Nachrichtenbeitrag
Bedingungsloses Grundeinkommen bald im Schweizer Parlament?
DORNACH (NNA) – 70.000 der notwendigen 100.000 Unterschriften hat die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz schon gesammelt. Die Möglichkeit, dass das Schweizer Parlament sich damit befassen muss, ist damit in den Bereich des Möglichen gerückt. So war es nicht verwunderlich, dass zur öffentlichen Konferenz zum Thema Grundeinkommen am ersten Märzwochenende über 200 Interessenten ins Goetheanum nach Dornach kamen.
„Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen – macht das Sinn?“ war der Titel der Veranstaltung der Sozialwissenschaftlichen Sektion. Anlass war die 2012 ins Leben gerufenen eidgenössische Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), das nicht als Versicherung, sondern als Bürgerrecht gedacht ist. Die Konferenz sollte dessen Sinn und dessen mögliche gesellschaftliche Auswirkungen hinterfragen und diskutieren. Von der Initiative angestrebt wird ein neuer Artikel, der in die Bundesverfassung aufgenommen werden soll:
„Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.“
Damit die Initiative angenommen wird, braucht sie bis zum 11. Oktober 2013 mindestens 100.000 Unterschriften von stimmberechtigen Bürgerinnen und Bürgern der Schweiz.
Die Aktion wird von zahlreichen Prominenten wie dem Schriftsteller Walter Muschg unterstützt. Bei Annahme der Initiative entsteht die Verpflichtung für das Parlament, das Thema BGE zu behandeln. So konnte der gastgebende Sektionsleiter Paul Mackay viele Teilnehmer aus der Schweiz, aber auch aus dem benachbarten Ausland begrüßen. Einleitend hielten Ursula Piffaretti, Unternehmerin und Gründerin verschiedener Institutionen und Enno Schmidt, Künstler, Autor und Filmemacher je ein Impulsreferat zum Thema.
Ursula Piffaretti schilderte die Nöte der unverschuldet in Sozialhilfe-Abhängigkeit geratenen Menschen, während das Dogma „Kein Geld ohne Leistung“ seit 100 Jahren in unseren Köpfen stecke. Die Segnungen des Sozialstaats seien zwar gut, reichten aber für die Zukunft nicht aus. Zuerst gelte es, die materialistischen und egoistischen Gedanken auszulösen. Aber auch die kirchliche Empfehlung „Sei ein guter Mensch und der Himmel steht dir offen“ genüge nicht. Den Einwand gegen ein BGE, der Mensch sei von Natur aus faul, konterte sie in Anlehnung an Steiner: „Wenn wir unsere Impulse aus dem Vorgeburtlichen finden, haben wir auch keine faulen Menschen mehr.“ Ein BGE erleichtere dem Einzelnen, seine mitgebrachten Lebensaufgaben in Form eines schöpferischen Potentials zu entdecken und zu realisieren.
Enno Schmidt meinte, Volksinitiativen seien ein gutes Instrument dafür, dass etwas Neues in die Welt komme. Zwei immer wiederkehrende Grundeinwände lauteten: Wer arbeitet dann noch? Und wer finanziert das alles? Der Weg zum BGE – mit Diskussionen über Demokratie – sei ebenso wichtig wie das Ziel. Angesichts der heute komplexer gewordenen Berufsbiographien wies Schmidt darauf hin, dass das BGE bei der Person bleibe, nicht bei der jeweiligen Arbeit.
Die in Basel entstandene Initiative „Generation Grundeinkommen“ hat sich inzwischen auf viele Kantone der Schweiz ausgebreitet. Sie wirbt nicht nur mit Befragungen – nahezu 200 Sammler sind bisher im Einsatz – sondern auch mit verschiedenen phantasievollen Events und im Internet. Sie wird zwar hauptsächlich von jüngeren Menschen getragen, meint aber Menschen aller Altersstufen, weil im Laufe eine Generation noch ein BGE in der Schweiz realisiert werden könne: „Wir alle hier im Saal sind Generation Grundeinkommen.“
Auch Aktivisten aus der französischen und italienischen Schweiz berichteten über ihre meist positiven Erfahrungen.
Takt- und humorvoll moderierte Enno Schmidt die Berichte junger Basler Aktivisten wie Madeleine Ronner, Che Wagner und Angela Mäder über ihre Erfahrungen beim Sammeln von Unterschriften. Das sei spannend und mache viel Spaß. Manche Aktivisten stellen in den Begegnungen sehr persönliche und grundlegende Fragen wie „Was willst du in der Welt tun?“ oder „Was ist Arbeit heute?“. Von 300 Interessenten unterschrieben oft nur 20. Viele Angesprochene fragten, von welcher Partei diese Aktion ausgehe. Die meisten zeigten sich sofort aufgeschlossener, sobald ihnen die Parteilosigkeit der Kampagne klar wurde. Viele Interessenten spürten das BGE schon als lebendige geistige Realität. Vorläufig aber sei es noch ein Denk-Angebot, nicht etwas, was plötzlich eingeführt wird.
