Nachrichtenbeitrag

Durch Achtsamkeit zur Stärkung der Ich-Kraft beitragen

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Von NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz

Kongress in Berlin thematisierte Zusammenhang von Meditation und Gesundheit auch durch viele praktische Übungen.

BERLIN (NNA) – Immer mehr Menschen interessieren sich für Meditation – viele auch unter gesundheitlichen Gesichtspunkten. Mit dem Zusammenhang zwischen beidem befasste sich ein Kongress Ende März in Berlin.

Organisiert wurde der Kongress vom Patientenverband Gesundheit Aktiv sowie dem Institut für Anthroposophische Meditation. Rund 230 Besucher waren der Einladung der beiden Veranstalter gefolgt, Ärzte, Therapeuten und Interessierte kamen in der Freien Waldorfschule Kreuzberg zusammen. Drei Tage lang wurde gemeinsam geübt, diskutiert, wurden Erfahrungen zum Thema Meditation ausgetauscht.

Zu Beginn befassten sich die Gäste in Kleingruppen mit der zentralen Frage, was unter Gesundheit genau zu verstehen ist. Der Austausch erbrachte viele unterschiedliche Varianten des Begriffes. Gesundheit habe auch mit der Beziehung zur Welt zu tun, hieß es zum Beispiel. Eine entsprechende These hatte auch Dr. Stefan Schmidt-Troschke, Geschäftsführer von Gesundheit Aktiv in seiner Einführung an den Anfang gestellt: Die anthroposophische Meditation sei dabei an dem Thema „Ich und die Welt“ interessiert.

Zahlreiche Vorträge und Workshops sollten zu einem erweiterten Verständnis der Wirkungen der Meditation auf die Gesundheit des Menschen beitragen.

Wandlung im Erleben

Die Teilnehmer erlebten beispielsweise durch gemeinsame Meditation an einem Vers von Rudolf Steiner, dem Siebenzeiler „Ecce Homo,“ der mehrmals während der Tagung aufgegriffen und dabei intensiviert wurde, welche Wandlung im Erleben durch Meditation durch die Wiederholung möglich werde. Die meditative Wirkung fange an mit der Sinneswahrnehmung, wichtig sei aber auch jeweils der Nachklang. Da zeige sich oft erst die Wirkung im Bewussten. Kein Nachdenken sei dabei gemeint, sondern ein Nachfühlen, was da nachklinge, erläuterten dazu die Referenten Rudi Ballreich und Katharina Dehmelt.

Katharina Dehmelt, Dozentin am Institut für Anthroposophische Meditation beschrieb diesen Zusammenhang auch mit anderen Worten: einen Raum freimachen, um sich zu öffnen und dabei etwas zu erfahren – dabei aber bei sich selbst zu bleiben. So könne Heilung erlebt werden im Sinn eines Ganz-Werdens. Ein autonomes Bewusstsein habe nur der Mensch, die Ich-Kraft trenne ihn einerseits von der Welt und ermögliche es andererseits, sich mit ihr zu verbinden. Der Sinn der Krankheit zeige sich beim Menschen auch darin, dass durch sie eine Entwicklung ausgelöst werde.

Meditation bedeute auch, mit der Kraft des Ich im Körper präsent zu sein. Durch die Aufmerksamkeit, das Spüren von Rhythmus im Ein- und Ausatmen werde die Ich-Kraft zur Quelle von Heilung. Durch das Atmen finde man zur Ruhe, es komme zu einer Befreiung auch im Bewusstsein durch Loslassen, man könne dabei Unwichtiges vorbeifließen lassen.

Auch in den Vorträgen wurde deutlich, dass sich anthroposophische Meditation als ein freies Geschehen nicht nur auf körperliche Gesundheit bezieht, sondern auch auf die Verbindung mit dem tragenden Untergrund der Erde, mit der sich öffnenden Weite des Himmels und auch mit dem Menschsein, so formulierte es Rudi Ballreich, Mitarbeiter der Trigon Entwicklungsberatung.

In der Herausforderung wachsen

Michaela Glöckler, Leiterin der Medizinischen Sektion am Goetheanum in Dornach griff diese Verbindung zum Ganzen ebenfalls auf, sie sprach zum Thema „Verantwortung übernehmen“. Jeder gute Gedanke gestalte die Welt, denn es werde auch für die Erdentwicklung Verantwortung übernommen, wenn man um die Wahrheit ringe, betonte Glöckler. Die Ich-Organisation sei das System, das differenziere und integriere, so dass der Mensch ganzheitlich werden könne.

Ich-Entwicklung werde auch durch Angst, Hass und durch Krankheit bewirkt, durch alles, was bis an den Rand des Erträglichen gehe. Der Mensch ändere sich, wenn das Ich durch ein Nadelöhr hindurch müsse, was einer Initiation gleich komme. Für die Therapeuten unter den Tagungsgästen stellte Glöckler ein Buch vor, in dem die Meditationsanleitungen von Rudolf Steiner für die einzelnen Berufsgruppen zusammengefasst sind.

Rudi Ballreich erläuterte in seinem Vortrag Strategien der Stressbewältigung. Er gliedert das Erleben in diesem Zusammenhang in drei Zonen, erstens die Sicherheitszone, in der man sich entspanne, sich regeneriere und sich mit vertrauten Menschen zusammen wohlfühle. An zweiter Stelle stehe die Herausforderungszone, hier sei man aufgewacht, um die Herausforderung zu meistern, dazu gehöre auch die Gewohnheitszone, in der man auf Bekanntes träfe, das zu machen ist. Die Herausforderungszone ermögliche aber auch zu wachsen, wenn man mit der Wachheit „im flow“ sei.

