Nachrichtenbeitrag

Begegnung mit dem unbequemen Literaten José Saramago

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Von NNA-Chefkorrespondentin Cornelie Unger-Leistner

Das Haus des Nobelpreisträgers José Saramago auf Lanzarote wurde nach seinem Tod zum Museum. Jedoch mit Leben erfüllt, wie NNA-Chefkorrespondentin Cornelie Unger-Leistner bei einem Rundgang entdeckte.

Die Kanareninsel Lanzarote wird stets mit ihrem berühmtesten Sohn, dem Künstler Cesar Manrique, in Verbindung gebracht. Weniger bekannt ist dagegen der enge Bezug des 2010 dort verstorbenen portugiesischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers José Saramago zu Lanzarote. Sein Haus kann jetzt besichtigt werden – ein sehr lebendiges Museum, findet NNA-Chefkorrespondentin Cornelie Unger-Leistner.

TIAS, LANZAROTE (NNA)Häuser sind mehr als nur Steine und Mörtel, dieser Satz fällt einem ein, wenn man das 2011 eröffnete Museum „A casa - José Saramago“ in Tias auf Lanzarote besucht. 18 Jahre hat der erste Literaturnobelpreisträger des Landes Portugal hier gelebt, wesentliche Werke sind im Haus entstanden.

Lanzarote, das der Dichter Anfang der 90er Jahre für sich entdeckte, sei eine „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen, erfährt man bei einer Führung durchs Haus. Bis in seinen Schreibstil hinein lasse sich der Einfluss der Vulkaninsel mit ihrer besonderen Landschaft auf Saramago nachweisen. Es sei eine Gnade, in Lanzarote leben zu dürfen, hat der Schriftsteller einmal formuliert.

Das schlichte und doch repräsentative Haus liegt auf einer Anhöhe in Tias verborgen hinter einer Mauer, der große Garten zieht sich den Hang hinunter. Man betritt das Gebäude durch einen kleinen Innenhof, von dort zweigt ein zweiter Flügel ab, in dem auch jetzt noch Saramagos zweite Ehefrau Pilar del Rió mit Verwandten lebt.

Durch eine lichtdurchflutete Galerie mit vielen Kunstwerken und Sammlerobjekten gelangt man in den Wohnraum, das Arbeitszimmer und das Schlafzimmer des Dichters. Die meisten Zimmer eröffnen den Blick auf das Meer, dazwischen der Garten, in dem Palmen und alte Bäume Schatten spenden, darunter auch Olivenbäume, die besonderen Lieblinge des Schriftstellers.

Auch der Blick aus Saramagos Arbeitszimmer reicht weit bis zum Horizont, es ist nicht allzu groß, eine Bücherwand säumt eine Seite, hier finden sich die am meisten benutzen Bücher sowie seine persönlichen CDs. Als Arbeitstisch dient eine dicke Holzplatte, ihre Füße weisen die Spuren auf, die Saramagos Hunde als Welpen dort hinterlassen haben. An den anderen Wänden sind Kunstwerke von Freunden und Bekannten zu finden, die Saramago um sich versammelt hat. Die Urkunde des Nobelpreises für Literatur, der Saramago im November 1998 verliehen worden ist, gehört ebenfalls zur Einrichtung.

Persönliche Erinnerungen

Aber auch ganz persönliche Erinnerungsstücke werden hier aufbewahrt: Familienfotos und Bilder aller Schriftsteller, die Saramago besonders geschätzt hat. Tolstoi hängt so neben Kaffka, James Joyce, Garcia Lorca und Marcel Proust. In Vitrinen sind Sammlerobjekte ausgestellt, darunter auch viele Geschenke, die Saramago von seinen Verehrern erhalten hat. Die zahlreichen Füllfederhalter habe er nicht benutzt, heißt es.

Saramago hat auf einem großen Computer geschrieben, der auf dem Holztisch steht, dahinter sein bequemer schwarzer Schreibtischstuhl. Förmlich spürbar ist im Arbeitszimmer die Atmosphäre der Konzentration – umgeben von all den Gegenständen, die Wärme und Bezogenheit zum Ausdruck bringen.

