Nachrichtenbeitrag

„Das Smartphone gefährdet Ihre Unerreichbarkeit“

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Von NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz

Eine Tagung auf Schloss Freudenberg befasste sich mit den Auswirkungen der neuen „digitalen Werkzeuge“ auf Wahrnehmung und Erfahrungen der Nutzer. NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz war mit dabei.

WIESBADEN (NNA) – „Mein Smartphone und Ich“ war der Titel einer Tagung von Schloss Freudenberg, dem Erfahrungsfeld der Sinne und des Denkens in Wiesbaden.

„Brauchen wir neben Sehsinn, Hörsinn, Tastsinn… nun den iSINN? “ war eine Fragstellung dabei. Die Tagung sollte Raum und Zeit bieten für viele Sichtweisen, Perspektiven, Beleuchtungen und Beschattungen, nicht für Belehrung, nicht für Überzeugung, wurde betont.

Gleich einer Zirkusmanege setzte man sich in einen Kreis zum Austausch, in kurzen Berichten aus der Praxis oder dem Denken der Experten aus Kultur, Pädagogik, Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft und der Digitalnatives wurde das Thema beleuchtet. Da akzentuierte Dr. Klaus Wölfling, Psychologische Leitung in der Ambulanz der Spielsucht in Mainz, dass die neuen Medien unser Ich verändern. „Im schlimmen Fall tun die Menschen etwas gegen ihren Willen, haben dabei Kontrollverlust“. Dieses Stadium sei mittlerweile als Krankheit anerkannt. Man spräche davon, dass jeder 100ste Internetabhängig sei. Die Zahl der Alkoholabhängigen sei aber noch höher.

Eine Lehrerin erzählte demgegenüber vom mobilen Lernen in der Grundschule und arbeitet mit Tablets im Projekt MoLe in Limburg. Sie war recht angetan von dieser Möglichkeit, die Kinder hätten Freude am Lernen.

Der Künstler, Kunstpädagoge und Kükelhausexperte Pit Brüssel brachte die Smartphone-Nutzung mit dem Streben nach Selbstwirksamkeit in Verbindung – schließlich passiere sofort etwas, wenn man auf die Tasten des Gerätes drücke. Sein Beispiel aus den Kindergarten, wo auf einem Tisch Fotos gelegt wurden um zu testen, ob die Kinder in ihre Spielecken gehen oder zu den Fotos, brachte eine Überraschung: Viele Kinder gingen zu den Fotos, das war anzunehmen, aber dazu kam, die Kinder strichen über die Fotos, um sie zu vergrößern, offensichtlich gewohnt, mit Fotos so umzugehen.

Bereicherung und Gefahr

Schulleiterin Kathrin Schwartz berichtete über ihre Erfahrung, dass das Smartphone eine Bereicherung sein könne, aber auch eine Gefahr. Es gäbe etliche Probleme, z. B. dass Kinder per App Spiele nutzten, die für sie nicht geeignet sind und deren AGB sie nicht gelesen hätten. Eltern bekämen das ohne Sachkenntnisse oft gar nicht mehr mit. Unterstützende Gespräche seien nötig, Schwartz empfahl eine Stunde pro Lebensalter und pro Woche als Nutzungszeit.

William Bascom bezeichnete sich als einen „Parallel-Denker“. Er berichtete, wie er ganz früh in seinem Leben seine Liebe zu Maschinen entdeckt hat und freute sich, am Computer vom Teilnehmer zum „Teilgeber“ geworden zu sein. 2006 war er maßgebend am World Jump Day beteiligt und erzählte von seinen erheblichen Erfolgen bei der sehr hohen Beteiligung durch das Netz.

Johannes Stüttgen, Meisterschüler von Josef Beuys und Vortragsredner, brachte eher allgemeine Gesichtspunkte in die Debatte ein: Der Mensch habe derzeit in der Entwicklung eine Schwelle erreicht, wo er „mit dem Kopf an der Wand“ steht. Das Höhere des Ichs sei aber die Kunst und sie möchte mit dem Menschen in Verbindung kommen. Die Bedingung dazu sei, dass der Mensch von dieser Wand zurücktrete. Die Ratio bezeichnete Stüttgen als verkürzte Form des Denkens, die ergänzt werden müsse. Die höhere Form von Ratio sei das Denken, und die höhere Form der Technik sei die Kunst, stellt er in den Raum. „Dass wir telefonieren ist das eine. Aber was wir damit bewirken, das andere“, fasste er zusammen.

