Nachrichtenbeitrag
Ein gefährlicher Weg
LEITARTIKEL | Fremdenfeindlichkeit und Demagogie bestimmen die Politik in Referenden und Wahlkämpfen in Europa und den USA. Die Schäden für die Gesellschaft treten besonders deutlich in Großbritannien und den USA hervor.
Fremdenfeindlichkeit, Demagogie und Lügen kennzeichneten über weite Strecken sowohl die Kampagne zum Brexit-Referendum in Großbritannien als auch den Präsidentschaftswahlkampf in den USA – die Schäden für die Gesellschaften in beiden Ländern werden jetzt deutlich.
Großbritannien ist der Sitz von NNA, Herausgeber Christian von Arnim nimmt beide Ereignisse zum Anlass, sich mit einem Leitartikel zu Wort zu melden.
NNA versteht sich als Nachrichtenagentur, die für und über die Zivilgesellschaft berichtet und versucht, alle Ereignisse darzustellen, ohne Stellung dazu zu nehmen. Das heißt, NNA hat keine eigene inhaltliche Linie über dieses Anliegen hinaus, die Zivilgesellschaft zu unterstützen und versucht, alle Meinungen fair zu Wort kommen zu lassen. So können sich die Leser selbst ein Bild machen, was der Herausgeber über ein Ereignis denkt, bleibt ausgespart.
Manchmal ereignet sich jedoch etwas, das so schwerwiegende Auswirkungen hat, dass wir die Pflicht haben, uns laut und deutlich mit unserer Meinung zu Wort zu melden. Die beiden Ereignisse, Brexit-Referendum und US-Präsidentschaftswahl, sind so ein Anlass. Seit dem Referendum und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist aufgrund der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit eine Erosion der politische Kultur in den beiden Ländern zu beobachten – eine Entwicklung, die dem Gefüge der Gesellschaft schweren Schaden zufügt. Zu befürchten ist, dass rechtspopulistische Tendenzen auch anderswo zum Zuge kommen.
Hier kann man jetzt erst einmal kurz aufatmen, nachdem sich bei der Präsidentschaftswahl in Österreich der ehemalige Vorsitzender der Grünen Partei, Alexander Van der Bellen, gegen den Rechtspopulisten Norbert Hofer im zweiten Anlauf durchgesetzt hat. Das Wahlergebnis bildet ein wichtiges Beispiel dafür, dass der Rechtspopulismus gestoppt werden kann und ein Kandidat, der überzeugend für echte Werte steht, immer noch Wahlen gewinnen kann.
Die Frage bleibt, wie die rechtspopulistischen Parteien abschneiden werden, wenn im nächsten Jahr in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gewählt werden wird.
Das Nein zum Verfassungsreferendum in Italien hat einen komplexeren Hintergrund und spiegelt ein breiteres politisches Spektrum wider. Die Liga Nord repräsentiert zwar auch hier einen rechten, ausländerfeindlichen Kurs und positioniert sich gegen Einwanderung, aber die Cinque Stelle Bewegung (M5S) ist schwerer einzuordnen, sie gehört sicherlich zu den populistischen Bewegungen, passt aber nicht in das traditionelle Rechts-Links-Schema. Zu ihren Forderungen gehört auch die der direkten Demokratie, aber – das liegt vielleicht auch in der Natur einer solchen Bewegung – ihre Unterstützer wählen sie aufgrund von sehr unterschiedlichen Positionen, angefangen von der EU bis hin zur Migrationsfrage.
Über das Votum gegen das herrschende Establishment hinaus sieht es so aus, als hätten viele Italiener wirklich gegen die beabsichtigte Verfassungsänderung gestimmt, die dem Premierminister eine größere Machtfülle beschert hätte, d.h. dass bei dem Referendum diese und andere innenpolitische Fragen den Ausschlag gegeben haben – ein nationalistisches Votum gegen die EU kann damit nicht als selbstverständlich angenommen werden.
Düsterer Ausblick
Ungeachtet dessen ist die Entwicklung in den USA und in Großbritannien besorgniserregend. In Großbritannien hat der Rechtsextremismus seine schlimmste Form im Mord an der Abgeordneten Jo Cox angenommen, deren Mörder Thomas Mair vor kurzem zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist. Jo Cox hatte sich dafür eingesetzt, dass Großbritannien in der EU bleibt. Mair rief „Britain first“, als er sie tötete, und die Polizei fand nationalsozialistisches Material in seinem Haus.
