Nachrichtenbeitrag

Bedingungsloses Grundeinkommen: „Brücke von heute in die Realität von morgen“

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Von NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz

Überall in der Schweiz fanden Debatten über das Grundeinkommen statt und morgen (5. Juni) wird die Entscheidung gefällt: Wende im Denken und Handeln durch den Prozess, fragt NNA-Korrespondentin Edith Willer-Kurtz?

Zürich (NNA) – Morgen findet in der Schweiz die Volksabstimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen statt. In der Bevölkerung hat es dazu viele Fragen und auch gegensätzliche Stimmen gegeben.

Vielleicht wird man die Initiatoren des bedingungslosen Grundeinkommens bald als Pioniere bezeichnen können, die eine Wende im Denken und Handeln bereitet haben. In der Schweiz sind dazu derzeit in fast allen Gemeinden Aufklärungs- und Diskussionsabende im Gange, dazu viele kreative Spektakel/Events angefangen vom Verteilen von Geldscheinen (NNA berichtete) bis zum weltgrößten Plakat mit über 8000 qm und einem Gewicht von sieben Tonnen, das in Genf vor dem Parlament Platz fand.

 Das wiederum konnten auch die New Yorker nachrichtlich auf den Bildschirmen verfolgen. Ja, das Plakat landete im Buch der Rekorde, aber vor allen in den Köpfen mit der Frage: „Was würdest Du tun, wenn dein Einkommen gesichert wäre – What would you do, if your income were taken care of“, so lautet der Schriftzug, und spiegelt wohl die Überlegungen jedes einzelnen und fordert seine Individualität heraus.

Was würde jeder einzelne von uns tun, wenn er – wie in der Schweiz zur Diskussion gestellt – den Grundeinkommensbetrag von 2.500 schweizer Franken (2.259 €) auf seinem Konto vorfinden würde? Zum Pro- und Contra fand in der Universität Zürich eine Diskussion statt mit dem Befürworter und Mitinitiator der Volksabstimmung, Enno Schmid, die Gegenstimmen vertrat Henrique Schneider, Finanzpolitiker des Schweizerischen Gewerbeverbands. Veranstalter waren der Verein Studierende für die Freiheit Zürich, sneep, das studentische Netzwerk für Wirtschafts- und Unternehmensethik?und die Studentische Organisation für nachhaltige Entwicklung: Project 21.

Grundsätzliche Entscheidungen

Es gab in der Vergangenheit derart grundsätzliche Entscheidungen z.B. zu der Frage der Demokratie, ob nur die Besitzenden oder ob alle Bewohner abstimmen können oder auch zur Haltung von Sklaven – einstmals unwidersprochenes Recht – die dann durch Gesetzgebung abgeschafft worden ist und ersetzt worden ist durch Freiheit für alle Menschen.

Jetzt sei wieder ein historischer Schritt zu tun hin zu mehr Freiheit und mehr Selbstbestimmung, betonte Enno Schmidt. Dazu sei es nötig, dass alte Strukturen aufgebrochen würden. Der Sockelbetrag, den jeder brauche freizugeben, sei ein weitergehender Schritt . Nicht Faulheit, sondern neue Lebenseinstellungen würden weiterentwickelt, so die These von Enno Schmidt.

Mehr an Beweglichkeit hält das Bedingungslose Grundeinkommen für unabdingbar, wobei Einkommen und Sozialeinrichtungen darüber hinaus als Basis der Leistungsgesellschaft erhalten blieben. Diese neue Gesellschaft würde mit Bezügen zwischen den Menschen zu tun haben, würde getragen werden von Kultur, eben dem bedingungslosen Grundeinkommen. Daraus erwüchsen Möglichkeiten für jeden, seine mitgebrachten Fähigkeiten mehr als bisher auszubilden.

Fehlende Aufmerksamkeit

Henrique Schneider argumentierte, dass die Welt schon immer durchsetzt sei mit dem Mangel, die Knappheit sei immer da und der Mensch versuche, das Richtige zu tun, um eine Gesellschaft zu stützen. Es müssten Entscheidungen getroffen werden, da immer mehr Wünsche vorhanden seien, als erfüllt werden können, war seine Auffassung. So erfinde der Mensch Ideen, weil er weniger Knappheit leben wolle, eben um die Knappheit zu bezwingen.

