Nachrichtenbeitrag

Auf der Suche nach Sinnstiftung in einer verwirrenden Welt

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Von NNA- Korrespondentin Cornelie Unger-Leistner

Für ein gebildetes Publikum im Westen hat der Buddhismus eine hohe Anziehungskraft. Warum das so ist, ist erstmals in einer umfassende Studie von Witten-Herdecker Soziologen untersucht worden.

WITTEN-HERDECKE (NNA) – Was macht die 2.500 Jahre alte Lehre des Buddhismus derzeit so interessant für viele Menschen in modernen westlichen Gesellschaften? Eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Witten/Herdecke liefert dazu interessante Forschungsergebnisse. Eine Folgestudie wurde gerade begonnen.

Spirituelle Praxis als Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaft – wie kann das gehen? Die im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entstandene Studie Die Praxis der Leere über buddhistische Praxis im Westen bietet ein gutes Beispiel für das Gelingen eines solchen Vorhabens. Es sind die Soziologen Prof. Werner Vogd, Dr. Jonathan Harth und Dr. Ulrike Ofner , die mit der 469 Seiten umfassenden Forschungsarbeit erstmals einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Strömungen buddhistischer Spiritualität im Westen vorlegen.

Fakt ist, so die Autoren in der Einleitung zu ihrer Studie, dass die unterschiedlichen buddhistischen Schulen in den modernen Gesellschaften einen ungebrochenen Zulauf haben und dass man von einer „erfolgreichen Institutionalisierung des Buddhismus im Westen“ sprechen kann. (S.14) Der Einfluss, den die buddhistischen Lehren mittlerweile haben, wird auch an einer Zahl deutlich, die die Autoren nennen, danach ist in den USA jeder achte Bürger bereits mit Buddhismus in Berührung gekommen oder von ihm beeinflusst worden. (S.410)

120 Personen, so Autor Harth, wurden vom Forscherteam im Verlauf des dreijährigen Untersuchungszeitraums befragt und anschließend auf der Basis der sog. Dokumentarischen Methode, das heißt mit den Mitteln qualitativer Sozialforschung analysiert. Am Anfang der Studie steht die Abgrenzung zu bisherigen Forschungen zum Thema Buddhismus aus der Sozial- oder Religionswissenschaft. „Man kann beobachten, dass die sozialwissenschaftliche Forschung zu den großen Religionen einen Bogen macht um die Tatsache, dass es sich hier um sogenannte soteriologische Systeme handelt. Das sind Systeme, die Rettung, Erlösung oder auch Heil versprechen. Das Wort soteriologisch leitet sich vom griechischen Begriff sotería fürHeil ab“, erläutert Jonathan Harth im Gespräch mit NNA.

Diese Haltung der Forschenden erkläre sich aus dem Problem, dass man sich damit auf das Gebiet prinzipiell unbeobachtbarer Bereiche begebe. „Man steht als Forscher dabei vor großen Herausforderungen – wie will man das belegen, dass jemand Erleuchtung erfahren hat?“

Gelebte Praxis

Methodisch gingen das Witten-Herdecker Team so vor, dass sich ihre Forschungsfrage ausschließlich auf die individuell gelebte Praxis richtete oder - wie es in der Studie formuliert ist, darauf „wie die unterschiedlichen Formen des westlichen Buddhismus als institutionalisierte Schulungswege und individuell gelebte Praxis durch soziale und gemeinschaftliche Praktiken hergestellt werden“. (S.8)

Untersucht wurden sechs im deutschsprachigen Raum vertretene Schulungswege und die damit einher gehenden unterschiedlichen Formen von Praxis. Befragt wurden sowohl Novizen als auch Langzeitpraktizierende. Vertreten sind u.a. der Theravada-Buddhismus, der tibetische Buddhismus sowie die Tradition des Zen-Buddhismus. „Unsere Ergebnisse waren dabei sehr ergiebig, das hätte ich persönlich gar nicht so erwartet. So lassen sich etwa auch habituelle Einschnitte rekonstruieren, die durch diese Praxis hervorgerufen werden – Veränderungen, wie sie auch im Christentum bekannt sind, der Klassiker dabei ist ja der Weg, den der Apostel Paulus genommen hat“, erläutert Harth.

