomischen Ideen von Rudolf Steiner. In seinem neuesten Buch, das auch den Hintergrund dieses Artikels bildet, beschreibt er die globale Finanzkrise aus der Sicht von Steiners Ansatz.

Literaturhinweis: Ch.H.Budd, „Finance at the Threshold, rethinking the real and financial economies.“ Gower 2011

Bericht-Nr.: 110824-01DE Datum: 24. August 2011

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