Nachrichtenbeitrag
Gravierende Missstände im Nachtdienst der deutschen Altersheime
WITTEN-HERDECKE (NNA) – Unhaltbare Zustände in den Nachtschichten in deutschen Altersheimen hat eine Studie von Pflegewissenschaftlern der Universität Witten/Herdecke (UWH) ans Licht gefördert. An der bislang größten Umfrage unter Pflegekräften hatten 276 Personen teilgenommen, es handelte sich um eine Online-Befragung.
Nach der Umfrage der Witten-Herdecker Pflegewissenschaftler ist eine einzelne Pflegekraft im Schnitt für 52 Personen zuständig, meist ohne auf Entlastung durch einen Hintergrunddienst in Krisensituationen zurückgreifen zu können. 8,7 Prozent der Pflegenden sind sogar für über 100 Personen zuständig.
Alle Pflegekräfte geben an, dass Inkontinenzversorgung die häufigste Aufgabe im Nachtdienst ist. Es folgen die Lagerung von Patienten (73 Prozent) und Pflegedokumentation (50 Prozent). Zwei Drittel der Pflegekräfte geben an, dass sie sich „häufig“ oder „sehr oft“ um herumirrende Patienten mit Demenz kümmern zmüssen.
65 Prozent der Pflegenden beklagen, dass sie sich nicht ausreichend um sterbende Patienten kümmern können.
Sicherheit nicht gewährleistet
Prof. Christel Bienstein, die Leiterin der Studie und des Departments Pflegewissenschaft an der UW/H wies darauf hin, dass die Sicherheit der Bewohner vor diesem Hintergrund nicht gewährleistet werden kann:
„Wer für 52 Personen in der Nacht zuständig ist, muss damit rechnen, dass – so wie es in Altenheimen meist aussieht – hinter 26 Türen jederzeit jemand beim Weg zur Toilette stürzen kann.“ Bei 52 Personen bleiben dem oder der Pflegenden rein rechnerisch zwölf Minuten für jeden Patienten pro Nacht für Inkontinenzversorgung, Lagerung oder Verabreichung von Medikamenten. Die Studie ist auch in der Novemberausgabe von Die Schwester/Der Pfleger nachzulesen
Die größte Klage der Befragten lautet: „Zu wenig Zeit“ (30 Prozent) oder „zu wenig Personal“ (25 Prozent). So sei es auch nicht verwunderderlich, betont Prof. Bienstein, dass 25 Prozent der Befragten angeben, dass in ihrer Einrichtung freiheitsentziehende Maßnahmen wie Schlafmittel oder Bettgitter eingesetzt werden. „Wir gehen davon aus, dass in einer Nacht rund 100 sogenannte „körpernahe Tätigkeiten“ anfallen, also Vorlagenwechsel oder Infusionen anhängen. Alleine die vorgeschriebene Desinfektion der Hände vor und nach 100 solcher Tätigkeiten dauere fast zwei Stunden! rechnet Bienstein vor.
Als Gründe, warum sie sich dennoch für den Nachtdienst melde, geben die Pflegekräfte an, sie fühlten sich den Bewohnerinnen gegenüber verantwortlich. Auch finanzielle Gründe und/oder die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden genannt . Die Befragten schätzen auch, dass sich die Bewohner in der Nacht mehr öffnen und sie deshalb ein besseres Verhältnis zu ihnen aufbauen könnten. Auch das selbständige Arbeiten geben 38 Prozent von ihnen an und 17 Prozent nennen die größere Ruhe in der Nacht verglichen mit dem Tagdienst, als positive Erfahrung im Nachtdienst.
Forderungskatalog
Als Konsequenz aus der Studie haben die Forscher der UWH einen Forderungskatalog aufgestellt.
In der Nacht müsse gewährleistet sein, dass mindestens zwei bis drei Pflegende für 60 BewohnerInnen anwesend sind. Jede Einrichtung muss einen hochqualifizierten Hintergrunddienst bereitstellen, der jederzeit beratend und unterstützend eingreifen kann. Notfallleitlinien, ein erreichbarer ärztlicher Hintergrunddienst und eine stetig lieferbereite Apotheke stellen eine erforderliche Grundlage dar.
Es muss gewährleistet sein, dass Nachtpflegende mindestens pro Nacht eine 30-minütige Pause haben, die sie ohne Störungen verbringen können. Mehr als vier Nächte hintereinander sollten Pflegende nicht die Verantwortung für die BewohnerInnen übernehmen.
Es müsse sichergestellt werden, dass Pflegende des Nachtdienstes an Fortbildungen teilnehmen können, ohne ihre Schlafzeit reduzieren zu müssen. Verantwortliche Pflegefachpersonen müssen über die beste Qualifikation verfügen, da sie schnell und alleine Situationen einschätzen und passgenaue Versorgungsmaßnahmen einleiten können müssen.
END/nna/nh
Bericht-Nr.: 151218-03DE Datum: 18. Dezember 2015
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