Nachrichtenbeitrag
„Besser geimpft, als in Angst zu leben“
REZENSION | Neue Publikation des Steiner-Verlags zum Thema“ Infektion und Impfen“ zeigt erneut: Impfgegner können sich nicht pauschal auf Steiner berufen.
BASEL (NNA) – Mit einer neuen Publikation mit Texten von Rudolf Steiner zum „Stichwort Infektion und Impfung“ hat der Rudolf-Steiner-Verlag in Basel jetzt in die aktuelle Debatte um Impfkritik und Anthroposophie eingegriffen. Hier zeigt sich erneut – wie schon in früheren NNA-Berichten dargelegt – dass sich Impfgegner keinesfalls pauschal auf Rudolf Steiner und die Anthroposophie berufen können.
In zahlreichen Medienberichten über Demonstrationen gegen staatliche Coronaverordnungen war immer wieder der Verdacht geäußert worden, ein wichtiger Ursprung der Proteste liege nicht nur im rechten, sondern ebenso im anthroposophischen Milieu, vor allem in seinen Hochburgen in Baden-Württemberg. Ergebnisse einer explorativen Studie des Baseler Soziologen Oliver Nachtwey wiesen ebenfalls in eine solche Richtung.
Jonathan Stauffer, der Leiter des Steiner-Verlages, hatte dieser These bereits vor kurzem in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung widersprochen und eine entsprechende Publikation seines Verlages angekündigt, in der alle einschlägigen Stellen aus Steiners immerhin 90.000. Seiten umfassenden Gesamtwerk zum Thema Impfen enthalten sein sollen.
Steiners Aussagen seien schon deshalb nicht einheitlich, betonte Stauffer gegenüber der Stuttgarter Zeitung, weil er sich immer auf die Auditorien bezogen habe, die er gerade vor sich hatte. Man könne sich sowohl als Impfbefürworter als auch als Impfskeptiker auf Äußerungen Steiners stützen. Das sei eine Sache der Interpretation. Steiner sage zum Beispiel: Besser geimpft, als in Angst zu leben. Eine Impfpflicht komme aber laut Steiner nicht in Frage, da jeder für seine Gesundheit selbst verantwortlich sei. Das sei der kleinste gemeinsame Nenner beider Gruppierungen. Im übrigen habe Steiner immer sehr pragmatisch seine Haltung in konkreten Situationen überprüft und sei nie dogmatisch gewesen. Als ein Kinderhort in dem Berliner Haus, in dem er lebte, gegen Pocken geimpft wurde, habe sich Steiner angeschlossen.
Keine entscheidende Instanz
Eine anthroposophische Instanz, die entscheidet, was die korrekte Auslegung ist, gebe es nicht. Gewisse Aussagen Steiners seien sicher zeitgebunden (so kannte er nur Bazillen, aber noch keine Viren). Niemand wisse, wie er sich zu den heutigen Impfstoffen gestellt hätte. Seine Grundgedanken, etwa zur Stärkung des Immunsystems oder zur spirituellen Erziehung nach einer Impfung, seien aber fruchtbar und noch immer aktuell.
Das neue Buch des Steiner-Verlages bringt Zitate zu den Themen „Milieu und Krankheitserreger“, „Hintergründe der Seuchen“, „Moderner Aberglaube“, „Materialismus macht krank“, „Feigheit, Lügen und andere Scheußlichkeiten“, „Tierleid wird Menschenleid“, „Impfung als Prinzip“, „Impfungen gegen dies und das“.
Herausgeber Frank Meyer, der schon im Januarheft der Info3 eine Einführung in sein Buch veröffentlichte („Rudolf Steiner – kein ‚Impfgegner’”, Info3, Januar 2022, S. 16-19) plädiert in seinem Vorwort ebenfalls für eine besonnene Haltung, die durch die Kenntnisnahme der Wortlaute Steiners ermöglicht werde. Auch er unterstreicht, dass Rudolf Steiner kein fanatischer Impfgegner gewesen sei, sondern dieses Thema sehr differenziert betrachtetet habe. (Vgl. auch NNA-Bericht „Können sich Impfgegner auf Rudolf Steiner und die Anthroposophie berufen?“)
Meyer vermeidet eine pauschale Verdammung staatlicher Impfmaßnahmen. Sein Schwerpunkt liegt im Aufzeigen spiritueller Gesichtspunkte zur Frage des Impfens. So gab Steiner zu bedenken, dass Impfungen als lediglich äußere Maßnahmen erst durch einen inneren, geistigen Akt wirkliche Heilung versprächen.
Mahnende Worte
Er habe allerdings auch davor gewarnt, dass Impfungen missbraucht werden könnten, um den Zugang zur spirituellen Welt zu unterbinden. Was Steiner damit meinte, lässt Meyer offen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die unzähligen Verbrechen im Namen der Medizin, die in totalitären Staaten verübt wurden: Euthanasie im „Dritten Reich“ oder Ruhigstellung von Andersenkenden in psychiatrischen Anstalten der Sowjetunion. So gesehen machten Steiners mahnende Worte Sinn.
Manche der ausgewählten Texte sind von überraschender Aktualität. Auf eine entsprechende Frage hatte Steiner geantwortet: „Da muss man eben impfen. Es bleibt nichts anderes übrig. Denn das fanatische Sich-Stellen gegen diese Dinge ist dasjenige, was ich, nicht aus medizinischen, sondern aus allgemein anthroposophischen Gründen, ganz und gar nicht empfehlen würde. Die fanatische Stellungnahme gegen diese Dinge ist nicht das, was wir anstreben, sondern wir wollen durch Einsicht die Dinge im Großen anders machen. ... Es ist ein völliges Unding, so im Einzelnen fanatisch vorzugehen.“ (S. 53 f.)
Das neue Buch aus dem Steiner-Verlag bietet einen Einstieg in komplexe Fragestellungen und eine klärende Hilfestellung für die eigene Haltung, auch jenseits der Tagesaktualität. Es zeigt, dass wichtige anthroposophische Institutionen wie der Steiner-Verlag keineswegs von Seiten der Corona-Leugner oder Impfgegner vereinnahmt werden können, sondern ganz im Sinne Steiners die freie Entscheidung des Individuums in den Vordergrund stellen.
END/nna/vog
Literaturhinweis:
Rudolf Steiner: Stichwort Infektion und Impfung, herausgegeben und eingeleitet von Frank Meyer. Textzusammenstellung von Hans Stauffer. Rudolf Steiner Verlag, Basel 2022, 79 Seiten, 7,90 Euro.
Nachtwey, O/Frei, N/Schäfer, R (2021): „Generalverdacht und Kritik als Selbstzweck – Empirische Befunde zu den Corona-Protesten“, in Benz, W (Hrsg): Querdenken – Proteestbewegung zwischen Demokratieverachtung, Hass und Aufruhr. Berlin S. 194–214.
Bericht-Nr.: 220126-01DE Datum: 26 Januar 2022
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