Nachrichtenbeitrag

Ein kleiner Staat im Himalaya als Vorbild für gelingendes Miteinander

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Von NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz

MÜNCHEN/DORNACH (NNA) – Beim diesjährigen Welttreffen der Waldorfschüler in Dornach begeisterte er die jungen Leute: Dr. Ha Vinh Tho, Leiter einer ungewöhnlichen Einrichtung im Himalaya-Staat Bhutan, des Gross National Happiness Center (GNH).

Über Skype dem Treffen zugeschaltet, erläuterte er den Jugendlichen die neue Definition von Entwicklung, die die Regierung für Bhutan formuliert hat. Sie basiert auf der Erhaltung der Umwelt, der Nachhaltigkeit und der Verbindung mit der Natur. Entscheidungen sollen aus einem ganzheitlichen Wertesystem heraus getroffen werden.

In seinem Buch „Grundrecht auf Glück – Bhutans Vorbild für ein gelingendes Miteinander“ erläutert Ha Vinh Tho, was das Grundrecht auf Glück und das GNH für Bhutan bedeutet. Jigme Singye Wangchuck der vierte König des Landes gilt als der Vater des Begriffs „Bruttonationalglück“. Der vielgeliebte Monarch dankte 2005 – erst 50 jährig – zugunsten seines jüngeren Sohnes ab.

Biografische Schritte

Tho beginnt sein Buch mit Erzählungen aus seiner Biografie. Gewichtige Gemeinschaftserfahrungen machte er in einer Camphill-Gemeinschaft nach seinem Studium, wobei erfahrbar wurde, dass Arbeit und Geld bewusst getrennt sein können. Alle Gehälter flossen in einen gemeinsamen Topf, aus dem jede Familie im Einverständnis mit den anderen Mitarbeitern jeweils entnahm, was sie brauchte. „Da schärfte sich der Sinn dafür, oberflächliche Wünsche und Begierden, die in Grunde genommen nicht berechtigt sind, zu erkennen“, erklärt er zu seinen Entwicklungsschritten und dem damit verbundenen Schulungsweg.

Beruflich war Tho jahrelang beim Internationalen Roten Kreuz engagiert, um in Krisengebieten für mehr humanitäre Zustände zu sorgen. Schicksalshaft war durch Unstimmigkeiten dieser Einsatz beim IRK beendet worden. So kam es, dass Tho sich als Direktor des Gross National Happiness Centre (GNH) in Bhutan bewarb. Dabei habe er das Gefühl gehabt, schreibt er, „dass alles, was ich bis dahin gemacht, gelernt und erlebt hatte mich auf diese Aufgabe vorbereitet hatte“.

Die Schilderungen im Buch lassen diese Überzeugung spürbar werden, die dann auch zu großen Erfolgen führte. In einem gute lesebaren Erzählstil berichtet Tho von der vorbildlichen Funktion Bhutans und der beginnenden Wirkung in vielen anderen Institutionen, Staaten und Nationen. Oft sind es kurze Absätze in diesem Buch, in denen er auf fundamentale Gedanken hinlenkt.

Dimensionen des Glücks

Zur Definition von Glück zählen aus der Sicht des GNH zunächst elementare Bedürfnisse: Wasser, Nahrung, Kleidung und Obdach. Aber auch Sicherheit und die Würdigung als Mensch und Person werden als soziales Wohlbefinden beschrieben und bilden die äußere Voraussetzung für ein Streben nach Glück, meint Tho. Die Gesellschaft trägt die Verantwortung dafür, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Bürger ihrem berechtigten Streben nach Glück nachgehen können.

Ein Wohlfühlglück bezeichne einen vergänglichen Zustand, das dauerhafte Glück sei ein Zustand oder Charakterzug, die Eigenschaft einer Persönlichkeit, schreibt eTho. Er zitiert u a. auch Aussagen des ehemaligen Ministerpräsidenten Bhutans Jigmi Y. Thingly zum echten Glück: „...Wir erreichen es daher nur, wenn wir anderen dienen und in Harmonie mit der Natur leben.“

Nicht unerwähnt lässt Tho, dass die zivilisierte Gesellschaften derzeit auf einem Standard leben, als hätten sie 1,5 Planeten zur Verfügung. Erlebbar sei außerdem die Entfremdung vom anderen Menschen, von der Natur zu erleben und der Mensch der Gegenwart habe auch kein wirkliches Verhältnis mehr zu sich selbst. „Wir haben weitgehend das Verhältnis zu einer tieferen, manche sagen auch höheren Dimension des Seine verloren und beschränken uns nun vornehmlich auf das Erreichen eines äußeren Fortschritts“. Er betont, dass die wirtschaftliche Krise in allererster Linie eine moralische oder ethische Krise ist.

Innere Werte

Tanja Singer vom Max-Planck-Institut, Dresden wird im Buch zitiert, die einen gangbaren Weg formuliert: Neueste Hirnforschung belegten eindeutig – „und das im vollen Einklang mit traditionellem Wissen“ –, dass positive inneren Eigenschaften wie Mitgefühl, Güte, Großzügigkeit oder Selbstlosigkeit als Potenzial in allen Menschen angelegt ist. Man müsse es nur schulen und weiterentwickeln, ähnlich wie bei einem gesunden Kind, das die Fähigkeit besitzt, sprechen zu lernen.

