Nachrichtenbeitrag

Gesamtausgabe von Rudolf Steiner geht ihrer Vollendung entgegen

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Von NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele

Das Archivmagazin hat erstmals einen Überblick in die noch ausstehenden etwa 53 Bände der angestrebten 400 Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabe gebracht. Damit will das Archiv Transparenz schaffen.

DORNACH (NNA) – Schon zu Lebzeiten von Rudolf Steiner hatte die Bibliographie seiner Werke einen aus der Sicht mancher Kritiker beängstigenden Umfang erreicht. 1921 stellte der Orientalist Hans Heinrich Schaeder mit einem gewissen Unbehagen fest: „Der Sechzigjährige arbeitet, agitiert, schreibt unermüdlich“.

Was hätten diese Kritiker erst zum Umfang der Rudolf Steiner Gesamtausgabe gesagt? Derzeit geht sie ihrer Vollendung entgegen und wird mit über 400 Bänden eine der größten Gesamtausgaben eines einzelnen Autors sein.

Wie die Rudolf Steiner Nachlassverwaltung in ihrem neuen „Archivmagazin“ mitteilt, soll das publizistische Großunternehmen „Gesamtausgabe“ (GA) zum 100. Todestag der Gründergestalt (2025) abgeschlossen sein. Das „Magazin“ bringt erstmals einen Überblick in die noch ausstehenden etwa 53 Bände der GA und legt zugleich die Editions-Kriterien offen. Die Ausführlichkeit, mit der das geschieht, ist kennzeichnend für eine Politik der Transparenz, die Dr. David Marc Hoffmann, seit Herbst 2012 Leiter des Steiner Archivs, verfolgt.

Die Herausgeber des Mammut-Projekts begannen schon vor vielen Jahrzehnten, das Gesamtwerk zu sichten, um es der Öffentlichkeit als bedeutendes Kulturerbe zur Verfügung zu stellen. Damit erfüllen sie einen Auftrag der Alleinerbin Marie Steiner, die 40 Jahre lang als Herausgeberin tätig war und 1943 den Nachlassverein gegründet hatte.

Freilich will die GA keine kritische, sondern eine mit den notwendigsten Kommentaren versehene „Lese- und Studienausgabe“ sein, die den Bedürfnissen der anthroposophischen Bewegung und deren Interessenten Rechnung trägt. Unabhängig davon erscheint seit 2013 eine „kritische“ Edition der Schriften Steiners, herausgegeben von Christian Clement im renommierten Fachverlag Holzboog in Stuttgart, der u.a. auch die Werke des Philosophen Schelling herausgibt.

Aber auch diese ist noch nicht die „endgültige“ Ausgabe, denn das Ideal wäre aus wissenschaftlicher Sicht eine „kritische Gesamtausgabe“, deren Realisierung allerdings die Hinzuziehung externer Fachleute und öffentliche finanzielle Unterstützung erfordern würde.

Editionsgeschichte

Im ersten Teil des Magazins gibt Hoffmann einen Überblick über Geschichte und Gestalt der Gesamtausgabe. Rechnet man die Vorgeschichte mit ein, die 1908 mit der Begründung des Philosophisch-theosophischen Verlags in Berlin begann, so dauert die Editionsgeschichte von Steiners Werk schon 108 Jahre. Auch die Themen „Schutzfristen“ und „digitaler Lesesaal“ werden erörtert.

Hoffmann stellt die noch ausstehenden, in Planung begriffenen Bände vor. Einige Inhalte dieser Bände können hier nur stichwortartig genannt werden:

Übersetzungen aus dem Alten und Neuen Testament, öffentliche Vorträge während des Weltkriegs, die 1922 gehaltenen Vorträge der berühmten Wolff & Sachs-Tourneen, und der häufig nachgefragte, wegen mangelhafter Mitschriften aber bisher zurückgestellte Berliner Vortragszyklus „Das Christentum als mystische Tatsache“ (1901/02) usw.

Aus dem Nachlass sind die „Briefe“ besonders interessant: Sie enthalten nicht nur persönliche, sondern auch weltanschauliche Aussagen und bilden somit eine wichtige Ergänzung zu den Schriften und Vorträgen. Die bisher erschienenen Briefbände sind unvollständig und erfüllen heutige Editionskriterien nicht. Deshalb sollen die insgesamt 1.800 erhaltenen Briefe von Steiner erstmals vollständig in 6 Bänden erscheinen.

Dagegen werden die etwa zwölftausend Briefe an Steiner nicht in die GA aufgenommen, weil sie nicht Teil seines Werkes sind. Ihr Abdruck würde „mehrere Dutzend Bände füllen“, was auch eine ökonomische Unmöglichkeit darstellen würde. Allerdings sollen Gegenbriefe, soweit noch vorhanden, wenigstens erwähnt, zitiert oder paraphrasiert werden. Spezielle Briefwechsel (wie sie teilweise schon vorliegen) sollen in Forschungsbänden außerhalb der GA ihren Platz finden, wo sie besser kontextualisierbar sind.

