Nachrichtenbeitrag

Das Goetheanum als Kraftort

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Von NNA-Korrespondentin Edith Willer–Kurtz

DORNACH (NNA) - Michaeliabend, 19 Uhr: Blasinstrumente klingen heraus aus dem Gebäude zu den rund 100 Gästen vor dem Goetheanum, die zum Symposion „Goetheanum Einzueins“ gekommen sind. Weiter weg im Hintergrund hören sie Trompeten, einem Echo ähnlich und dann wieder von innen die neuen Klänge des Trompetentrios. Ausnahmsweise öffnen sich die Tore seitlich und beidseitig schreiten alle hinauf auf die Terrasse, vorbei an den gewaltigen Betonformen ins Innere des Goetheanum, ins Westtreppenhaus.      

Dann tönen Frauen-Stimmen und lassen so den Beton klingen, es hallt über mehrere Etagen, begünstigt durch die Akustik des Orts. Kein Konzertsaal könnte dieses Hörerlebnis bieten. Rhythmen und Klänge von verschiedenen Kulturen erklingen, sphärisch in hohen Tönen von oben herab. Kinderstimmen beschließen als die heranwachsende kommende Generation die Performance mit dem Titel „Tönender Beton“. Von draußen wirft der Himmel in zartblaugrün mit lachsroten Kondensstreifen sein abnehmendes Licht herein, zeigt sich wie Ewigkeit mit Aktualität.

Zu Beginn des Symposions begrüßte Bodo von Plato die Teilnehmer mit dem Hinweis, dass das Michaelifest und „Einszueins“ zusammen gehören. Michael sei die Macht, aus der die Gedanken der Dinge erfließen. Mit dem Sieg Michaels über den Drachen begannen andere Zeiten für den Menschen, die Kraft Michaels sei in den Menschen eingezogen. Das Goetheanum sei auch gebaut worden, um dieser Kraft einen Ort zu geben. Michael warte nun auf Entscheidungen und Tätigkeiten des Menschen.

Historisches trägt Wolfgang Pehnt als Architekturhistoriker zu dieser organischen und kristallinen Ausprägung der architektonischen Schöpfung bei. Im Goetheanum sehe er, wie Vorgänge, die sich im Inneren ergäben, auch die Außenformen prägten und so ein Ensemble der Innen- und Außenform schaffen. Diesen Vorgang nennt er „Tempelkunst der Zukunft“. Gemäß der Aussage dass Fähigkeiten, die im Inneren schlummern, nach außen dringen können, komme so auch eine Art Schattenriss der geistigen Welt zum Ausdruck.

Johannes Nilo, Kurator von „Einszueins“ warf die Frage auf nach den Möglichkeiten, die der Bau als Kunstwerk den Menschen eröffne. Er sprach aber auch den Widerstand an, den das Goetheanum biete. Es sei aus einer Krise geboren und Krise geblieben. Krise aber bedeute griechisch Entscheidung. Nilo hob die Qualität des Gebäudes als begehbare Skulptur hervor und regte an, den Blick auf das eigene Verhältnis zu diesem Bau zu richten.

Das Goetheanum wirke zeitlos und frisch, ebenso alt und von der Vergangenheit geprägt erinnert es an eine Aufbruchstimmung der Moderne, Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Mitarbeiter Rudolf Steiners waren Teil dieses Aufbruchs, indem sie in allen Lebensgebieten tätig wurden. Landwirtschaft, Medizin, Pädagogik, neue Künste wurden vom Goetheanum ausgehend herausgearbeitet, so Nilo.

Die Organisatoren von Einszueins (Johannes Nilo, Philipp Tok und Jonas von der Gathen) wählten als Symposions-Centrum die ehemalige Schreinerei, sie war geistiges Labor, nicht nur der Ort der manuellen Produktion, an dem Möbel, Kleinobjekte und die Innenausstattung des Goetheanum hergestellt worden. In diesem geistigen Labor seien die dahinterstehenden Gedanken diskutiert worden, Steiner habe dort Vorträge gehalten und es seien darin Eurythmieabende gegeben worden, so Nilo. Mit dem diesjährigen Michaeli-Symposion sollen die Ursprünge und Möglichkeiten des Goetheanums erkundet werden einschließlich der physischen und geistigen Räumen dieses Ortes, beschreibt Nilo das Programm.

