Nachrichtenbeitrag
Drei Konzerne beherrschen über die Hälfte des Saatgutmarkts
BOCHUM/KASSEL (NNA) – Der Konzentrationsprozess auf dem kommerziellen Saatgutmarkt schreitet immer weiter voran: Fast 75% dieses Marktes werden weltweit von zehn Agrarkonzernen beherrscht, allein die drei größten haben heute schon einen Marktanteil von 50%. Damit verbunden ist ein steigender Verlust an Vielfalt bei den Kulturpflanzen, wie auf der 13. Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft (ZSL) Ende Januar in Bochum festgestellt wurde. Auf der Tagung wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die Vielfalt und Fruchtbarkeit der Sorten aus ökologischer Züchtung langfristig durch Gemeingut- oder Open-Source-Modelle gesichert werden kann.
150 Teilnehmer waren zur Tagung ins Anthroposophische Zentrum nach Kassel gekommen. „Das große Interesse spiegelt die Brisanz der Thematik Gemeingut im Zusammenhang mit der ökologischen Pflanzenzüchtung wider“, so Oliver Willing von der ZSL bei der Begrüßung der Gäste. Das Thema „Ökologische Pflanzenzüchtung im Spannungsfeld zwischen Gemeingut und Saatgutwirtschaft“ hatte nicht nur Landwirte, Gärtner und Züchter, sondern auch Forscher und interessierte Verbraucher angesprochen. In Vorträgen und Arbeitsgruppen wurde darüber diskutiert, inwieweit sich der Begriff Gemeingut oder Commons in den Bereich der Ökozüchtung übertragen lässt.
Silke Helfrich, Commons-Aktivistin und Publizistin, umriss in ihrem einführenden Vortrag kurz die Geschichte der Commons und ging auf die vielen Facetten des Begriffes ein. Natürliche, soziale und kulturelle Ressourcen, die niemand allein hergestellt habe – vom Wasser bis zur Software – sollten als Commons verstanden werden. Auch Saatgutsorten gehören nach Helfrich dazu. Sie könnten deshalb nicht Eigentum einzelner sein. „Saatgut folgt einer Logik der Fülle: Es wird mehr, wenn wir es teilen“, so Helfrich. „Werden solche Güter mit individuellen Eigentumsrechten belegt, wird diese Logik unterbrochen.“
„Die Entwicklung der Sorten war ein Jahrtausende dauernder Prozess, an dem rund 300 Generationen beteiligt waren“, erläuterte Dr. Hartmut Spieß von der Getreidezüchtungsforschung Dottenfelderhof. Die Früchte dieser Kulturleistung der Menschheit hätten sich erst in der neueren Gegenwart Saatgutfirmen angeeignet. Heute gehe die Tendenz dahin, durch Züchtungsmethoden wie der Hybridzüchtung, aber auch durch genetische Veränderung des Erbmaterials und durch Patentierung die Besitzansprüche an Sorten anzumelden. In der Konsequenz – da waren sich Tagungsteilnehmer und Vortragende einig – sei es notwendig, neue Wege zu beschreiten und alternative Modelle zu entwerfen. Nur so könne die Sortenvielfalt als Gemeingut erhalten werden und die weitere Konzentration in wenigen Händen multinationaler Konzerne aufgehalten werden.
Ein interessantes Open-Source-Modell für Saatgut stellte Dr. Johannes Kotschi vom Verein Agrecol vor. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Gregor Kaiser hat er ein Diskussionspapier entworfen, in dem eine General Public Licence und Materialübertragungsvereinbarungen nach dem Vorbild der Creative Commons für Saatgut vorgeschlagen werden. Diese Maßnahmen könnten absichern, dass Sorten als Gemeingut erhalten bleiben und Missbrauch ausschließen. Die Idee, eine Initiative ins Leben zu rufen, die ein an die Anforderungen der ökologischen Züchtung angepasstes Open-Source-Modell entwickelt, erntete großen Beifall. Anzustreben sei auch, dafür später einen institutionellen Rahmen z.B. einen gemeinnützigen Verein zu schaffen.
Einen breiten Raum in der Diskussion nahm die Frage der Finanzierung ökologischer Züchtung ein. Tendenziell sind die bestehenden Initiativen chronisch unterfinanziert, um der enormen Fülle der Aufgaben in Sortenerhaltung und vor allem Sortenentwicklung nachzukommen. „Wertschöpfung braucht Wertschätzung, um weitere Entwicklung zu ermöglichen“, sagte Gebhard Rossmanith, geschäftsführender Vorstand der Bingenheimer Saatgut AG. Das Unternehmen geht bereits beispielshafte Wege, um von einer Refinanzierung zur Vorfinanzierung der Züchtung zu kommen. „Unser freiwilliger Sortenentwicklungsbeitrag an den gemeinnützigen Verein Kultursaat leistet zusammen mit Schenkgelder von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und anderen Stiftungen einen Beitrag, um Sortenentwicklung und Biodiversität zu gewährleisten“, so Rossmanith. Der Verein für Züchtungsforschung und Kulturpflanzenentwicklung auf biologisch-dynamischer Grundlage versteht sich als gemeinnütziger Verwalter der Sorten, die von einem Netzwerk von Züchtern dezentral entwickelt werden.
Als erfreulich bezeichnete Rossmanith den Trend, dass Bio-Verbände und Handel, in ersten Ansätzen auch Verbraucher, sich ihrer Verantwortung in Bezug auf das Gemeingut Saatgut bewusst werden. Oliver Willing würdigte an dieser Stelle die Leistung der vielen Spender an die Zukunftsstiftung Landwirtschaft und bedankte sich bei den Anwesenden: „Ohne diese freiwillige Selbstverpflichtung ist die ökologische Pflanzenzüchtung auch in Zukunft nicht möglich“.
End/nna/ung
Bericht-Nr.: 130205-03DE Datum: 5. Januar 2013
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