Es kann kein deutlicherer Hinweis auf die Dämonen geben, die hier losgelassen worden sind. Angriffe auf Migranten oder jeden, der nicht wie „wir“ ist, sind im Anstieg begriffen. In den USA feierten Neonazis die Wahl von Trump mit erhobenen Armen nach Art des Hitlergrußes. Der Ku Klux Klan begrüßte seine Wahl. Das ist alles andere als „business as usual“. Natürlich hat all das auch vorher existiert, was sich verändert hat, ist die wachsende Einsicht, dass solche Sichtweisen und Aktionen als akzeptabel hingenommen werden.
Vor zwei Wochen brachte die Gleichheits- und Menschenrechtskommission in Großbritannien ihre Betroffenheit über zunehmende Hassattacken seit dem Brexit-Votum in einem Brief an alle Parteien zum Ausdruck und forderte die Politik zu „korrekten Informationen und einer respektvollen Debatte“ auf. In Zusammenhang mit einem anderen Mord, dem an Arkadiusz Jozwick aus Polen verurteilte die Kommission rassistische, antisemitische und homophobe Angriffe auf den Straßen sowie Berichte, nach denen Hijabs weggezogen worden sind als „Schandfleck“ unserer Gesellschaft.
Das sind schlimmste Auswirkungen des Rechtspopulismus, die manche auch als faschistisch bezeichnen. Man muss nur sehen, wer den Brexit und die Wahl von Trump alles begrüßt hat, um besorgt zu sein: UKIP in Großbritannien, dessen Vorsitzender Nigel Farange enge Verbindungen zu Trump hat, Marine Le Pen’s Front National in Frankreich und Gerd Wilders Freiheitspartei in den Niederlanden sowie die AfD in Deutschland, um nur einige zu nennen.
Toxische Mischung
Es ist wahr, dass weite Teile der Gesellschaft, ganze Städte und Gemeinden unter den Auswirkungen der neoliberalen Politik zu leiden haben, die schon vor mehreren Jahrzehnten zum Credo der Ökonomie geworden ist – vor allem in der anglo-amerikanischen Welt. Hinzu kam die anhaltende Sparpolitik im Gefolge der Bankenkrise 2008, die von Bankern verursacht worden war, die sich als Herren der Welt gerierten bis zum Crash, der dann vom Staat abgefangen werden musste. Erneut war es nicht die Spitze, sondern das unterste Drittel der Gesellschaft, das zu leiden hatte und auch weiterhin leidet.
Zusammen mit dem Mangel an Transparenz in einigen EU-Institutionen ergibt dies die perfekte toxische Mischung, von der die rechtspopulistischen Parteien profitieren, indem sie den öffentlichen Ärger für ihre eigenen Ziele benutzen. Über die Verdienste der EU lässt sich streiten – aber sie hat Verdienste, das grundlegendste besteht im Ziel ihrer Gründerväter, nie wieder Krieg von europäischem Boden ausgehen zu lassen. Darüber wurde aber gerade nicht debattiert, sondern es erfolgte ein auf Lügen gestützter Appell an die schlimmsten Vorurteile der Menschen, die gegen die herrschenden Elite und die Folgen der Globalisierung angehen wollten.
Diese Eliten tragen eine schwere Last der Verantwortung, diese Belange nicht zur Kenntnis genommen zu haben (siehe dazu den NNA-Bericht über die Analyse von Rob Smith zur Wahl in den USA „The morning after“. )
Die Globalisierung wird nicht verschwinden. Wir leben in einer veränderten Welt, in der die Sicherheit von Arbeitsplätzen und Renten nicht mehr gegeben ist. Es stellt sich die Frage, wie die Globalisierung gestaltet werden kann, damit alle Teile der Gesellschaft von ihr profitieren, nicht nur die multinationalen Konzerne.
Nachdem fremdenfeindliche Vorurteile salonfähig geworden sind, sehen wir die Konsequenzen dieser Entwicklung: gespaltene Gesellschaften, in denen Einwanderung und Einwanderer eine bequeme Entschuldigung für alles sind, was in der Gesellschaft falsch läuft. Es ist dabei unwichtig, ob diese These stimmt oder nicht. In Großbritannien passt es in die Narrative der Rechtspopulisten, dass der Brexit der einzige Weg ist, um Großbritannien wieder „groß zu machen“. Differenziert zu argumentieren ist schwierig geworden. Ein Nationalismus im allerschlimmsten Sinn des Wortes breitet seine Fangarme aus.