Es gab lustige, aber auch erschütternde Begegnungen. Eine Deutsche habe berichtet: „Bei uns geben schon Grundschüler als Berufsziel Hartz-IV-Empfänger an, und Sie wollen denen noch Grundeinkommen geben?“ Dieses pessimistische Menschenbild, nach dem der Mensch ohne ständigen äußeren Druck oder staatliche Sanktionen nichts mehr arbeiten würde, sei leider noch weit verbreitet. Es brauche eine stärkere Überzeugungskraft, wenn jemand sein Leben auf einem ganz anderen Grundverständnis aufgebaut habe. Che Wagner berichtete von einer SVP-Politikerin, die unterschrieben hat, weil sie die Diskussion spannend fand, nicht weil sie für das BGE war. Hier gebe es ein ganz anderes Demokratieverständnis als etwa in Deutschland.
Die Demokratie in Deutschland und in der Schweiz vergleichend, meinte Enno Schmidt, in Deutschland gebe man nur seine Stimme ab, in der Schweiz erhebe man sie. Wenn er in Österreich und Deutschland über das Grundeinkommen rede, werde er regelmäßig gefragt: Aber was sagen die Politiker dazu? Er antworte darauf: Es kommt darauf an, was das Volk dazu sagt. Es liege sportliche Dynamik in diesem Projekt, das nicht von einer zentralistisch gesteuerten Idee ausgeht, sondern ein lebendiger Vorgang bleibe. Alles Zentralistische wirke im Geistesleben verheerend, weil es Machtkämpfe nach sich ziehe.
Aus dem Plenum wurden von anthroposophischer Seite auch Bedenken gegen das BGE laut: Es sei ein Irrtum zu glauben, der Mensch würde initiativ werden, wenn er Geld in die Hand bekommt. Sich für staatsfreie Schulen einzusetzen sei wichtiger als ein Grundeinkommen.
Die anschließende Podiumsdiskussion wurde bestritten von der feministischen Theologin Ina Praetorius, der Autorin Judith Giovannelli-Blocher, dem Basler Ordinarius für Soziologie, Uli Mäder und dem ehemaligen Staatssekretär für Wirtschaft und Filmemacher David Syz. Moderator war wieder Enno Schmidt.
Uli Mäder berichtete von seinen Erlebnissen bei politischen Veranstaltungen zum BGE. Grüne befürchteten, das BGE werde im Sinne des Neoliberalismus missbraucht werden. Heute aber seien ganz andere ökonomische Konzepte nötig. Giovannelli-Blocher sprach vor dem Hintergrund ihrer 40-jährigen Sozialarbeit und warnte vor einer zu raschen Einführung des BGE. Zuerst müsse die Bevölkerung vertraut gemacht werden mit dem neuen Gedanken. Weniger arbeiten sei heute ein Sakrileg, Konzepte des Teilens würden als Konsumverzicht kritisiert. Gerade die sogenannten unproduktiven Menschen wie Alte, Kranke oder durch Burnout arbeitslos Gewordene könnten sich durch ein BGE in ihrer Menschenwürde wieder aufgewertet fühlen.
Ina Praetorius meinte, obwohl die alte patriarchalische Arbeitsteilung („Der Mann verdient das Geld“) nicht mehr gelte, müsse das BGE aufpassen, dass es nicht auf die neoliberalistische Schiene gerate – „lauter kleine ‚Ich-AGs’“ – wo jeder nur tue, wozu er Lust habe. Die Behauptung, dass Lohn und Leistung immer verkoppelt seien, sei absurd, weil heute schon 50 % unbezahlte Arbeit geleistet werde. Die Idee des BGE müsse angeschlossen werden an Ökologie und Feminismus.
David Syz, der in der Bundesverwaltung tätig war, bekannte sich in pragmatischer Weise zur neoliberalen Wirtschaftsform, kritisierte jedoch deren Exzesse, die man schrittweise in den Griff bekommen müsse. Um mehr Gerechtigkeit zu erzielen, bedürfe es keiner utopischen Ideen. Dazu genüge ein Ausbau der bisherigen Sozialsysteme. Wenn schon BGE, dann sei zu berücksichtigen, dass es in jedem Land anders gestaltet werden müsse, in Afrika beispielsweise ganz anders als in Europa.
Der Unternehmer und dm-Gründer Götz Werner, der sich in Deutschland unermüdlich für ein Grundeinkommen einsetzt, stellte die Frage: „Wenn wir noch nie so reich waren wie heute, warum leisten wir uns so viel Armut?“ Die Schweiz mit ihrer langen demokratischen Tradition sei prädestiniert für das bedingungslose Grundeinkommen. Würde es hier verwirklicht, hätte dies eine Vorbildfunktion für ganz Europa. Gegenüber dem oft gehörten Einwand, der Mensch sei von Natur aus faul und arbeitsunwillig, gab Werner zu bedenken, dass der einzelne Mensch im Gegensatz zum Tier entwicklungsfähig sei. Es gelte, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um dieses Potential, das in jedem Menschen stecke, zur freien Entfaltung kommen zu lassen. Wir sollten uns fragen, wie diese Bedingungen aussehen könnten. Er begrüßte es, dass Paul Mackay den Mut gehabt habe, das BGE ins Zentrum einer Tagung zu stellen.
END/nna/vog
Bericht-Nr.: 130315-04DE Datum: 15. März 2013
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