Nachrichtenbeitrag

Gebäudesenkung bestärkt Bedenken gegen Stuttgart 21

 | 
Von NNA Mitarbeiter

STUTTGART (NNA) – Das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 sorgt derzeit für erneute Debatten in der baden-württembergischen Landeshauptstadt.

Wie von den S-21-Gegnern immer wieder befürchtet, gibt es jetzt erste Gebäudeschäden durch den Tunnelvortrieb. Außerdem wird über den Ort der Montagsdemonstration gestritten, die die Stadt vom Bahnhof weg auf dem Marktplatz verlegen möchte.

Ein Bürogebäude der Landeswasserversorgung im sog. Kernerviertel senkt sich durch den darunter gegrabenen S-21-Rettungsstollen ab, die Landeswasserversorgung hat die Risse im Haus offiziell bestätigt. „Die Befürchtung der Bewohner des Kernerviertels wird gerade Realität: Schon nach den ersten wenigen Metern Tunnel ist das erste Haus durch die S-21-Tunnelarbeiten beschädigt, vermutlich sogar schlimmer als von den langjährigen Kritikern befürchtet“, schreibt Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer, einer Gruppe der S-21-Gegner in einer Mitteilung dazu. Die Parkschützer werfen der Stadt Stuttgart und der Bahn vor, durch den Verzicht auf ein geotechnisches Gutachten zum Kernerviertel die Sicherheit der Häuser und ihrer Bewohner zu gefährden.

Die S-21-Gegner nahmen die Gebäudeabsenkung zum Anlass, bei der 206. Montagsdemonstration am 20. Januar zum betroffenen Kernerviertel zu ziehen. Auf der Kundgebung kam Frank Schweizer, ein Sprecher des „Netzwerk Kernerviertel“ zu Wort. Er forderte die Bahn auf, die Hauseigentümer über den Fortgang des Tunnelbaus auf dem Laufenden zu halten. Die Stadt beteilige sich mit ca 600.000 Euro pro Jahr an dem Informationsbüro für Stuttgart 21. Daher könnten die Bürger auch „eine transparente Informationspolitik erwarten und nicht nur Schönfärberei von Problemen bei der Bauausführung“, betonte Schweizer. Das Kernerviertel liegt am Hang, seine Grundstücke sind durch Stützmauern terassenförmig angelegt. Die Bewohner befürchten, dass diese Stützmauern durch den Tunnelbau ins Rutschen geraten könnten.

Mit dem Marsch ins Kernerviertel wich die Demonstration erneut von der Route ab, die die Stadt Stuttgart der Montagsdemo zuweisen möchte. Die Kundgebungen sollen ab Februar auf dem Marktplatz stattfinden, um Verkehrsbehinderungen zu vermeiden. Über die Route gibt es inzwischen auch unter dem Aktionsbündnis der Stuttgart-21-Gegner Diskussionen. Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hatte am 12.12. der Stadt Stuttgart Recht gegeben mit der Verlegung der Montagsdemonstrationen weg vom City-Ring vor dem Hauptbahnhof und damit einen erstinstanzlichen Beschluss der Stuttgarter Verwaltungsrichter abgeändert. Trotz der Anordnung der Verwaltungsgerichtshofs waren bei den letzten Montagsdemonstrationen Stuttgart-21-Gegner von der genehmigten Strecke abgewichen.

Am 3. Dezember konnte die Stuttgarter Monatsdemo noch vor dem Bahnhofsgebäude ein denkwürdiges Jubiläum begehen: die 200. Montagsdemonstration, an der nach Angaben der Veranstalter 7.500, laut Polizei 3.400 Menschen teilnahmen. Mit fünf Demonstranten hatte der Protest am 26. Oktober 2009 vor dem Nordeingang des Hauptbahnhofs seinen Anfang genommen, in Spitzenzeiten nahmen bis zu 50.000 Personen an den Montagsdemonstrationen teil.

Vor allem nach dem sog. Schwarzen Donnerstag am 30. September 2010, als ein Polizei-Großeinsatz das Fällen der erste Bäume im Schlossgarten absichern sollte und Hunderte von Polizisten brachial gegen die Demonstranten vorgingen, solidarisierten sich immer mehr Stuttgarter mit der Protestbewegung. Fotos mit bürgerkriegsähnlichen Szenen aus Stuttgart wurden auch international veröffentlicht, darunter eines mit einem schwer verletzten Rentner, der von einem Wasserwerfer getroffen worden war und dabei einen Teil seines Augenlichts einbüßte.

Gegen zwei Einsatzleiter der Stuttgarter Polizei wird derzeit wegen des Einsatzes der Wasserwerfer vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt, die Anklage lautet auf fahrlässige Körperverletzung im Amt.

Der Landtag hat zu diesen Vorgängen im Dezember nun einen zweiten Untersuchungsausschuss eingesetzt, der klären soll, inwieweit der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) Einfluss auf den Polizeieinsatz genommen hat. Ein erster Ausschuss hatte sich zwischen Oktober 2010 und Januar 2011 schon einmal mit dieser Frage befasst. Die Parteien kamen dabei zu einem unterschiedlichen Ergebnis. CDU und FDP fanden im Gegensatz zu SPD und Grünen keine Anhaltspunkte für eine Einflussnahme des Ministerpräsidenten. Vor kurzem tauchten in Stuttgart Emails von Mappus auf, die ein anderes Licht auf die Vorgänge werfen. Sie sind im Besitz der Staatsanwaltschaft und wurden zum Anlass für die Einsetzung des zweiten Untersuchungsausschusses.

Der Baustart für das umstrittene Großprojekt war aufgrund einer Volksabstimmung im Herbst 2012 in Baden-Württemberg erfolgt, bei der sich 59% der Befragten für einen Bau von Stuttgart 21 ausgesprochen hatten. Aufgrund der Kostensteigerungen werden trotzdem immer wieder Zweifel an der Realisierbarkeit des Projekts laut, die die Stuttgart-21-Gegner veranlassen, an ihrem Protest festzuhalten. Außerdem war der komplizierte geologische Untergrund in der Stuttgarter Innenstadt von den Gegnern und auch von Fachleuten als Argument gegen das Projekt ins Feld geführt worden.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 140125-01DE Datum: 25. Januar 2014

© 2014 News Network Anthroposophy Limited (NNA). Alle Rechte vorbehalten.

Zurück
An der Stärke der Meinungen gegen das Projekt kann es keine Zweifel geben.
Baustelle des umstrittenen Großprojekts am Stuttgarter Hauptbahnhof. Die blauen Rohre sind Teil des Wassermanagementystems zur Sicherung des Grundwassers während der Tunnelarbeiten.
Polizisten eilen zu den Leitungen des Grundwassermanagements, wo sich ein paar Jugendliche versammelt haben.<br>Alle Fotos: Cornelie Unger-Leistner