Nachrichtenbeitrag

Diener der fortschreitenden Geister

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Von NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele

Peter Selg stellte in Dornach seine dreibändige Steiner-Biographie vor. NNA-Korrespondent Wolfgang G. Vögele nahm an der Buchvernissage teil und gibt hier seine Eindrücke wieder. NNA wird demnächst eine Rezension des Werkes bringen.

DORNACH (NNA) – Mehrere hundert Interessenten versammelten sich am 8. Januar 2013 im Schreinereisaal des Goetheanums, wo Peter Selg einen Vortrag über Entstehungsgeschichte und Intentionen seiner soeben erschienenen dreibändigen Steiner-Biographie hielt. Der Autor verstand es, die Neugier an diesem umfangreichen Werk zu wecken, so dass nicht wenige der Zuhörer am Büchertisch die Gelegenheit wahrnahmen, es zu erwerben.

Schon vor Jahren hatte der Leiter des Ita Wegman-Instituts und Professor an der Alanus-Hochschule den Entschluss gefasst, eine Biographie Rudolf Steiners zu schreiben, die den inneren Werdegang dieses „Geistesriesen“, wie ihn sein Schüler Alfred Meebold einmal nannte, nachzeichnen sollte.

Selgs Vorhaben gewann neue Aktualität, nachdem im Jubiläumsjahr 2011 drei Biographien ein breites öffentliches Echo gefunden hatten, die Steiners Leben und Werk teilweise nach historisch-kritischer Methode untersuchten (M. Gebhardt, H.Ullrich und H. Zander) die aber nach Ansicht Selgs nicht nur am Wesentlichen, nämlich der spirituellen Dimension, vorbeigingen, sondern auch zu einer „Deformation“ des Steinerbildes in der Öffentlichkeit beitrugen.

Anders als bei Helmut Zander, der seinem Untertitel zufolge „die“ Biographie Steiners liefern wollte, bezeichnet Selg sein nunmehr vorliegendes Werk trotz seines Umfangs als einen bescheidenen „Beitrag“. Zwei bedeutende Persönlichkeiten hätten bei seiner Biographie Paten gestanden: Andrej Belyj, dessen Todestag man heute begehe, sei mit seinem in Sowjetrussland entstanden Buch „Verwandeln des Lebens“ Steiners erster großer Biograph geworden. Der zweite sei Christian Morgenstern, der für das volle Erfassen der Anthroposophie die „lebendige persönliche Bürgschaft Rudolf Steiners“ benötigte. So sei es auch Selg ergangen. Immer wieder habe er sich in die Memoirenliteratur vertieft, um das Werk Steiners mit dessen Persönlichkeit zu verknüpfen. Diese Erinnerungen von Schülern Steiners seien neben allem Anekdotischen auch ernst zu nehmende Zeugnisse Verstorbener, denen gegenüber man zu Respekt verpflichtet sei.

Forscher wie Kurt Franz David hätten ebenso zur Erhellung von Steiners Lebensgang beigetragen wie die jahrzehntelange Forschungsarbeit der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung. Selg erwähnte als Beispiel die „Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe“ und würdigte namentlich die Arbeiten von Hella Wiesberger und Alexander Lüscher.

Nicht letzte Privatgeheimnisse schamlos zu enthüllen, sondern Steiner für kommende Generationen lebendig werden zu lassen, sei sein Anliegen gewesen, meinte Selg. Auch sein Vorläufer, der Steinerbiograph Christoph Lindenberg, habe den Schwerpunkt manchmal noch zu sehr auf das Exoterische gelegt. Spätere Jahrhunderte würden Steiners Vita und ihre Brisanz besser verstehen, so wie sich auch unser Goethebild im Laufe zweier Jahrhunderte immer wieder erweitert und verändert habe. Allein Steiners zeitgeschichtliche Warnungen seien noch viel zu wenig gewürdigt worden: Er habe viele Fehlentwicklungen politischer und ökonomischer Art präzise vorausgesehen (etwa die Finanzmisere). Steiners Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie seiner Zeit sei kein Beleg für Demokratiefeindlichkeit, sondern eine realistische Einschätzung der weiteren Entwicklung gewesen. In einem Jahrhundert der Extreme, das zum Totalitarismus neigte, habe Steiner konkrete Wege zur Überwindung dieser Gefahren aufgezeigt.

Selg meinte, sein Buch biete exoterisch nichts Neues, etwa aus Steiners Privatleben. Sondern es wolle zeigen, wie Steiner sprach und handelte, gemäß der Maxime in dessen Autobiographie: „Allein mir scheint, daß dies Persönliche durch die Art, wie man spricht und handelt, zur Offenbarung kommen muß, nicht durch das Hinblicken auf die eigene Persönlichkeit.“

Steiners Zeitgenossen wie etwa Wilson, Ludendorff, Max von Baden lebten heute nur noch blass und abstrakt im Bewusstsein der jungen Generation. Um diese Persönlichkeiten lebendig werden zu lassen, habe er manches Zeitgeschichtliche studieren müssen.

