Nachrichtenbeitrag

„Friede wird den Krieg besiegen“

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Von NNA-Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

Das Ukraine-Konzert von Mitgliedern des Staatsorchesters in Mainz wollte Licht und Hoffnung spenden. Die Einnahmen werden für das Einsatz-Team von Armut und Gesundheit e.V. verwendet.

MAINZ (NNA) – Überall in Deutschland werden Menschen aktiv und starten Hilfsaktionen für die Ukraine. In Mainz waren es Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters, die ein ungewöhnliches Benefiz-Konzert auf die Beine gestellt haben. 1.000 Zuhörer in der ausverkauften Rheingoldhalle und 18.700 EUR Spenden waren das Ergebnis – sie fließen an den Verein Armut und Gesundheit e.V. und seine Arbeit an der polnisch-ukrainischen Grenze.

„Ich wollte nicht so einfach tatenlos zusehen und warten, bis von den Institutionen etwas unternommen wird“, berichtet der 1. Konzertmeister des traditionsreichen Orchesters und Initiator des Konzerts Mihail Katev im Gespräch mit NNA. Aber welche Musik sollte zu hören sein, welche Kompositionen konnte man dem Leid der Menschen in der Ukraine entgegensetzen? „Unser Konzert sollte die Realität spiegeln, sie ist zur Zeit sehr dramatisch und düster, aber wir wollten trotzdem etwas Licht und Hoffnung spenden, dass es doch irgendwann wieder besser wird“, meint der Musiker, der als 15jähriger aus Bulgarien nach Deutschland kam, um an der Frankfurter Musikhochschule zu studieren und Mainz als seine Wahlheimat bezeichnet.

Fündig für das Konzert wurde Katev in der osteuropäischen slawischen Moderne mit der Sinfonie Nr. 3 in h-Moll des ukrainischen Komponisten Boris Lyatoshinsky (1895 – 1968). Die Sinfonie ist 1951 entstanden und trägt den Untertitel „Peace shall defeat War – Der Friede wird den Krieg besiegen“, so auch der Titel der Veranstaltung am 16 .März.

Zwei Tage nur hatten die Musiker Zeit, um das Werk in ihrer Freizeit einzustudieren, die Mainzplus Citymarketing GmbH stellte den nach einem Brand neu renovierten Konferenzsaal der Rheingoldhalle unentgeltlich zur Verfügung. Örtliche Gastronomen zogen mit den Musikern an einem Strang und spendeten die Bewirtung. Offensichtlich hatte Katev mit seinem Konzertprojekt gegen den Krieg nicht nur seine Kollegen überzeugt, sondern auch die Stimmungslage der Mainzer getroffen: Nach einer knappen Woche waren alle Tickets für das Benefiz-Konzert ausverkauft.

Motive des Kampfs und Friedens

Die Besucher in der Rheingoldhalle erwartete ein ungewöhnlicher Abend: Generalmusikdirektor Hermann Bäumer eröffnete das Konzert mit der Ouvertüre zu Goethes Egmont von Ludwig van Beethoven – ein musikalischer Einstieg in das Motiv des Kampfs gegen Unterdrückung und Fremdherrschaft. Er übergab den Taktstock dann an den 1.Konzertmeister Mihail Katev für die Aufführung der Sinfonie von Lyatoshinsky. Wie der Frieden den Krieg besiegt – die Zuhörer konnten die Dramatik dieses Prozesses in Klängen erleben, im Wechsel zwischen den Extremen, der musikalischen Darstellung der Schrecken des Kriegs und dem zarten Kontrast des Friedensmotivs, das sich immer wieder hörbar machte.

„Slawische Komponisten haben eine andere Philosophie in ihrer Arbeit als westliche, sie zielen direkt auf die Gefühle der Zuhörer, die ganze Struktur des Werks unterstützt diese Emotionen“, erklärt Mihail Katev die starke Wirkung, die die Musik Lyatoshinskys ausübt. Er rechnet den Komponisten einer spätromantischen Moderne zu, Einflüsse von Prokofiev, Schostakowitsch und Mussorgski sind unverkennbar.

Als Zuhörer durfte man gespannt sein auf den letzten Satz der Sinfonie – welchen Schluss würde der Komponist seinem kontrastreichen Werk geben? Ein triumphierendes, euphorisches Finale, das vielleicht mancher erwartet hatte, war es nicht: der Friede, der den Krieg besiegt, stand am Ende als fragiles, vorläufiges Gebilde im Raum. Das Publikum dankte den Musikern mit Standing Ovations für ihre ergreifende Darbietung.