Stress entsteht nach Ballreichs Worten dann, wenn Herausforderung umschlägt in Überforderung. Beim Erleben dieser Situation fühlt man sich ohnmächtig, das Ich wird überrollt und erdrückt, man hat keine Gestaltungsmöglichkeit mehr. Dies sei dann die dritte, die Panikzone, der Körper gerate in Anspannung, er ziehe sich zusammen, da die Angst überwiegt. Das Gefühl der Panik “Ich breche zusammen“ führe zu archaischen Reaktionen des Flüchtens oder Kämpfens. Eine weitere Reaktionsmöglichkeit sei, sich zu retten – „nichts wie weg“ – oder auch „freeze“, d.h. sich tot zu stellen – eine Haltung, bei der das Ich nicht mehr in Aktion trete.

Kräfte des Aufwachens fördern

Als Gegenbild zeichnete Ballreich: in der Situation präsent zu sein, sie mit einem klaren Bewusstsein anzuschauen und zu einer bewusst gewählten Reaktion zu kommen. Ausgehend von Aussagen von Rudolf Steiner ermutigte Ballreich dazu, Ohnmachtsgefühle anzunehmen, da dadurch Kräfte des Aufwachens gefördert würden. Dabei solle man nicht gleich handeln, sondern bei dem „Ich bin“ bleiben.

Im Workshop von Rudi Ballreich gab es dann praktische Übungsmöglichkeiten dazu. Jeder für sich lenkte die Aufmerksamkeit im eigenen Rhythmus auf das Atmen. Nebensächlichkeiten konnten so ohne Beachtung vorbeiziehen. Man lernte, sich mit dem eigenen Bewusstsein auseinanderzusetzen. So wurde gezeigt, wie sich Stresssituationen stoppen lassen, die den Willen stur sein und das Verhalten stereotyp werden lassen.

Prof. Harald Walach, Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitsforschung an der Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder sieht in der Meditation eine „Achse“, die die physiologische, materielle Seite des Menschen mit dem Geistig-Psychischen verbindet. Im Stillwerden der Gedanken entstehe ein Gespür für das Ganze, für seine Präsenz. Dies wiederum habe Einfluss auf die körperliche Ebene. In der Achtsamkeit, dem Sich-Erinnern an das, was ist im Jetzt, würden Veränderungen im Gehirn bewirkt, die sich auf die Gesundheit auswirken, erklärte Walach.

Inner Hygiene

Walach verglich die Wirkung der Meditation auf die Gesundheit mit dem Fortschritt, der mit dem Händewaschen in der Hygiene der Medizin erzielt worden ist. Meditation bedeute einen neuen Schritt für die Zukunft in Richtung auf eine innere Hygiene – geübt werde sie etwa, wenn man nicht vor dem Fernseher, sondern auf einem Meditationskissen sitze. Durch das Abschalten von Sinnesüberflutung könne eine Kultur des Geistes entstehen.

Wolfgang Rissmann war über 25 Jahre leitender Arzt der Friedrich- Husemann-Klinik bei Freiburg , er berichtete, wie Kranke in der psychiatrischen Klinik einen Schutzraum suchen vor eigenen Stimmungen, die sie plagen. Da gelte es, die Initiativkraft anzuregen. Seiner Erfahrung nach würden innere Übungen, die auf eigenen Wunsch erfolgen, gerne angenommen und tragen zur Heilung bei. Er sprach auch über die Rückschauübungen der Anthroposophie, die in besonderer Weise den Willen stärken. Sie schaffen Abstand zu sich selbst und seien gleichzeitig eine besondere Hilfe bei seelischer Erschöpfung und Auszehrung. Den Abstand zu finden, sich selber wie aus Entfernung anschauen, verstärke die Ichkraft.

Referent Jaap van de Weg ist Arzt für Psychosomatik und Entwicklungsfragen und beschäftigt sich verstärkt mit Biographie und dem Verständnis menschlichen Schicksals. Er beleuchtete den Zusammenhang zwischen Fakten und Emotionen, letztere sollten nicht ignoriert , sondern integriert werden. Das Geschehen lockere sich auf, die Fakten würden weniger wichtig. Zuerst nehme man mit dem physischen Leib wahr, erst dann werde die Wahrnehmung mit der Seele verwoben. Van de Weg erläuterte die Schritte vom Ich in der Seele zum Ich im Geist.

Abschließend wurde die Berliner Tagung als Katalysator gesehen dahingehend, dass Meditation zu einer kulturprägenden Kraft werden kann. Gemeint sei dabei die Kultur, die als Anstrengung über das biologische Sein hinausgehe. Dadurch könne Meditation zu einem evolutionären Schritt werden. Kultur sei auch in dem Sinne, zu verstehen, dass Meditation die Gesundheit stärke um die Lebensführung bewusst zu gestalten und der Mitwelt empathisch zu begegnen. Auch Veranstalter Dr. Stefan Schmidt-Troschke äußerte die Hoffnung, dass die Tagung dazu beitragen möchte, eine solche Entwicklung auf den Weg zu bringen.

Eine Fortführung der Thematik ist vorgesehen in einer Veranstaltungsreihe an der Alanus-Hochschule mit der Fortbildungs- und Forschungsreihe: Meditation und Gesundheit

END/nna/wil

 Bericht-Nr.: 160424-01DE Datum: 24. April 2016

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