Keine Polemik

Selg hatte ursprünglich geplant, sich im Buchtext selbst mit den Steinerbiographen von 2011 auseinanderzusetzen. Das hätte jedoch im Gesamtduktus störend gewirkt. Dann habe er erwogen, diese Kritiker wenigstens in den Fußnoten zu nennen. Aber auch ein Nebeneinanderstehen von Namen verdienstvoller anthroposophischer Autoren und Namen wie Gebhardt wäre ihm vorgekommen wie eine Verletzung der Verstorbenen und eine unberechtigte Aufwertung der Kritiker. Zuletzt überlegte er, diese (notwendige) Polemik in das Vorwort zu verbannen, doch auch das sei ihm nicht möglich gewesen. So habe er ganz auf Polemik verzichtet, jedoch wenigstens ein paar Namen von Kritikern genannt. Er werde jedoch einmal in einer separaten Publikation den „Deformationen“ Steiners entgegentreten, kündigte Selg an.

Vieles könne widerlegt werden, so etwa Mirjam Gebhardts Behauptung, Steiner habe sich vor dem Abhalten des Nationalökonomischen Kurses gezwungen gesehen, erst einen “Crashkurs“ in diesem Fach zu absolvieren, um dann die Vorträge aus der Tasche zaubern zu können. Wahr sei hingegen, dass sich Steiner seit den 1880er Jahren eingehend mit sozialen und ökonomischen Theorien beschäftigt habe.

Selbstzeugnisse ernst nehmen

Selg habe Steiners Intentionen herausarbeiten wollen und daher – im Gegensatz zu historisch-kritischen Biographen – auch die Selbstzeugnisse als historische Dokumente ernst genommen. Schon der Philosoph Hamann habe Kant ermahnt: „Sie müssen mich fragen, nicht sich, wenn Sie mich verstehen wollen.“ Selg habe sich auch an den Empfehlungen orientiert, die Steiner für das Schreiben von Biographien gab: es solle ein Grundton der Liebe und Güte vorherrschen. Steiner selbst hat mehrere Biographien verfasst (über Schopenhauer, Uhland, Wieland usw.), in denen er versuchte, dieses Prinzip zur Geltung zu bringen. Ziel der Biographik sei es, den Selbstzeugnissen möglichst viel Raum zu geben. Die anglo-amerikanische Historiographie sei auf diesem Gebiet viel weiter als etwa die deutsche.

Kontinuität statt Kehrtwendungen                             

Beim Erarbeiten seines Werkes seien ihm die oft behaupteten weltanschaulichen Brüche und Kehrtwendungen Steiners immer mehr in den Hintergrund getreten und einem deutlichen Erlebnis der Kontinuität gewichen. Der schon als Kind spirituell hochbegabte Steiner habe in seiner Wiener Zeit unter dem Materialismus seiner Jugendfreunde gelitten. In Weimar und Berlin habe er die Realität der geistigen Welt neu erfahren, indem er durch Leiden und existentielle Krisen gehen musste. Erst dadurch konnte sich das Geistige mit seinem ganzen Wesen verbinden. Auch einem früh Initiierten bleiben leidvolle Erfahrungen nicht erspart, so Selg. Die zielgerichtete Kontinuität Steiners, mit der er sich gegen alle Widerstände behauptete, habe auf Selg einen überwältigenden Eindruck gemacht.

Zukunftsbezogenheit

Beeindruckend an Steiner sei auch das „unerschütterliche Vorwärts“ in seinem Wirken, das schon Albert Schweitzer gewürdigt habe. Wenn auch vordergründig vieles „schief gegangen“ sei (etwa die Dreigliederungs-Kampagne) und die Gegner ihn von allen Seiten bekämpften, habe sich Steiner doch immer als Diener der fortschreitenden Geister gefühlt. Er sei sich bewusst gewesen, dass viele seiner Anregungen erst in Zukunft zum Tragen kämen.

Wichtig sei ihm auch die anthroposophische Gemeinschaft (Gesellschaft) gewesen. Aus gutem Grund habe er die Botschaft der Anthroposophie als „Welten-Pfingsten“ bezeichnet.

Mit einem Gedicht von Albert Steffen schloss der Redner seine Ausführungen.

Fragen wurden keine gestellt, vielleicht deshalb, weil niemand von den Anwesenden schon Selgs Werk gelesen hatte. Wie aus den „Mitteilungen aus dem anthroposophischen Leben in der Schweiz“ hervorgeht, wird Peter Selg demnächst eine Reihe von Vorträgen in verschiedenen Schweizer Städten halten. Davon erhoffe man sich auch „die Korrektur mancher Entstellung, die durch die 2011 publizierten Biographien eingetreten ist.“

END/nna/wgv

Peter Selg: Rudolf Steiner 1861-1925. Lebens-und Werkgeschichte. 3-bändige Kassette, 2148 Seiten, 220 Abbildungen. Arlesheim: Verlag des Ita Wegman Instituts. 2012. CHF 210.-; EUR 169.- ISBN: 978-3-905919-27-1

Bericht-Nr.: 130111-01DE Datum: 11. Januar 2013

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Peter Selg (Foto: © Charlotte Fischer)
Die drei Bände der Steiner-Biographie: 1861-1914, 1914-1922 und 1923-1925