Nachrichtenbeitrag

Begegnung mit dem Menschen Rudolf Steiner

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Von NNA-Korrespondentin Nela Herzog

BASEL (NNA) - Die Publikationen und vielen Aktivitäten zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner im laufenden Jahr haben seine Ideen einer breiten Öffentlichkeit nahegebracht und gezeigt, dass er ein wichtiger Impulsgeber auch für unsere Zeit ist. Im Vordergrund stand aber das Werk, der Mensch dahinter blieb eher schemenhaft. Mit der Neuauflage von Andrej Belyjs Buch „Verwandeln des Lebens - Erinnerungen an Rudolf Steiner“ liefert der Futurum Verlag Basel (früher Pforte Verlag in Dornach) in diesem Punkt jetzt eine wichtige Ergänzung zum Steiner-Jubiläums-Jahr.

 

Belyj gilt als einer der großen Literaten des 20.Jahrhunderts, sein Roman „Petersburg“ ist eines der wichtigsten Werke des russischen Symbolismus. Von 1912 bis 1916 lebte er zusammen mit seiner Frau, der Grafikerin Assja Turgenjewa in Dornach. Sein Buch bezeichnet er selbst als „Rohmaterial“, das er aus Liebe zu Rudolf Steiner geschrieben habe. Was davon wirklich wichtig sei, müsse die Geschichte zeigen. Er hebt eigens hervor, dass es ihm nicht um das Werk, sondern um den Menschen Rudolf Steiner geht.

Belyj ist ein Zeitzeuge, er hat Rudolf Steiner aus nächster Nähe erlebt. Er schreibt zwar aus der Perspektive eines Steiner-Schülers, hebt aber an vielen Stellen hervor, wie wichtig es gewesen sei, auch Distanz zu Steiner zu wahren. Als er um die Jahreswende 1928/29 sein Buch zu Papier bringt, möchte er sich auch selbst Rechenschaft ablegen über seine Zeit in Dornach, sie vor seinem inneren Auge vorbeiziehen lassen und den Leser dabei mitnehmen.                

Dies gelingt ihm hervorragend, wenn er z.B. das Leben von und mit Rudolf Steiner schildert oder auch die Baustelle des ersten Goetheanum, an dem er und seine Frau als Schnitzer mitgearbeitet haben. Rudolf Steiner wird durch die Feder Belyjs lebendig, z.B. wenn dieser schildert, wie „der Doktor“ in Dornach mit wehenden Rockschößen hügelabwärts schreitet, vorbei am kleinen Häuschen, das der Dichter und seine Frau bewohnen, wie Steiner frische Erdbeeren für ein Abendessen selbst im Dorf besorgt oder wie er sich über die Verbissenheit mancher Dornacher Anthropsophen aufregt. Weltmännisch, empathisch, humorvoll und ungezwungen: Das ist das Bild, das Belyj von Steiner im Alltag zeichnet.

Belyj nimmt den Leser aber auch bei seinen inneren Erfahrungen mit z.B. bei seinen Schilderungen der Esoterischen Stunden (ab S.161). So macht er an mehreren Stellen seines Buchs den Versuch, Erfahrungen, die über das sinnlich Wahrnehmbare hinausgehen, in Worte zu kleiden. Da Belyj ein begnadeter Schriftsteller ist, sind gerade diese Passagen von großem Interesse, auch deswegen, weil sie ohne jegliche anthroposophische Diktion auskommen.

Viele Klischees, die über Rudolf Steiner durch seine Kritiker in Umlauf gebracht wurden, ließen sich durch Andrej Belyjs Darstellungen widerlegen, z.B. wenn er die immer freilassende und die eigene Aktivität seiner Schüler fordernde Haltung Steiners hervorhebt. Blinder Gefolgschaft und schwärmerischer Anbetung setzte Steiner selbst Grenzen, wie Belyj immer wieder betont. Der „Riese an Herzlichkeit“, wie Belyj Rudolf Steiner charakterisiert, habe zwar die Wärme der Liebe ausgestrahlt , dieses Strahlen sei aber „durch den Helm der Weisheit und das Visier der Nüchternheit“ gedämpft worden.

Bereits zu Beginn ihrer Bekanntschaft ist Belyj überrascht, dass Rudolf Steiner nicht wie ein Weiser daherkommt, wie er es aus Russland kennt. Hier hat er Persönlichkeiten erlebt, die schwer an der Last ihres außergewöhnlichen Lebens zu tragen hatten und dies auch zeigten. Ganz anders der als „leichtfüßig“ beschriebene Steiner, der gerade im Umgang mit den jungen Leuten in Dornach auch stets den Schalk im Nacken hatte. Gab es Probleme zwischen den gutsituierten, bildungsbürgerlichen Dornacher Anthropsophen und der buntgemischten Schar der jungen Leute aus aller Welt, die die Baustelle des Goetheanums bevölkerten, habe sich Steiner stets auf die Seit der jungen Leute geschlagen, zu denen damals auch Belyj und Assja Turgenjewa gehörten.

Nur von einer Ausnahme weiß Belyj zu berichten, als nämlich eben diese – meist auch politisch links orientierte – Jugend in Steiners Abwesenheit verhindern wollte, dass im Umfeld des „heiligen“ Goetheanums Privatbauten wie das Einfamilienhaus von Dr. Grosheintz (heute Haus Duldeck) entstehen und dort z.B. profane Wäsche auf der Leine flattere. Mit allem Nachdruck habe Steiner ihnen nach seiner Rückkehr klar gemacht, dass das neue anthroposophische Leben mit dem Alltag verbunden sein müsse. Dies schließe auch Wäscheleinen um das Goetheanum ein.