An die Interviewpartner kamen die Forscher zum einen durch persönliche Annäherung über den eigenen Bekanntenkreis, zum andern über die offiziellen Repräsentanten der jeweiligen Schulen. „Diese sind ja zum Teil straff organisiert, teils schon wie Unternehmen, z.B. Rigpa oder der Diamantweg-Buddhismus in Deutschland. Über unsere Aushänge oder auch über die Ansprache der Gruppenverantwortlichen haben sich viele Leute freiwillig bei uns gemeldet. Die Zen-Richtung ist im Vergleich dazu eher dezentral organisiert“, so Autor Harth.

Nach den Ergebnissen der Studie sind es vor allem existenzielle Krisen, die die Menschen zu den spirituellen Angeboten des Buddhismus greifen lassen, hinzukommt die Suche nach Gemeinschaft oder eben gerade nach außeralltäglichen Erfahrungen (S.73). In den Interviews berichten die Praktizierenden, dass ihnen die Erfahrungen, die sie mit den Schulungswegen des Buddhismus machen, dabei geholfen haben, ein neues Verständnis von sich selbst und der Welt zu erringen.

Das heißt, ist es in erster Linie die meditative Praxis, die die Menschen in den buddhistischen Lehren suchen. Dies steht, wie die Autoren anmerken, im Gegensatz zu den traditionellen buddhistischen Gesellschaften, in denen die Vermittlung einer Meditationspraxis für die Mehrheit der Menschen kaum eine Rolle spielt. Der westliche Buddhismus könne so durchaus als „spirituelle Neuerfindung (oder Wiederentdeckung) betrachtet werden, die nur bedingt an die buddhistischen Traditionen der asiatischen Länder anknüpft“.

Authentische Lehrtradition

Den Buddhismus einfach als eine Variante westlicher Kultur im Sinn einer individualisierten New-Age-Spiritualität zu betrachten, greift nach den Forschungsergebnissen der Autoren aber zu kurz. Für die einzelnen Schulen registrieren die Forscher komplexe Aushandlungsprozesse darüber, wie eine authentische buddhistische Lehrtradition vor dem Hintergrund spezifischer westlicher Bedürfnislagen auszusehen hat und wie diese hergestellt werden kann. (S.15)

Das Gemeinsame der oft sehr verschiedenen Praxen besteht darin, dass die Heilslehre des Buddhismus auf „die Leere ausgerichtet ist“, d.h. es handelt sich um eine Heilslehre ohne Gott. Insgesamt gehe die buddhistische Lehre davon aus, alle Phänomene „wesensmäßig als leer und essenzlos zu betrachten“ (S.7). Dies trifft auch für das Selbst zu. Hier verweisen die Autoren auf das Spannungsverhältnis zwischen der Dogmatik, die den buddhistischen Lehrsystemen innewohnt, die eine „Anreicherung von Ego und Subjektivität durch außeralltägliche Erfahrungen eigentlich ablehnen muss“ (S.19). Dies wird aber gerade von den westlichen Praktizierenden meist angestrebt. Buddhismus im Westen stelle deshalb ein „komplexes Phänomen“ dar, das unterschiedliche kulturelle und sozialanthropologische Dimensionen berührt und das sich „nicht auf den ersten Blick erschließt“. (S.19)

Bemerkenswert am Vorgehen der Forscher ist es, dass sie zu den Erfahrungen der Befragten eine Haltung einnehmen, die es ihnen erlaubt, die verändernde Qualität spiritueller Praxis anzuerkennen, ohne die Inhalte dieser Praxis zu diskutieren oder beispielsweise die Frage zu stellen, ob diese Erfahrungen als Verweis auf eine absolute Wahrheit zu verstehen sind. „Das ist eben der Vorteil einer qualitativen Forschung, dieser Zugang nimmt die Leute ernst, ohne ihre Erfahrungen normativ zu bewerten oder beurteilen“, erläutert Jonathan Harth. Dem entspreche auch der Anspruch der Forscher, sich einer wertschätzenden Sprache zu bedienen.

Deutlich wird in den Interviews auch, welche Mühen die Praktizierenden auf sich nehmen, hier konstatieren die Autoren „eine harte Übung, die eine existentielle Motivation verlangt“. (S.75) „Unsere Befunde widersprechen auch dem Image des Buddhismus als einer Wellnessveranstaltung. Wer sich ernsthaft darauf einlässt, muss hart an sich arbeiten“. Der Soziologe Harth berichtet auch von Erzählungen über die hohe Fluktuation beim Einstieg: „Von einer Zen-Lehrerin wurde uns zum Beispiel gesagt, dass nur einer von zehn Teilnehmern an Schnupperkursen wirklich dabei bleibt“.