Aus der Abteilung „Vorträge“ sind noch 13 Bände der öffentlichen und 10 Bände der Mitliedervorträge zu edieren. Von den Vorträge zu einzelnen Lebensgebieten fehlen noch drei Bände zur Eurythmie, zwei über bildende Künste und zwei über soziale Fragen. Auch sind Nachträge aus dem künstlerischen Werk vorgesehen.

Wie den Briefen kommt auch den rund 622 Notizbüchern und etwa 7. 044 Notizzetteln Steiners ein hoher Stellenwert im Gesamtwerk zu. Sie sollen vollständig digital veröffentlicht werden, was jedoch angesichts des hohen editorischen Aufwandes (Kommentierung) bis zum Jubiläum 2025 nur teilweise geschehen kann. Als „Vorschau“ werden zwei gedruckte Auswahlbände erscheinen.

Appell

Die Vollendung der GA wird auf 7 Millionen Franken veranschlagt. Marc C. Theurillat richtet einen „innigen Appell“ an die potentiellen Geldgeber, Privatpersonen und Stiftungen, von denen schon einige Zusagen vorliegen. Durch ihre Spenden wirken sie mit an dem Ziel, das Steiner in seiner Autobiographie einmal als das „Hineinstellen der Anthroposophie vor das Bewußtsein der heutigen Zeit“ bezeichnete.

Sie verhindern damit, dass Steiners Werk „auf unabsehbare Zeit Fragment bleibt“. In einem eigenen Kapitel stellt der Editionsrat die Editionsrichtlinien als für die Herausgeber verbindliche Basis vor.

Der zweite Teil des Magazins befasst sich mit dem künstlerischen Nachlass Steiners und dokumentiert die in den letzten Jahren immer enger gewordene Kooperation zwischen Goetheanum und Nachlassverwaltung, zweier aufgrund historischer Entwicklungen früher strikt getrennten arbeitenden Institutionen.

In den letzten Jahrzehnten traten die künstlerischen Anregungen Steiners, aber auch dessen eigene Skizzen verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Ein Pionier dieser Entwicklung ist Prof. Walter Kugler, der Steiners Wandtafelzeichungen publik machte und sie in den größten Museen der Welt ausstellte.

Seiner Initiative sind auch die zum 150. Geburtstag Steiners entstandenen großen Ausstellungen zu verdanken. Allmählich wird die anthroposophische Kunst als eigenständige Strömung anerkannt, nachdem sie der offizielle Kunstbetrieb lange ignoriert hat.

Bodo von Plato, Vorstandsmitglied am Goetheanum, setzt sich dafür ein, dass das Kulturerbe Steiners zukünftig „als wesentlicher Teil der in und um Basel entstehenden Kultur- und Museumslandschaft“ zur Geltung gebracht wird. So sei vorgesehen, die reichhaltigen Sammlungen der Fachleute Heide Nixdorf und Reinhold J. Fäth in die Goetheanum Kunstsammlung zu integrieren.

Bekanntlich hat Fäth in seinem großen Ausstellungskatalog “Aenigma. Hundert Jahre anthroposophische Kunst“ (2015) dokumentiert, was von Steiners Anregungen in die allgemeine Kunstwelt eingeflossen ist.

Konkreter Schritt

Die Integrierung der beiden Sanmmlungen markierten einen ersten konkreten Schritt auf dem Weg, „wie künftig am Goetheanum ein unseren besonderen Anforderungen entsprechendes Museum entstehen kann“ – als ein „der breiteren wie einer professionellen Öffentlichkeit zugänglicher Ort anthroposophisch inspirierter Kunst“.

Unter der Leitung von Johannes Nilo, Leiter der Dokumentation am Goetheanum, wurde die fachgerechte Konservierung u. Aufbereitung der Kunstsammlung, die neben Steiners künstlerischem Nachlass auch Werke anthroposophischer Künstler umfasst, in Angriff genommen.

Zu den bereits angelaufenen Maßnahmen gehört beispielsweise die grundlegende Inventarisierung der zur Zeit in mehreren Gebäuden untergebrachte Sammlung, die nicht nur künstlerische Arbeiten Steiners, sondern auch seiner Schüler umfasst.

Nilo begreift das Museum als einen Ort der Identitätsbildung in einer globalisierten Welt. Er weist auf eine zukunftsträchtige Dimension des Museums hin, die über Konservierung und kunstwissenschaftliche Erforschung bis zur neuen „Impulsierung“ der Betrachter reiche.

END/nna/vog

Archivmagazin. Beiträge aus dem Rudolf Steiner Archiv Nr. 5, August 2016, „Die Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Aktueller Stand und Abschlussplanung“. Basel: Rudolf Steiner Verlag 2016, 197 Seiten, zahlreiche Abbildungen. 22.80 EUR.

Bericht-Nr.: 161018-02DE Datum: 18. Oktober 2016

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