Wie also ist ein Wachstum von innen, Erfüllung zu erlangen, die auch innere Werte und Erfahrungen wie Freundschaft, Liebe, Naturverbundenheit, Kreativität, Kunst und Spiritualität stützt? Tho schreibt dazu, er habe sein Leben lang versucht, „moderne wissenschaftliche Vernunft mit kontemplativer, spiritueller Weisheit zu verbinden.“ Nun gelte es, den Anspruch auf Bruttonationalglück im Alltag umzusetzen.

Wie die Menschen in Bhutan sich ihre Welt wünschen, erforscht alle zwei Jahre eine ganze Heerschar von Interviewern. Diese steigen auch hinauf in die Berge des Himalaya und befragen die Bauern. So will der Staat laufende Veränderungen in den Lebensverhältnissen in Bhutan erforschen. Die Erhebung von mehreren Tausend Befragten diene den Politikern und Beamten als Richtschnur für die Arbeit, die sie für die Zukunft planen, aber auch als Korrektiv für Beschlüsse.

Es würden auch Entscheidungen revidiert, wenn die Umfragen erkennen lassen, dass eine Mehrheit der Menschen die Dinge anders sieht als diejenigen, die sie zuvor entschieden haben, berichtet Tho und überzeugt den Leser davon, wie vorbildlich Bhutan mit dieser Form der Bürgerbeteilgiung ist.

Genannt werden auch Zahlen zum Himalaya-Staat: in Bhutan wächst auf 72 Prozent der Landesfläche Wald. Über 2000 Klöster und Eremitagen bezeugen, wie lebendig die Religion des Vajrayana-Buddhismus im Leben der Menschen verankert ist. Derzeit plane die Regierung Bhutans, ihren Fuhrpark nach und nach auf Autos mit reinem Elektroantrieb umzustellen.

Paradigmenwechsel

Die GNH ist zunächst ein Projekt, das die Gesamtbedürfnisse des Menschen mit einbezieht, die physischen wie auch psychologischen und sogar die spirituellen Bedürfnisse. Demnach ist die GNH darum bemüht, ein Gleichgewicht zwischen den äußeren Bedingungen des Lebens und Wirkens und den inneren Kompetenzen, die zum Glück führen können, zu schaffen, wird beschrieben.

Tho ruft dazu auf, die Werte neu zu definieren, auf die wir unser Zusammenleben gründen, und die Ziele festzusetzen, die wir gemeinsam für erstrebenswert halten. Weiter müssten die Menschen entdecken, dass und wie sie sich um andere kümmern und für sie Sorge tragen können. Auch die Abhängigkeit von anderen Kreaturen, Pflanzen oder Tieren müsse man annehmen und schätzen lernen. Es sei auf Kooperation zu setzen statt auf Wettbewerb, so beschreibt der Regierungsreport Happiness – Towards a New Development Paradigm den Paradigmenwechsel auch im Wirtschaften.

Tho zitiert als Zeugen für das Happiness-Konzept historische und zeitgenössiche Weltpersönlichkeiten wie Aristoteles, Goethe und Nelson Mandela. Er erzählt von seinen Kontakten und seinem regelmäßigen Austausch mit dem König von Bhuten. Philosophen, Soziologen und nicht wenige namhafte Ökonomen und Politiker, wie zum Beispiel der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz zählten inzwischen zur erklärten Fangemeinde Bhutans und der dort geprägten Gross National Happiness, so Tho.

Vorbild

Im letzten Viertel des Buches werden mehrere Beispiele aus der Arbeit des GNH Centre beschrieben. Das Interesse an GNH wachse stetig und weltweit. Tho ist in viele Länder eingeladen, um in Vorträgen und Diskussionen über die Arbeit in Bhutan zu sprechen. Da wird von den Voraussetzungen wie Mitgefühl und Weisheit als Gleichheit im Buddhismus gesprochen. Mitgefühl bedeute, dass wir dem Leid der Welt mit offenen Herzen begegnen und anerkennen, dass es Leid gibt.

Weisheit erlaube uns, die Lage realistisch einzuschätzen, damit unsere Taten nicht aus Sentimentalität und Gefühlsschwärmerei heraus entstünden, sondern als Ergebnis wohldurchdachter Strategien. Erfreulicherweise gebe es auch schon weitere Projekte in verschiedenen Regionen der Welt. In Bhutan selbst sei die Zivilgesellschaft noch sehr jung und müsse erst nach und nach ihren Platz finden. Der Autor ist überzeugt, dass in aller Stille eine innere Revolution angefangen hat.

Seit 2012 gilt der von der UNO erklärte 20. März jeden Jahres als „International Day of Happiness“ der fortan alle Menschen daran erinnern soll, dass „Glück eines der grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse“ ist. Dabei nimmt die UNO Bezug auf Bhutan – als Vorbild für alle anderen Nationen.

Obwohl die Entwickler des GNH Modells wissen, dass es nahezu unmöglich ist, „in einer so verschienartigen Welt, deren Kulturen alle in den unterschiedlichsten Traditionen wurzeln, einen einheitlichen Grad globaler Happiness zu definieren“, sind sie überzeugt: Wir besitzen als Menschheit die Voraussetzungen dafür, dies zu schaffen“, schreibt Tho.

END/nna/will

Literaturhinweis:

Dr. Ha Vinh Tho, Grundrecht auf Glück – Bhutans Vorbild für ein gelingendes Miteinander, Nymphenburger Verlag München 2014.

Ausführliche Informationen über die Aktivitäten des Gross National Happiness (GNH) liefert auch die Website: www.gnhcentrebhutan.org

Der Blog von Dr. Ha Vinh Tho : Learning Happiness in Bhutan: havinhtho.blogspot.de

Bericht-Nr.: 150804-02DE Datum: 4. August 2015

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