Ohne einen sozialen Zusammenhang, das wird in den Interviews deutlich, ist die Motivation für die verschiedenen Schulungswege nicht aufrechtzuerhalten. So zeigt die Studie auch, welche große Rolle die sozialen Zusammenhänge spielen, in denen die buddhistischen Schulungswege stattfinden. Die buddhistische Schulung könne sich nicht darauf beschränken, betonen die Autoren, außeralltägliche Erlebnisse zu produzieren, ohne „zugleich sozial und kulturell hinreichend stabilisierte Deutungs- und Interpretationsschema anzubieten, die darauf hinweisen, wie solche Erfahrungen zu verstehen und zu deuten sind.“

Entgegen eines Alltagsverständnisses von Mystik erscheine die mystische Erfahrung vor diesem Hintergrund als „Reflexionsverhältnis, mit dem das Verhältnis von Ich, Selbst und Welt reflektiert und konfiguriert wird“ (S.103/104). Ein solchermaßen komplex konfiguriertes Selbst- und Weltverhältnis sei nur „als soziale Praxis“ möglich, ziehen die Autoren das Fazit ihrer Studie (S.442), selbst wenn diese Praxis schweigend geübt werde.

Lehrer-Schüler-Verhältnis

Für den buddhistischen Schulungsweg bildet auch das Lehrer-Schüler-Verhältnis einen „besonderen Bestandteil“ (S. 350), es ermögliche einen Schutzraum, in dem die eigenen Erfahrungen gemacht werden können. Dies werde auch in den „hierarchisch flacheren Schulen deutlich“, betonen die Autoren. Dass hier Möglichkeiten des Übergriffs und des Misslingens gegeben sind, liegt in der Natur der Sache, dem per se asymmetrischen Verhältnis von Lehrer und Schüler. „Das ist kein Spezifikum des Buddhismus, bei allen Dyaden, also intensiven Beziehungen von zwei Personen, ist die Gefahr von Missbrauch und Machtausübung gegeben. Die Frage ist nur, wie die einzelnen Schulen damit umgehen, ob es thematisiert und offengelegt werden kann. Hier gibt es große Unterschiede“, meint Harth dazu.

Eine Besonderheit des buddhistischen Schulungswegs liegt auch darin, dass von Lehrern auch sogenannte transgressive, (d.h. verstoßende) Handlungen als Mittel angewandt werden, um Entwicklungsfortschritte der Praktizierenden hervorzurufen.

Wie weit das gehen kann, erfährt man in dem Teil der Studie, in der vormals stark engagierte Aussteiger zu Wort kommen. Hier wird geschildert, zu welchen drastischen Mitteln Lehrer unter Umständen greifen. Die Rede ist von Tischen, die ins Publikum einer Massenveranstaltung fliegen, von Steinen, die nach Schülern geworfen werden - Handlungen, die - wie die betroffene Interviewpartnerin betont - „aus einem westlichen Geist heraus“ als „Misshandlungen“ erscheinen und juristisch „angezeigt“ werden müssten (S.332). Auch von sexuellen Übergriffen wird berichtet.

Insbesondere der Aspekt der „Zuschreibung von Heiligkeit“ hinsichtlich der Lehrer, wie sie in nicht wenigen Schulen vorgenommen werde, verunmögliche den Schülern die Aufarbeitung ihrer Erfahrungen und produziere unter Umständen eine „freiwillige Loyalität“, folgert die Studie (S.342). Verallgemeinern lassen sich diese Erfahrungen aus der Sicht von Autor Harth jedoch nicht. „Im Zen beispielsweise gibt es den viel zitierten Satz, dass man selbst den Buddha töten solle, wenn man ihn auf dem Weg der inneren Erfahrung trifft. Damit ist gemeint, dass man als Schüler im Lehrer keinen Über-Mensch sehen soll. Aber auch der Lehrer sollte sich als Lernender begreifen und dem Schüler auf Augenhöhe begegnen“.

So vielfältig wie die einzelnen Schulen sind auch die Wege, auf denen die Schüler sich von ihren Lehrern emanzipieren können. Im tibetischen Buddhismus beispielsweise sei dies eher schwierig, die Asymmetrie werde eher reproduziert, wenn an der Spitze ein Lama stehe und darunter „alles eher wie eine Pyramide organisiert“ sei.