Das Symposion „Goetheanum Einszueins“ möchten anregen, über die Ursprünge und die Möglichkeiten nachdenken, sozusagen als Medium, um Zusammenhänge freizulegen, erklärt Nilo. Dabei seien drei Zeiten zu beachten: Das Goetheanum in seinen historisch-faktischen Ablagerungen, das Goetheanum in seiner mystischen Dimension und das Goetheanum in seinen gegenwärtigen Aktualisierungen. Ein Ziel des Symposions sei es, Gespräche in Gang zu bringen zu den Fragen: Was ist die Aufgabe der Hochschule im Goetheanum? Wie können Fortschritte im Menschlichen gemacht werden, aber auch: Wie ist der Erhalt des Baus möglich?

Eine Postkartensammlung im Foyer zeigt das Goetheanum von seiner Entstehung bis heute. Im nichtöffentlichen Treppenhaus sind Rahmen aus geschnitztem Hölzern von Eiche, Kirsche oder Pflaume zu sehen, absichtlich ohne Bild, um die Gestaltung zu zeigen als Wandlung von der Außenwelt zum Bild. Dies ist eine Sammlung, die eine Ausstellung im Foyer verdiente, es sei denn, man will dem Besucher auch den heute noch unvollendeten Zustand eines Treppengeländers mit den Entstehungsschritten eines Handlaufes zeigen.

Christiane Haid, Leiterin des Verlags am Goetheanum, lud ein zu einer Betrachtung des Roten Fensters im Westen, geschaffen von Assja Turgenjeff (1928-45) nach der Imagination und Inspiration 1913/14 in Motiven von Rudolf Steiner selbst entworfen. Wenn man das Gebäude betritt, sieht man das Glasfenster nur, wenn man sich umdreht. Steiner habe keine Deutung der Bilder des Fensters gewollt, wurde betont. Lieber solle man sie anschauen, um in Beziehung zu kommen zu dem Gesehenen. So könnten Beobachtungen bis ins Körperliche hineingehen. Das mittlere Fenster ist mit den Worten umschrieben „ich schaue“, links davon „es offenbart“, rechts „es hat geoffenbart“. Michael trete auch in Erscheinung auf dem mittleren Fenster.

Zur Zeit stellt Olaf Auer (1943 - 2010) dort seine Arbeiten aus. „Metall – Fläche, Tiefe, Glanz“ heißt die Ausstellung in der ehemaligen Schreinerei. Bilder mit verschiedenem metallischen Untergrund und transparenten Lasuren laden ein, sich hinein zu versenken, um im Umgang mit Vergangenheit ein Entwicklungsmoment für sich zu ergreifen oder: weil Welterscheinungen darauf warten, dass wir sie erkennen. Solche Erkenntnisprozesse waren Auer sehr wichtig.

„Aus dem Weltall strömt fortwährend Licht uns zu, das die Spektralanalyse als Metall-Licht der verschiedensten Art erkannt hat. Das Sonnenlicht beispielsweise zeigt im Spektrographen die Linien u.a. von Eisen, Gold und den meisten anderen der uns bekannten Metalle. Unser Tageslicht ist, so gesehen, Metallität in Lichtform. Beim Menschen dringen Metallwirkungen über die Lebenssphäre hinaus in die Bewusstseinssphäre vor, berühren Seelisches und Geistiges“, wird Olaf Auer zitiert.

„Einszueins“ als Prozess dauert 101 Tage, Teilnehmer können viel über die Aktualität des Goetheanums erfahren und Anregungen zur Wandlung und zu eigenen Entscheidungen mitnehmen. „Einszueins“-Führungen finden statt von 29.09 – 07.01.12 mit Blicken auf und in das Goetheanum von verschiedenen Persönlichkeiten. Eine weitere Ausstellung zeigt Malereien von Hannes Weigert.

End/nna/wil

Bericht-Nr.: 111026-01DE Datum: 26. Oktober 2011

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