Nachrichtenbeitrag
„Die Hühner sind da – das ist die Nachricht des Tages“
Wie sieht der Alltag in einem Wohnprojekt in Corona-Zeiten aus? LeNa in Lüneburg führt Krisentagebuch und ein neuer Film informiert über die Arbeit der Stiftung Trias.
Wie gehen Wohnprojekte mit der Corona-Krise um? Die meisten der Projekte finden „Mittel und Wege, um der Krise zu begegnen. Das macht Mut,“ schreibt die Stiftung Trias in ihrem neuesten Newsletter. Die 2002 gegründete Stiftung unterstützt und fördert innovative Wohnformen.
HATTINGEN (NNA) – Wer genauer wissen will, ob Wohnprojekte möglicherweise weitergehende Antworten auf die Corona-Krise finden als im Jeder-für-sich-Wohnen, kann dies auf der Homepage eines Wohnprojekts in Lüneburg studieren. Seit dem 21.März führt das Wohnprojekt LeNa dort ein Krisentagebuch.
Die Abkürzung LeNa steht für „Lebendige Nachbarschaft“. Seit dem Sommer 2015 leben hier 36 Parteien zusammen, 24 Kinder, 54 Erwachsene, die jüngste ist zwei Jahre alt, die Älteste 80, heißt es auf der Homepage von LeNa. Die Bewohner und Bewohnerinnen verbindet der Wunsch, in einer verbindlichen, verlässlichen Nachbarschaft zu leben, so der Anspruch des Wohnprojekts. „Wir wollen selbstbestimmt unser Zusammenleben organisieren. Wir versichern uns, aufmerksam füreinander da zu sein und uns gegenseitig Hilfe sowie Schutz und Trost in schwierigen Lebenslagen zu geben“.
Das Krisentagebuch des Projekts handelt davon, wie Kinder und Erwachsene sich in der Krise unterstützen, gemeinsam nachdenken und die Selbstverwaltung aufrechterhalten. „Wir treffen uns ab jetzt draußen, stellen uns in einem weiten Kreis rund um die Sandkiste auf und beraten: Abstand halten, gegenseitige Hilfe, Veranstaltungen im Gemeinschaftsraum absagen“, heißt es da. Und: „Es wird unheimlich still in der Stadt, auch auf unserem Grundstück“.
Deutliche Vorteile
Als am 16. März in Lüneburg die Schulen schließen und die ersten Erwachsenen schon im Homeoffice arbeiten, zeigt sich, dass das gemeinschaftliche Wohnen in der Krise deutliche Vorteile hat. „Wohin mit den Kindern? Wie schützen wir Alte und Kranke? Einkaufsdienste – für uns als Community eine leichte Übung, das klappt wunderbar“. Aber auch die Nöte der Freiberufler im Projekt werden Thema, die Idee eines Solidaritätsfonds kommt auf.
Immer besorgter verfolgen die Bewohner und Bewohnerinnen die Nachrichten, unter anderem den Blog des Berliner Virologen Christian Drosten. Am Anfang gab es unterschiedliche Meinungen darüber, wie gefährlich das Virus ist. „Die einen waren alarmiert, andere hielten die Sorge eher für übertrieben.“ Nicht zuletzt dank der Fachleute in unserer Community – drei Ärzte und einem Mikrobiologe – landen wir auf dem Boden der Realität“.
Am 17. März um 18:30 versammelt sich das Projekt erstmals zum gemeinschaftlichen Singen im Garten und auf den Balkonen: „Abendstille überall“, „Der Mond ist aufgegangen“. Bei einigen fließen Tränen. Schon einen Tag zuvor hat die dreizehnjährige Marie das Projekt mit einem Motivationsspruch überrascht: „Wenn du nicht an Wunder glaubst, hat du vielleicht vergessen, dass du selbst eines bist.
Nicht alles ist schlecht an der Krise, kann man dann im weiteren lesen, denn die verstärkte Anwesenheit der Bewohnerinnen und Bewohner gibt allen die Möglichkeit, sich besser kennenzulernen.
„Die Hühner sind da“
Am 29.März bringt dann ein ungewöhnliches Ereignis Abwechslung in den Corona-Alltag: „Die Hühner sind da. Das ist gerade DIE NACHRICHT hier bei LeNa, zumindest für die jüngeren (na, und auch durchaus einige von uns älteren). Gestern und heute sieht man immer wieder nicht nur die Kinder, sondern auch nach und nach viele Erwachsene Richtung Hühnergehege schlendern, denn alle möchten unsere neuen Mitbewohnerinnen kennenlernen. Auch jenseits des Zauns bleiben immer wieder Kinder und Erwachsene stehen und schauen interessiert, was da in der Ecke an der Hecke auf unserem Grundstück los ist“.
Auch wenn die Maßnahmen dann Anfang Mai gelockert werden, bleibt das Leben des Wohnprojekts trotzdem eingeschränkt: „(Es) fehlen unsere Plena und Sonntagstreffen, fühlt es sich an als wäre hier die Stopptaste noch halb gedrückt. Es fehlt ein Teil des Miteinanders, des großen Ganzen, und wird nun häufiger besprochenes Thema beim Laubengang- oder Briefkastengespräch. Wichtige Entscheidungen werden per Mail-Abfrage getroffen. Noch war kein schwieriges oder ausführlich zu diskutierendes Thema dabei, aber eine zufriedenstellende (wenn auch funktionierende) Lösung ist das nicht“.
Trotzdem freuen sich alle darüber, dass im Krisentagebuch nach wie vor so viele Texte, Gedanken und Erfahrungen geteilt werden. „Wie durchleben wir diese Zeit? Was macht sie mit uns? Wie bewährt sich unser Wohnprojekt im Ausnahmezustand?“
Anregung für andere soziale Zusammenhänge
Das Alltagsprotokoll soll helfen, den Faden nicht zu verlieren, und später rückblickend den Prozess zu verstehen. Außerdem möchten das Projekt Mut machen, Ideen mit anderen teilen. „Uns im gemeinsamen öffentlichen Nachdenken vorbereiten auf die Zeit DANACH“ heißt es im Krisentagebuch. Könnte das nicht auch eine Anregung für andere soziale Zusammenhänge sein?
Ein neuer Film in Zusammenarbeit mit 3KOMMA3 informiert jetzt über die Arbeit der Stiftung Trias, die z.B. Grundstücke der Spekulation entzieht und sie mithilfe des Erbbaurechts dauerhaft einer sozialen und ökologischen Nutzung zuführt.
2009 hat Trias auch ein Portal eingerichtet, in dem Wohnprojekte und Interessenten zueinander finden können
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 200524-01DE Datum: 24. Mai 2020
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