Anschaulich wird geschildert, wie die verschiedenen Praxisbereiche der Anthroposophie nicht von Steiner selbst initiiert wurden, sondern stets auf Fragen und Anregungen aus seinem Umfeld zurückgegangen sind. Hier sieht Belyj auch ein Manko der Anthropsophie: Da sich keiner für Erkenntnistheorie interessiert habe, sei sie auch von Steiner nicht grundlegend formuliert worden - eine Aufgabe, die er seinen Nachfolgern überlassen habe.

Belyjs Buch steckt voller origineller Beobachtungen und Schilderungen, er nimmt - genau wie sein Lehrer Rudolf Steiner – kein Blatt vor den Mund, wenn er z.B. Steiners Diktion folgend, manche Dornacher Anthroposophen als „Tanten“ und „Onkel“ bezeichnet, die durch ihre dogmatische Haltung die Anthroposophie zum Zerrbild werden ließen. Auch mit Kritik an der Anthroposophischen Gesellschaft hält er nicht hinter dem Berg.

Seine eigene Entwicklung glättet der Schriftsteller ebenfalls nicht, immer wieder ist die Rede davon, wie wichtig es auch aus der Sicht Steiners gewesen sei, dass seine Schüler das in den Vorträgen Aufgenommene individualisierten und nutzten, um ihr eigenes Leben zu verwandeln. Auf den Höhenflug mit Steiner musste dann die eigene Anstrengungen folgen: „Später war das Umgekehrte notwendig: Die Befreiung von den Themen des Doktors: sonst büßte man die Selbständigkeit ... ein. In jedem Fall war ungeteilter Einsatz nötig: während des Flugs mit dem Doktor und ebenso bei der Ausbildung der eigenen Flügel“, betont er.

Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, als Belyj seine Erinnerungen in einem russischen Dorf weit weg von Dornach in nur zwölf Tagen zu Papier bringt. Steiner ist vor vier Jahren verstorben und sein Schüler Belyj sieht dessen Erbe nicht in guten Händen.

So endet das Buch damit, dass Belyj eine Art Vermächtnis hinterlässt, das den Blick auf die Christologie Rudolf Steiners richtet. Aus heutiger Sicht klingt es nahezu prophetisch, wenn er damals schreibt: Wenn nicht verstanden werde, was Rudolf Steiner mit seinen Vortragszyklen des Jahres 1913 zum Thema Christologie habe bewirken wollen, würden die Konsequenzen verheerend sein. Ein Europa in Trümmern, die Zivilisation werde “Kletten treiben“, die alles ersticken, fasst Belyi Steiners Warnungen zusammen. Die Machtergreifung der Nazis wird er gerade noch erleben, im Januar 1934 stirbt er in Russland.

Mit der Schilderung der berühmten Vorträge Steiners in Kristiania (heute Oslo), Kopenhagen und Leipzig beschließt er das Buch. Belyi , der insgesamt 400 Vorträge Steiners gehört hat, schreibt, wie er Kristiania erlebt hat und welche Erschütterung die Tage dort bei ihm und den anderen Zuhörern bewirkt haben.

Rudolf Steiner hatte Kristiania nach Auffassung seiner Schüler ausgewählt, um dort – wie Belyj es formuliert – bis in Letzte durchgeistigte Worte auszusprechen. Den Kurstitel „Das fünfte Evangelium“ habe man schon vorher in München erfahren und mit einer Evangelienkritik Steiners gerechnet.

Was dann aber das eigentliche Anliegen gewesen sei, habe alle bis auf ihre Grundfesten erschüttert: „Wir selbst in unserer Beziehung zur nahenden Wiederkunft Christi“. Wie auch in anderen Passagen dieses Buches ringt Andrej Belyj hier bei der Schilderung seiner eigenen inneren Erfahrungen mit der Sprache, z.B. wenn er zusammenfasst: „Diese stammelnden Andeutungen sind lediglich meine Subjektion, einer von Tausenden von Blickpunkten vor den sich übereinanderschichtenden Bedeutungen des „Fünften Evangeliums.“

Trotz dieser Unsicherheiten lässt Belyj aber an einem keinen Zweifel: Das „Fünfte Evangelium“ hat den Charakter einer Zäsur. Wenn es nicht gelingt, die Impulse aus diesem Zyklus Steiners für unsere Kultur fruchtbar zu machen, geht sie ihrem Ende entgegen. Hier sieht Belyj die große Verantwortung der Erben Steiners, der „eine neue Seite vom Wesen des Christentums in die Geschichte der christlichen Religion“ eingeschrieben hat.

Andrej Belyjs Buch hinterlässt mit in seiner Authentizität und seiner aus dem Herzen kommenden Sprache einen starken Eindruck. Der Hinweis von Wenzel Götte im Nachwort ist sicher richtig, dass dies mit der Eigenart russischen Denkens zusammenhängt, das – oft im bewusstem Gegensatz zu dem in Westeuropa - Erkenntnis als eine Sache des ganzen Menschen versteht, nicht als das Produkt einer isolierten menschlichen Fähigkeit, des Verstandesdenkens.

Bis auf diese Charakteristik ist das Nachwort für ein Verständnis der Impulse Belyjs mit seinen Wertungen zu dessen Person eher hinderlich und man stellt sich die Frage, warum der Verlag es hinzugefügt hat. Wer sich über Belyj näher informieren möchte, findet im Web auf der Homepage der Forschungsstelle Kulturimpuls eine Biographie von Sergej Prokofieff, die ihm wesentlich besser gerecht wird. (Link: biographien.kulturimpuls.org/list.php)

END/nna/neh

Andrej Belyj: Verwandeln des Lebens – Erinnerungen an Rudolf Steiner, Basel 2011

Bericht-Nr.: 110825-01DE Datum: 25. August 2011

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