Wohl-dosierter Einsatz

Verschiedene weitere Fragen tauchten auf zu Handy und Elektrosmog und Gesundheit darunter auch die Frage, was brauchen Kinder, um in eine Balance zwischen Fluch und Segen der Geräte zu finden. Da wurde auch auf die Vorbildfunktion der Erwachsenen hingewiesen. Kann man mit dem Smartphone kreativ sein oder ist es nur ein Vortäuschen? Wird mit mir im Netz gespielt oder spiele ich? Was macht die Nutzung mit den Kindern, abgesehen von der Schädigung des Gehirns, weil die Schädeldecke noch dünner ist?

Erkannt wurde, dass bei Kindern der Erlebnisschatz reduziert wird durch die Mediennutzung und eine Reduktion des sprachlichen Ausdrucks zu bemerken sei. Als Ausgleich seien Bewegung und die Entwicklung der Wahrnehmungsorgane wichtig und notwendig.

Praktische Tipps waren, die Handys wegen der Strahlung nicht vorne in der Hosentasche zu tragen, wenn schon am Körper, dann wenigstens in der hinteren Hosentasche. Die Strahlen störten generell die Zellteilung. Mobilfunkunternehmen seien nicht versichert, wurde dargestellt, was mit potenziellen Gesundheitsschäden zu tun habe, denn keine Versicherung würde die Gesellschaften aufnehmen. Eine Studie habe ergeben, dass im Umkreis von 400 Meter zu Mobilfunkmasten die Krebsgefahr signifikant höher sei.

Diese negativen Aspekte sollten jedoch nicht allein dastehen. Wie im Erfahrungsfeld der Sinne üblich, ging es dann auch um Wahrnehmung und eigenes Erleben. Hier brachte Matthias Schenk, der künstlerische Leiter von Schloss Freudenberg, den von ihm so bezeichneten iSINN ins Gespräch: „Wie entwickeln wir ein Gespür, eine Selbststeuerung für die richtige Verortung, den wohl-dosierten Einsatz, das rechte Maß im Umgang mit den genialen digitalen Werkzeugen? Wie komme ich in ein Zwiegespräch mit mir selbst? “

Tätigkeit oder Abfrage

In einem Extraraum wurde jeder mit Papier, Tinte und einem Eichenfurnierstreifen als Zeichengerät ausgestattet, das etwa 2cm breit war. Buchstaben könne man daraus entwickeln im Zeichnen und Schauen. Zuerst waren mit Tinte und der dünnen Spitze die Astbewegung der Buchenäste zu zeichnen, dann zu schauen, was die Linien, die Zeichen bedeuten könnten. Darin war zu lesen; es konnten Gesten sein oder Partituren.

Die Auseinandersetzung in der Tätigkeit lasse den iSINN wach werden, wurde betont. Mit der vollen Breitseite des Zeichengeräts wurden dann schwungvolle, bewegte Linien gezeichnet. Jede Linie wurde anders, bei jedem. Jeder Teilnehmer erlebte intensiv den Unterschied des Tuns zur Smartphone-Nutzung, die ja darin besteht, „nur auf Tasten zu drücken“.

In einem anderen Erlebniskreis regte Maike Oldenburg eine weitere Übung an, mit einem Menschen ein Interview zu führen. Er solle sich dabei erinnern und komme so innerlich in Bewegung. Je intensiver die Erinnerung, desto mehr „glühe“ der sich Erinnernde, betonte Oldenburg, So helfe man mit den Fragen bei der Geburt der Erinnerungen, die Fragenden erlebten ihre Erinnerungen wie einen Schatz.

Hier werde der Unterschied deutlich zum Abfragen von nur Abgespeichertem.

Als Fazit mit nach Hause zu nehmen war dann auch die Empfehlung, das Smartphone zu behandeln wie ein Buch, indem man sich darauf einlasse, es nutze, lese und dann wieder weglege. Als nützliche Erinnerung an das auf der Tagung Erlebte dienten kleine Reinigungstüchlein für das Display des Smartphones, von Schloss Freudenberg mit dem warnenden Hinweis versehen: Das Smartphone gefährdet Ihre Unerreichbarkeit“.

END/nna/wil

Bericht-Nr. : 151218-07DE Datum: 18. Dezember 2015

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