Dieser Schluss der Sinfonie war es auch, der zu Sowjetzeiten die Zensur der stalinistischen Kulturbehörden auf den Plan gerufen hatte – die Sinfonie durfte so nicht aufgeführt werden, der Komponist musste den vierten Satz durch eine pathetische, optimistischere Variante ersetzen. Erst 1955 konnte die ursprüngliche Version wieder gespielt werden, die jetzt auch in Mainz zu hören war.

Für Mihail Katev sind es die eigenen Lebenserfahrungen von Boris Lyatoshinsky, der in den 30er Jahren die politisch verursachte Hungerkatastrophe in der Ukraine miterleben musste, die Millionen von Todesopfer gefordert hatte, die ihn zu dieser Sicht auf Frieden gebracht hatten. „Das Leid war zu groß, das er gesehen hatte, er konnte den Frieden einfach nicht als reine Freude darstellen“.

Frieden schützen und gewährleisten

Auch Prof. Gerhard Trabert, Vorstandsmitglied des Vereins Armut und Gesundheit e.V, stellte in seinem Redebeitrag vor dem Konzert Frieden als einen immer wieder zu erringenden Zustand dar.

Trabert, der für die Linkspartei für das Amt des deutschen Bundespräsidenten kandidiert hatte, betonte, der Krieg gegen die Ukraine sei „durch nichts zu rechtfertigen“. Wie der völkerrechtwidrige Angriffskrieg zeige, sei es wichtig, freiheitliche Demokratien von außen zu schützen, vor militärischen Angriffen und Unterdrückungsmechanismen. Der Friede müsse aber auch im Innern, im gesellschaftlichen Miteinander gewährleistet werden. „Dies geht nur durch Praktizierung von sozialer Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Bildungsgerechtigkeit und damit auch Verteilungsgerechtigkeit“, betonte er. Soziale Gerechtigkeit sei die Bewährungsprobe einer jeden freiheitlichen Demokratie.

Licht und Hoffnung zu spenden angesichts der Schrecken des Ukrainekrieges war die Intention der Musiker mit ihrem Konzert. Prof. Trabert fügte dem ein Zitat von Mahatma Ghandi hinzu: „Und wenn ich verzweifle, dann erinnere ich mich, dass durch alle Zeiten in der Geschichte der Menschheit die Wahrheit und die Liebe immer gewonnen haben. Es gab Tyrannen und Mörder und eine Zeit lang schienen sie unbesiegbar, doch am Ende scheiterten sie immer. Denke daran – immer.“

Ein Team des Vereins Armut und Gesundheit e.V. war gerade zwei Wochen lang an der ukrainisch-polnischen Grenze im Einsatz. Im improvisierten Auffanglager im polnischen Przsemysl hatte das Arztmobil des Vereins medizinische Versorgung geleistet. Später waren die Helfer in Korczowa mit verschiedenen internationalen Hilfsorganisationen zusammen tätig. Mit zum Team gehörte auch Dr. Basrawi Ali, selbst Geflüchteter aus Syrien.

Vorbildliche Dienste

Behandelt wurden in 12stündigen Schichten meist Frauen und Kinder, bis zu 200 Patienten seien in manchen Nächten zu versorgen gewesen. „Die Menschen haben Bombardierung, Zerstörung, Gewalt gesehen und hautnah miterlebt. Das erzeugt Stress und Ängste, besonders bei den Kindern“. berichtete Prof. Gerhard Trabert, der das Team in den ersten Tagen unterstützt hatte. Armut und Gesundheit e. V. lobt in einer Stellungnahme auf seiner Homepage außerdem die vorbildliche Organisation des staatlichen Rettungsdiensts in Polen, der Kontakt mit den Patienten sei immer menschlich und freundlich gewesen.

Die Sinfonie Nr. 3 in h-Moll „Peace shall defeat war“ kann auch auf YouTube angehört werden in der Originalfassung, gespielt vom Bournemouth Symphony Orchestra unter der Leitung von Kirill Karabits.

END/nna/ung

Bericht-Nr.: 220328-04DE Datum: 28. März 2022

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Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz, die die Sinfonie aufgeführt haben. (Foto: Philharmonisches Staatsorchester Mainz)
1. Konzertmeister des traditionsreichen Orchesters und Initiator des Konzerts, Mihail Katev. (Foto: Mihail Katev)
Das Einsatzteam des Arztmobils. Von links: Prof. Dr. Gerhard Trabert, Dr. Basrawi Ali, Pfleger Tobias Streer, udn die Krankenschwester Sr. Angelika. (Foto: Armut und Gesundheit e.V.)
Das Arztmobil vor einem Kloster in der Ukraine. (Foto: Armut und Gesundheit e.V.)
Und vor dem Auffanglager im polnischen Przsemysl. (Foto: Armut und Gesundheit e.V.)