Der Schriftsteller hat seine lang fließenden, fein ziselierten Sätze offenbar weitgehend im Kopf vorformuliert, bevor er sie in den Computer tippte – viel in seinen Manuskripten korrigiert habe er nicht, wird beim Rundgang berichtet. Saramagos Schreibstil gilt als einzigartig in der zeitgenössischen Literatur, er verwendet eine sehr unkonventionelle Zeichensetzung und seine Absätze füllen oft ganze Seiten. Eine „reife, ruhige Stimme, dialogisch und leicht, oft ironisch oder mit hintergründigem Humor, die immer weiter führt, ... ausholend, aber nie ihren Anlass verlierend – wie ein großer Fluss, der ein trockenes Land durchfließt“, heißt es in einer Literaturkritik des englischen „Guardian“ dazu.

Der US-Literaturwissenschaftler und -kritiker Prof. Harold Bloom sah in Saramago einen der ganz großen Romanciers der Gegenwart und stelle ihn auf eine Ebene mit Günter Grass oder auch Gabriel Garcia Marquez.

Arbeitsstil

Geschildert wird bei der Führung durch Saramagos Haus auch dessen asketischer Arbeitsstil, Wasser habe zur Verfügung stehen müssen, Kaffee oder Zigaretten seien nicht notwendig gewesen, wenn er sich morgens an den Computer gesetzt habe. Dann sei nur noch das monotone, regelmäßige Geräusch der Tastatur zu vernehmen gewesen.

Sein Ort zum Ausruhen war das geräumige Wohnzimmer direkt nebenan, auf den Ledersofas und -fauteuils liegt noch eine bunte Decke, die den Eindruck erweckt, als habe Saramago sich gerade aus ihnen erhoben.

Auch hier bestimmen wie im ganzen Haus großformatige Kunstwerke den Eindruck, berühmte Namen finden sich darunter wie Cesar Manrique, Oscar Niemeyer oder Rafeal Alberti zum Beispiel. Saramagos antiklerikalem Ruf zum Trotz gibt es auch immer wieder Christus-Darstellungen oder andere religiöse Motive an prominenter Stelle im Haus: So bezwingt im Wohnzimmer ein Erzengel auf dem Gemälde eines unbekannten Malers aus dem 19. Jahrhundert eine drachenähnliche Menschengestalt.

Auf vielfältige Weise erlebt man die Atmosphäre dieses Haus: es birgt eine dichte Fülle von Schaffen, Kreativität und Begegnung. Deutlich wird dies auch in der Küche, in der den Museumsbesuchern portugiesischer Kaffee angeboten wird, wie Saramago ihn auch seinen Gästen zu servieren pflegte. Der Schriftsteller – der Journalisten gegenüber einmal erklärt hatte, im Grunde sei er Bauernjunge geblieben – sah in der Küche das Herzstück eines jeden Hauses, einen Ort des Austauschs, an dem er mit seinen Freunden und Bekannten zusammenkam.

In der Küche zu Gast

Zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Politiker waren hier zu Gast, am großen Tisch der Wohnküche breitete zum Beispiel Sebastiao Selgado seine weltberühmten Fotos aus, noch bevor die Öffentlichkeit sie erblickte. Diskutiert wurde hier nicht nur über Literatur und Kunst, sondern immer wieder über den Besorgnis erregenden Zustand der Welt.

„Non a la guerra“ heißt es auf einer Kachel, die in die Wand draußen auf der Terrasse eingelassen ist. Spätestens hier wird man daran erinnert, dass Saramago sein Werk als Beitrag zum Kampf um Freiheit, Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit verstanden wissen wollte – auch wenn er damit gegen den Strom schwamm. Den Vorwurf, er habe es „sich bequem“ gemacht, könnte man gegen José Saramago wahrhaft nicht erheben, schreibt spiegel.de im Nachruf auf den Schriftsteller.

Geboren wurde Saramago am 16. November 1922 in einer der ärmsten Regionen Europas, dem portugiesischen Alentejo. Seine Eltern waren Landarbeiter, seine Mutter hatte nie lesen gelernt. Die Welt, aus der er kam, ließ Saramago in seinem Werk „Kleine Erinnerungen“ (2006) wieder aufleben, auch sein 1979 erschienener Roman „Hoffnung im Alentejo“ spielt dort.

Aus finanziellen Gründen musste der begabte jungen Mann eine höhere Schulbildung abbrechen, er wurde Schlosser, später technischer Zeichner, dann Mitarbeiter im portugiesischen Sozialwesen und begann schließlich, als Übersetzer und Journalist zu arbeiten. 1969 – noch zu Zeiten der Salazar-Diktatur in Portugal – trat Saramago der Kommunistischen Partei bei. Den Durchbruch als Schriftsteller erzielte er erst in den 80er Jahren als über 50jähriger mit Romanen wie „Das Todesjahr des Ricardo Reis“.

