Nachrichtenbeitrag
Aquakultur – Fluch für die Umwelt oder Segen für die Welternährung?
Jeder zweite Fisch auf dem Teller stammt mittlerweile aus Zuchtfarmen. Umweltorganisationen fordern Nachhaltigkeitskriterien.
BERLIN (NNA) – Jeder zweite Speisefisch, der weltweit auf den Tisch kommt, stammt mittlerweile aus Aquakulturen – Tendenz steigend. 2014 übertraf die Menge des „produzierten“ Fischs erstmals die des gefangenen. Aber wie ist diese Entwicklung zu beurteilen? Kann man die Fische mit gutem Gewissen essen?
Natur- und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace kritisieren die gravierenden negativen Auswirkungen der Fischfarmen auf die Umwelt und fordern Kriterien der Nachhaltigkeit für Aquakulturen. Zu den Nachteilen gehören die Verfütterung von Wildfisch für die Aquakulturfische, zur Produktion von einem Kilo Thunfisch sind beispielsweise 20 Kilo Futter nötig. Viele der Zuchtfische sind Raubfische, betont Greenpeace weiter und die Überfischung der Meere werde durch die Aquakulturen weiter vorangetrieben, weil das Futter für sie gefangen werden muss. Außerdem würden für den Besatz der Aquakulturen stets Jungfische aus Wildfang verwendet.
Aquakulturen verursachen außerdem massive Umweltschäden, da Chemikalien, Nahrungsreste, Fischkot und Antibiotika in die Gewässer gelangen, in denen die Netzkäfige angesiedelt sind. Da es sich um eine Form der Intensivtierhaltung handelt mit hohen Besatzzahlen auf engstem Raum, kommen die Aquakulturen bislang nicht ohne den Einsatz von Antibiotika und anderen Medikamenten gegen Krankheiten und Schädlinge aus.
Zusammengepfercht
Besonders kritisch sieht die Tierschutzorganisation PETA die Aquakulturen. Die gezüchteten Fische seien „ebenso bewegungslos zusammengepfercht wie Hühner in Massentierhaltung“. Aquakultur berücksichtige nicht die natürlichen Gewohnheiten und Instinkte der Fische, schreibt die Organisation und fordert zum Umstieg auf pflanzliche Ernährung auf. Eine Lachsfarm produziere soviel Abfall wie eine Stadt mit 10.000 Einwohnern, zitiert PETA das Magazin Science.
Der World Wildlife Fonds (WWF) verweist außerdem darauf, dass die ständig wachsenden Aquakulturen vor den Küsten tropischer oder subtropischer Länder große Flächen verbrauchen oder schützenswerte Landschaften vernichten. Allein auf den Philippinen seien zwei Drittel der Mangrovenwälder für die Errichtung von Shrimpsfarmen abgeholzt worden.
Der WWF arbeitet vor diesem Hintergrund an einem Gütesiegel für nachhaltige Aquakultur, dem ASC (Aquacultur Stewardship Council) nach dem Vorbild des MSC (Marine Stewardship Council) für Wildfische. Dazu moderiert die Organisation weltweite Aquakulturdialoge. 2000 Teilnehmer, darunter Umweltschützer, Regierungsvertreter, Fischzüchter und andere Interessengruppen sollen Kriterien für nachhaltige Aquakulturen entwickeln.
Schnellstwachsender Bereich
Aquakultur ist mit Wachstumsraten von durchschnittlich 9% zwischen 1990 nd 2000 und mit 6,2% bis 2012 einer der am schnellsten wachsenden Bereiche der Lebensmittelproduktion, es wird damit gerechnet, dass der Anteil der Aquakulturfische in der Ernährung auf zwei Drittel ansteigt. Noch nie wurde so viel Fisch verzehrt wie heute und es sei unter anderem der Bedarf der global entstehenden Mittelschicht, die diese Entwicklung beschleunigt, heißt es im Bericht „The State of Fisheries and Aquacultures – Opportunities and Challenges“, den die Welternährungsorganisation FAO 2014 herausgegeben hat.
Rund 50 Millionen Fisch und Meeresfrüchte werden inzwischen pro Jahr in Zuchtfarmen erzeugt. Weltweit beträgt der Anteil an Zuchtfisch 42,2%, in Asien übertraf er schon 2012 mit 54% bereits den gefangenen Fisch. In Europa machte der Anteil des Zuchtfisches 18% aus, in anderen Kontinenten weniger als 15%, so der Bericht der FAO.
Auch in den Industrienationen ist der Fischverzehr angestiegen, die Produktion der Aquakulturen jedoch nicht im gleichen Maß. Dies habe andere Länder ermutigt, Fisch unter Exportgesichtspunkten zu produzieren für diese Länder, schreibt die FAO. Der größte Erzeuger im Bereich Aquakulturen ist China, gefolgt von Indonesien, USA, Peru, Russland, Japan, Indien und Chile. Von den europäischen Ländern finden sich Norwegen auf Platz 11 und Island auf Platz 17 – insgesamt erzeugten 15 Länder 2012 rund 92 Prozent des Zuchtfisches.
Nahrungssicherheit und Arbeitsplätze
Die Welternährungsorganisation sieht diese Entwicklung eher positiv, sie verweist auf die Bedeutung von Fisch für die Ernährung der ständig wachsenden Weltbevölkerung: Fisch sei extrem nahrhaft - eine „vitale Quelle von Protein und anderen lebenswichtigen Nährstoffen, vor allem für die vielen armen Mitglieder unserer Weltgemeinschaft“, schreibt der Generaldirektor der Welternährungsorganisation, José Gaziano da Silva in seinem Vorwort zu dem Bericht. Aber auch hier fehlt der Hinweis nicht auf die Bedingungen, unter den in den Aquakulturen produziert wird: Wenn sie „verantwortungsvoll entwickelt und gehandhabt“ werde, könne die Aquakultur auf Dauer einen positiven Beitrag zur Nahrungssicherheit und dem Wirtschaftswachstum auf der ganzen Welt leisten.
Einen Vorteil sieht die FAO auch in der Schaffung von Arbeitsplätzen: Die Beschäftigung im Fischereibereich sei stärker gewachsen als die Weltbevölkerung, heißt es dazu in dem Bericht. Von den 1,3 Milliarden Menschen, die 2012 im landwirtschaftlichen Bereich beschäftigt waren, sind 4,4% in der Fischerei tätig. 1990 waren es nur 2,7% gewesen. Die FAO schätzt, dass Fischerei und Aquakultur den Lebensunterhalt für rund 10-12 Prozent der Weltbevölkerung sichern.
Standards für gezüchteten Fisch haben in Deutschland die Bioverbände Naturland und Bioland entwickelt. Naturland fordert z.B. die Haltung mehrerer Fischsorten zusammen, schreibt Besatzzahlen vor und fordert, dass die Gewässerqualität nicht durch die Zucht beeinträchtigt wird. Bioland erlaubt keine Fischhaltung in Netzgehegen, sondern nur in „natürlichen und naturnahen Gewässern wie Erdbecken und Teichen.“ Gezüchtet werden dürfen nur „an den Standort angepasste Fische, die in der Region heimisch sind“. Für die beschriebenen großen Aquakulturen im Meer gibt es demnach bislang keine Vorgaben hinsichtlich Tierwohl und Nachhaltigkeit, denn nach Richtlinien der beiden Bioverbände ist eine solche Haltung ausgeschlossen.
END/nna/ung
Bericht-Nr.: 180430-03DE Datum: 30. April 2018
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