Resonanzboden

Die Studie der Witten-Herdecker-Forscher gipfelt in der Einsicht, dass es „den Buddhismus im Westen“ nicht gibt, sondern eine Vielzahl von Erscheinungsformen, in der die 2.500 Jahre alten Lehren aus Asien Einzug in die hochgradig individualisierten Gesellschaften des Westens gefunden haben. Möglich wurde dies auch vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt. Es ist gerade das gebildete Publikum, das die buddhistischen Lehren entdeckt hat auf der Suche nach Frieden und Befreiung aus den „verwirrenden Sinnzumutungen der Gegenwart“ (S.409).

Die Aufforderung der etablierten Kirchen zum Glauben habe dieses Publikum nicht mehr ohne weiteres überzeugt, schreiben die Autoren in ihrem Fazit. Spiritualität werde heute tendenziell in einer Praxis gesucht, die sich „im Hier und Jetzt die eigene Evidenz“ erschaffe und nicht erst in einem jenseitigen Himmelreich. Aus dieser Perspektive erscheine die buddhistische Lehre in einer eigentümlichen Weise modern, denn sie eröffnet den Weg zu einer erfahrungs- und erlebnisbasierten Spiritualität, an die gerade in hohem Maße individualisierte Menschen anschließen können.

Da sie ohne Schöpfergott auftritt, wirkt sie – auf den ersten Blick – auch rationaler, friedfertiger und aufgeklärter als die Heilangebote der monotheistischen Religionen. Es verwundere vor diesem Hintergrund nicht, schlussfolgern die Autoren, dass der Buddhismus im Westen einen Resonanzboden gefunden habe. Die Zuflucht zu buddhistischen Praxen könne als Ausdruck einer „expressivistischen individualistischen Kultur und zugleich als Wunsch nach Kritik und Abwendung von ihr“ gesehen werden (S.410).

Die Frage, ob es sich dabei um eine Massenbewegung handelt, beantwortet Autor Harth mit „Ja und nein“. Wie viele Menschen sich in Deutschland als Buddhisten bezeichnen, könne nur geschätzt werden, da es sich nicht um eine anerkannte Religion handele, die in amtlichen Fragebögen abgefragt werden kann. „Man geht davon aus, dass es zwischen 200.000 und 300.000 Menschen sind, dabei sind ungefähr die Hälfte sogenannte ethnische Buddhisten, also Migranten, die ihre Religion mitgebracht haben z.B. aus Thailand.“

Dieser eher kleinen Zahl stehe jedoch die pop-kulturelle Wirkung des Buddhismus gegenüber: Diese führe auch zu einem falschen Image des Buddhismus in der Öffentlichkeit, denn – wie die Studie zeige – handele es sich um eine Praxis, die von harter Arbeit an sich selbst geprägt ist.

Vorbilder

Die Verbreitung des Buddhismus im Westen wurde auch gefördert durch Vorbilder aus dem Bereich der Popkultur, durch Denkfiguren der Lehre, die in Hollywoodfilme Eingang gefunden haben und durch die massenwirksamen Auftritt des Dalai Lama – der Buddhismus sei populär und im Vergleich zu Christentum und Islam „derzeit die sympathischere Religion“, schreiben die Forscher. Sie weisen aber auch darauf hin, dass sich die buddhistische Lehre damit in die Gefahr einer Popularisierung begebe und der In-Dienstnahme für fragwürdige Zwecke ausgesetzt sei.

Wie das Leben der befragten Praktizierenden weiter verlaufen ist und welche Veränderungen der Buddhismus dann auf längere Sicht bei ihnen bewirkt hat, untersuchen die Witten-Herdecker Forscher in einer Folgestudie, mit der sie gerade begonnen haben und die ebenfalls auf drei Jahre angelegt ist.

END/nna/ung

Literaturhinweis:
Vogd, Werner/ Harth, Jonathan (2015): Die Praxis der Leere – Zur Verkörperung buddhistischer Lehren im Erleben, Reflexion und Lehrer-Schüler Beziehung. Velbrück Verlag, Weilerswist, ISBN 978-3-95832-079-6

Bericht-Nr.: 170220-01DE Datum: 20. Februar 2017

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Foto: Kirill Vasilev / Shutterstock