Politisch unerschrocken

Aus seiner politischen Überzeugung machte Saramago nie einen Hehl, er blieb zeitlebens ein Kritiker des globalen Kapitalismus und attackierte z.B. auch den Staat Israel für seinen Umgang mit dem palästinensischen Volk. Zuletzt nutzte Samarago dafür auch das Internet, er publizierte seine politisch wenig korrekten Auffassungen regelmäßig in einem Blog.

Im Streit um die Veröffentlichung dieser Texte riskierte er einen Bruch mit seinem langjährigen Verlag Rowohlt. Gegen die Verleihung des Nobelpreises hatte der Vatikan protestiert, mit seinem 1991 erschienenen Roman „Das Evangelium nach Jesus Christus“ hatte Saramago die Welt des offiziellen Katholizismus gegen sich aufgebracht. Wegen angeblicher Verletzung religiöser Gefühle ließ die damalige konservative portugiesische Regierung Saramago von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis streichen.

1998 wurde ihm der Literaturnobelpreis verliehen, heute ist Saramago einer der weltweit am meisten gelesenen Autoren in portugiesischer Sprache. Seine in viele Sprachen der Welt übersetzten Bücher finden sich auch in der Bibliothek, die 2006 als großer, weißer Kubus auf einem dem Wohnhaus gegenüber liegenden Grundstück errichtet worden ist.

Sie hatte den Zweck, den rund 15.000 Büchern, die der Autodidakt Saramago im Keller seines Hauses verwahrte, einen angemessenen Rahmen zu geben. In der Bibliothek sah der Schriftsteller aber weniger eine Ansammlung von Büchern, als vielmehr eine Hommage an die Autoren, die hinter diesen Werken stehen. In den letzten Jahren hat Saramago auch in der Bibliothek gearbeitet an seinem Laptop, Werke wie „Cain“ oder die „Reise des Elefanten“ sind hier entstanden.

Wer den Menschen hinter dem Werk Saramagos kennenlernen möchte, tut gut daran, das Haus auf Lanzarote zu besuchen. Über die hier erwähnten Eindrücke hinaus bietet es viele Gelegenheiten, um dem Hausherrn nahezukommen. Verstorben ist er 2010 im Schlafzimmer direkt neben dem Arbeitszimmer – friedlich, ohne Schmerzen und Klagen sei er aus dem Leben geschieden oder, besser formuliert, habe er das Leben gehen lassen, heißt es im Text, den seine Witwe Pilar del Rió für die Besucher verfasst hat.

Hoffnung auf eine bessere Welt

Fehlen darf beim Rundgang auch nicht Saramagos Lieblingsplatz draußen im Garten – ein großer Brocken aus schwarzer Lava markiert die Mitte, dahinter ein hölzerner Klappstuhl – von hier hatte Saramago eine weite Rundumsicht über den Süden der Insel oder auch hinaus in die Welt, die er schreibend zu verstehen versuchte.

Immer wieder sei er von hier zurück ins Haus geeilt, um seine Einfälle zu Papier zu bringen, berichtet Pilar del Rió in ihrem Kommentar. Was ihm immer wieder Kraft gab, war nicht nur die Insel Lanzarote und sein persönliches Umfeld, sondern auch die Hoffnung, dass die Welt durch sein Schreiben eine bessere werde.

END/nna/ung

Quellen:
www.theguardian.com/books/2012/dec/26/raised-from-ground-jose-saramago-review
www.spiegel.de/kultur/literatur/zum-tode-jose-saramagos-der-mensch-hat-aufgehoert-sich-selbst-zu-achten-a-701688.html
www.zeit.de/kultur/literatur/2010-06/saramago-portugal-nobelpreistraeger
www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/SaramagoJose
http://content.time.com/time/magazine/article/0,9171,1999441,00.html
www.goodreads.com/quotes/269542-jos-saramago-for-the-last-25-years-stood-his-own
www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/1998/saramago-facts.html

Bericht-Nr.: 160824-02DE Datum: 24 August 2016

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José Saramago <br>Foto: Presidencia de la Nación Argentina
Ansicht des Hauses vom Garten her
Hier entstanden die letzten Werke
Saramagos Platz am Küchentisch
Blick in den Garten<br>Fotos: Cornelie Unger-Leistner