Was den Ausstieg Großbritanniens aus der EU anbetrifft, so zeigt die Vehemenz, mit der jeder als Volksfeind attackiert wird, der den Nutzen des Brexit infrage stellt, die Unsicherheit, die unter den Brexit-Positionen verborgen ist, das endlos wiederholte Mantra des „klaren“ Sieges gründet auf sehr brüchtigen Fundamenten. Wenn es nur oft genug wiederholt wird, werden es die Leute schon glauben.
Alles in allem ist ein Vorsprung von vier Prozent (52 zu 48%) konzentriert auf England und Wales alles andere als überwältigend. Denn 17 Millionen haben dafür gestimmt, die EU zu verlassen und 16 Millionen dagegen. Von allen Wahlberechtigten waren nur 37% dafür zu gehen.
So hat kaum „Großbritannien“ dafür gestimmt, die EU zu verlassen. In Schottland, Nord-Irland und London stimmten viel bedeutendere Mehrheiten dafür zu bleiben. In diesen Regionen und in der multiethnischen Metropole werden Immigration und enge Verbindungen zu Europa als Segen und nicht als Bedrohung wahrgenommen.
Postfaktisch
Die Versuche, die Debatte über den Brexit und darüber, welche Form er annehmen soll, zu beenden, sind extrem undemokratisch. Als der High Court urteilte, dass das britische Parlament mitzureden habe beim Verlassen der EU anstatt zu erlauben, dass einfach nur die Regierung den Austritt erklären kann, erinnerte die Sprache in einem Teil der Medien an diejenige von totalitären Regimen in Vergangenheit und Gegenwart.
„Feinde des Volkes“ schrie z.B. die Daily Mail auf unter einem Foto der drei Richter. Es ist nur ein kurzer Schritt von den „Feinden des Volkes“ zu „Hängt sie auf“. Was kommt als nächstes – die Richter entlassen oder einsperren, die Anwälte, Staatsbediensteten, Lehrer und Journalisten, die nicht auf der Brexitlinie sind und sie ins Gefängnis werfen? Die Türkei ist ein gutes Beispiel für ein Land, das schon sehr weit heruntergekommen ist auf diesem dezidiert autoritären Weg.
Wir sollten uns über solche Ausbrüche wie in der Daily Mail nicht wundern, aber was viel mehr betroffen macht oder auch schockiert, ist die Antwort – oder vielmehr ihr Fehlen – von Seiten der britischen Regierung. Liz Truss, deren Aufgabe als Justizministerin darin besteht, die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen, hat lange gebraucht, bis sie eine lauwarme Verteidigung der Richter zustande gebracht hat unter Druck. Premierministerin Theresa May hat sich kaum mehr aus dem Fenster gelehnt, um die Richter zu verteidigen gegen den Vorwurf, ihr Urteil wäre nicht auf Recht und Gesetz, sondern auf Politik gegründet.
Ironischerweise war das zentrale Argument der Brexitanhänger, dass die Soveränität aus Brüssel zurückgeholt werden müsse zum britischen Parlament und zu den britischen Gerichten. Das aber nur solange – so scheint es – wie Parlament und Gerichte das tun, was ihnen gesagt wird. In der in Wahrheit komplexen Debatte darüber, wer der Träger der Souveränität nun ist auf verschiedenen Ebenen, kann es keinen Zweifel darüber geben, dass in dem Berufungsverfahren der Regierung vor dem Supreme Court das höchste Gericht genau so heftig wie der High Court angegriffen werden wird, wenn es gegen die Regierung urteilt.
„Post-truth“ (postfaktisch) ist von den Oxford Dictionaries zum Wort des Jahres gewählt worden – definiert als „bezogen auf oder in der Bedeutung von Umständen, bei denen objektive Fakten weniger einflussreich sind in ihrer Wirkung auf die öffentliche Meinung als Appelle an Gefühle und persönliche Überzeugungen“. Objektive Fakten sind offensichtlich ein sehr altmodisches Konzept, wenn eine gute Lüge oder der Appell an die niedrigsten Instinkte der Menschen geeigneter sind, um das gewünschte Ergebnis hervorzubringen.
Das Problem liegt darin, dass dieser Geist – einmal aus der Flasche herausgelassen – nicht mehr so schnell zurückgeholt werden kann.
END/nna/cva
Bericht-Nr.: 161210-01DE Datum: 10. Dezember 2016
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