Schmidt findet widersprüchlich dazu sei der Wert der Arbeit, eigene Entscheidungen führten dazu, dass man etwas tue, was anderen gefalle und auch mit der Freude des Machens geschehe. Er zitierte Albert Wenger, den Risikoinvestor aus Amerika mit den Worten, nicht das Kapital der Industrialisierung oder der Boden seien knapp, sondern die Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit fehle auf zwei Ebenen, hat Wenger im Interview mit der Zeitschrift Brandeins erläutert. Individuell verschwenden wir unendlich viel Zeit mit Ablenkungsübungen, zum Beispiel damit, unseren Twitter-Feed oder Facebook-Stream zu aktualisieren. Stattdessen sollten wir uns öfter fragen, was wir wirklich mit dem Leben anfangen wollen. Kollektiv gebe es eine groteske Verteilung der Aufmerksamkeit zugunsten des Kapitals. Wie gehe man mit der Aufmerksamkeit um, das wäre heute eine andere Ebene der Knappheit, der man sich widmen müsse.

Schneider setzte in der Diskussion auf das Individuum, das subjektive Lebensideen habe. Jeder müsse hier immer wieder Entscheidungen treffen, im Wirtschaftssystem sieht er die passende Form dafür. Die Grundeinkommens-Projekte hält er für nicht befruchtend. Er fragte, was wäre, wenn die Gelder nicht ausreichten? Schmidt räumte aus, das Grundeinkommen sei kein Versprechen. Es gehe um das Szenario einer Einführung, das in der Gesellschaft diskutiert werde. Auch nach einer positiven Volksabstimmung im Juni in der Schweiz käme es zu weiteren Volksabstimmungen, so wie es das Gesetz verlangt.

In der Praxis erproben

Pilotprojekte würden die Praxis erproben, Beispiele berichteten vom Verhalten einzelner Projektteilnehmer, für deren Grundeinkommen gesorgt wurde. In Amerika sei eine Frau mit mehreren Kindern zuhause bei den Kindern geblieben, statt arbeiten zu gehen, was menschlich gesehen für die Kindererziehung positiv war. Jobsucher hätten länger gesucht, um die passende Arbeit zu finden. Bei einem Projekt in Indien hätte man mehr gearbeitet, nicht weniger.

Das waren Beispiele, die in der Diskussion auftauchten. Zeitlich kurz befristete Projekte bringen mangels genügend Einführungszeiten auch mal ungenügende Ergebnisse und könnten demnach auch negativ beurteilt werden. Schließlich sei diese Kulturentwicklung im Gange, nicht abgeschlossen, erklärte Schmidt.

Auch hier zeigte sich: Das bedingungslose Grundeinkommen wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Unabhängig davon, wie das Referendum am 5.Juni ausfällt – Diskussionen und Bewusstmachung sind schon jetzt ein Gewinn. Das Thema hat auch schon viele Länder erreicht. Projekte wurden gestartet u.a. in Brasilien, in Amerika, Indien, Deutschland, demnächst in Finnland als ein aktiver Beitrag zur kulturellen Entwicklung der jetzigen Gesellschaft.

Weitere Informationen

Beim Apero nach der Diskussion, konnte man am Infotisch Medien einsehen, die sich mit dem Grundeinkommen befassen. Enno Schmidt widmet sich mit seinen Co-Autoren Christian Müller und Daniel Straub in dem Buch „Grundeinkommen von A bis Z“ den wichtigsten Fragen und Aspekten. Es vermittelt verständlich geschriebene Auseinandersetzungen mit der Frage der Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens, die in einer Abenddiskussion von eineinhalb Stunden nur angerissen werden konnte.

Zu finden war auch das renommierte Kultur-Magazin „Du“, das seine Februarausgabe dem Thema Zukunft gewidmet hat. Darin wird das Grundeinkommen als „als eine Brücke von heute in die Realität von morgen“ bezeichnet. „Bref“ , das Magazin der Reformierten, brachte Interviews, in denen Menschen ihre Gedanken äußern, wie sie sich ihr Leben mit den Veränderungen durch das Grundeinkommen vorstellen.

Wer im Internet um Thema recherchiert, findet auch die Zusammenfassung von Silvan Groher, Mitinitiator und Mitglied des Vereins „Grundeinkommen für Dich.“ Es handelt sich um eine Aktion, die ein Grundeinkommen von 2.500 CHF für ein Jahr zur Verfügung stellt, das der Forschung dienen soll. Auch hier wird betont, beim

Beim Grundeinkommen handele es sich um ein „Experiment für die Zukunft“. Mit dem Forschungsprojekt möchte der Verein herausfinden: „Was ändert sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen im Alltag? Werden wir faul oder kreativer? Und wie reagiert unser Umfeld darauf?“ Die Experimente sollen genau wie das anstehende Referendum in der Schweiz dazu genutzt werden, um die Bevölkerung und vor allem die Medien weiterhin zu informieren und aufzuklären.

END/nna/wil

Bericht-Nr.: 160604-03DE Datum: 4. Juni 2016

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Auch das Verteilen von Geldscheinen gehörte zu den kreativen Spektakeln mit denen die Initiatoren des bedingungslosen Grundeinkommens eine Wende im Denken herbeiführen wollen.<br>Foto: www.grundeinkommen.ch